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# taz.de -- Flüchtlingsrat über Krankenversorgung: „Die Regelung ist ein S�…
> Der Tod eines Säuglings in Hannover ist für Kai Weber vom Flüchtlingsrat
> Niedersachsen Ausdruck eines Fehlers im System. Die Ärzte zögern oft mit
> der Behandlung.
Bild: Ohne Gesundheitskarte bleibt eine Welt versperrt: Behandelt werden, wenn …
taz: Herr Weber, letzten Donnerstag starb in der Hannoverschen Kinder- und
Jugendklinik „Auf der Bult“ der Sohn einer Asylbewerberin. Wer trägt die
Verantwortung?
Kai Weber: Die Klinik, denn sie hat dem Jungen die Notaufnahme verweigert
und es versäumt, das Kind gründlich zu untersuchen. Nach der aktuellen
Rechtslage ist also von einem Fehlverhalten der Klinik auszugehen, sollte
sich bestätigen, dass die Mutter abgewiesen wurde.
Aber?
Man muss sich fragen, wie es dazu kommen konnte. Ich denke, es liegt daran,
dass viele Ärzten nicht wissen, welche Behandlungskosten sie bei
Flüchtlingen anrechnen können. Asylbewerber und Geduldete brauchen in den
ersten vier Jahren ihres Aufenthalts einen Krankenschein, den sie in der
Regel nur nach einem persönlichen Vorsprechen bei der Sozialbehörde
erhalten. So kommt es zu Verzögerungen.
Ist der Tod des kleinen Jungen ein Einzelfall?
Es kommt zwar nur selten zu solch dramatischen Folgen, aber ein solcher
Fall ist in den bestehenden Regelungen durchaus angelegt. Denn den
Flüchtlingen werden nur die Behandlungen für akute Erkrankungen ermöglicht.
Die Frage, was als akute Erkrankung gilt, kann bei den Ärzten
Unsicherheiten auslösen.
Also ist das Problem systemimmanent?
In gewisser Weise ja, denn der Ausschluss von gewissen Leistungen für
Flüchtlinge ist in den Gesetzen festgeschrieben. Die Ausstellung eines
Krankenscheines zieht immer ein Prüfungsverfahren mit sich. Das sind
diskriminierende Regelungen und in der Folge leiden die Flüchtlinge unter
einer sehr schlechten medizinischen Situation. Wenn zum Beispiel einem
Menschen mit kaputten Zähnen gesagt wird, ein Pürierstab reiche aus, statt
ihm die Zahnbehandlung zu bezahlen, ist das definitiv eine Entwürdigung.
Wo liegen die Versäumnisse in der Vergangenheit?
Das Versäumnis liegt beim Gesetzgeber. Der hat 1993 das sogenannte
Leistungsgesetz eingeführt, mit dem Ziel, die Migrationsprozesse zu
beeinflussen. Dadurch erhielten die Flüchtlinge mindere Rechte. Wir als
niedersächsischer Flüchtlingsrat haben schon damals die Regelungen als
Sündenfall kritisiert. Mit ihnen wurde erst mal in der Geschichte der
Bundesrepublik das Sozialstaatsprinzip ausgehebelt. Die neuen Gesetze
ließen ein Existenzminimum zweiter Klasse entstehen und das war einer der
schwerwiegenden Fehler in der deutschen Rechtsgeschichte.
Was hätte Niedersachen tun sollen?
Niedersachsen hätte viel früher auf Lösungsmodelle wie in Bremen umsteigen
müssen. Dort werden standardmäßig Krankenkassenkarten an Flüchtlinge
ausgegeben. Der Arzt kann diese Karte auslesen und weiß dann genau, welche
Behandlungskosten er erstattet bekommt und welche nicht. So kommt es
zumindest nicht zu Verzögerungen. Auch Hamburg hat dieses Modell
aufgegriffen.
Gibt es Lösungsansätze jenseits der Bremer Methode?
Natürlich. Wir fordern etwa den Verzicht auf die Neuauflage eines
Asylbewerberleistungsgesetzes. Dann hätten die Flüchtlinge deutlich bessere
Integrationschancen. Das Gesetz wurde bereits vom Bundesverfassungsgericht
kritisiert.
Was halten Sie davon, dass die Landesregierung eine Gesundheitskarte
einführen will?
Ich halte das für glaubwürdig. In den vergangenen Tagen habe ich mit der
Landesregierung gesprochen und mitbekommen, dass die Politiker von diesem
Fall sehr erschüttert sind. Ich blicke deshalb optimistisch in die Zukunft.
16 Apr 2014
## AUTOREN
Florian Lucks
## TAGS
Niedersachsen
Flüchtlingspolitik
Medizin
Flüchtlinge
Hannover
Flüchtlinge
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