# taz.de -- Weniger Ostern im Norden: Das Kreuz mit den Feiertagen | |
> Weil die Reformation das Feiern umdefiniert hat, gibt’s im | |
> protestantischen Norden mehr Ostermärsche und seltener frei. | |
Bild: Anfällig für politische Vereinnahmung: Der letzte gesamtdeutsche Luther… | |
Manche Leute sind ja neidisch auf die Bayern, weil: Die haben 13 Feiertage, | |
die Nordländer dagegen nur neun, maximal zehn: Kein Mariä Himmelfahrt, kein | |
Allerheiligen, kein Dreikönigstag und kein Fronleichnam – und sowohl am | |
Buß- und Bet- als auch am Reformationstag wird hier brav gearbeitet: | |
Verfluchter Protestantismus, sagen die. Und sie haben natürlich recht. | |
Aber dass Protestanten weniger feiern, ist eine Plattitüde. Der Befund wird | |
erst spannend, wenn man die Differenz der Festkulturen in den Blick | |
bekommt, die eine erstaunliche politische Dimension hat. Und der Neid auf | |
die läppischen zwei, drei Feiertage mehr, die Baden-Württemberg und Bayern | |
begehen, ist Missgunst auf einem allzu erbärmlichen Niveau: Sollen sie | |
doch. Sie zahlen dafür ja auch mehr in den Länderfinanzausgleich ein. | |
Nein, wenn schon, dann lieber die Menschen früherer Zeiten beneiden: Denn | |
noch bis ins 19. Jahrhundert hinein waren mehr als 100 der, so die | |
Definition des Grundgesetzes, „Tage der Arbeitsruhe und der seelischen | |
Erhebung“ die Regel. Plus die Sonntage wohlgemerkt. Das sind viel zu viele | |
– fand die Theologie. Denn die christliche Theologie war es, die, | |
konfessionsübergreifend, den Kampf gegen die kirchlichen Feiertage eröffnet | |
hat, den heute der Bund der Atheisten und Freidenker meint, führen zu | |
müssen. | |
In einem im 16. Jahrhundert beginnenden Crescendo, das seinen Höhepunkt | |
erst Ende des 18. Jahrhunderts erreicht, haben Gottesgelehrte die Masse der | |
Feste zum theologisch-moralischen Problem gemacht. Sie werte die einzelnen | |
Feiertage ab, so lautet ein Standardvorbehalt. „Feiern ist nicht nöthig | |
noch geboten“ stellt Luther fest, also gibt’s Party bei ihm nur mit | |
schlechtem Gewissen. | |
## Pfui! | |
Zumal die Festtage, das wird in protestantischen Gegenden schnell zum | |
effektivsten Anti-Feier-Argument, Ausschweifungen induzieren. Also | |
„aergerlich Ueppigkeit“, wie es in einem Beschluss heißt, mit dem der Rat | |
der Stadt Basel schon 1527 auf einen Schlag 20 Feiertage eliminiert, „es | |
sey mit Spielen, Saufen, Prassen, Hurerey, Tanzen, Hoffart und anderm, so | |
den Suenden dienlich“. Pfui! | |
Dieser „Hass gegen die Feiertage“ wäre nach der Diagnose des Früh-Marxist… | |
Paul Lafargue sogar der wesentliche Impuls des Protestantismus und der | |
Reformation. „Er entthronte die Heiligen im Himmel“, schreibt er in „Das | |
Recht auf Faulheit“ (1880), „um ihre Feste auf Erden abschaffen zu können�… | |
Alles Weitere, „die Religionsreform und das philosophische Freidenkertum | |
waren nichts als Vorwände, um der heuchlerischen und gierigen Bourgeoisie | |
zu erlauben, die beim Volk beliebten Feiertage verschwinden zu lassen.“ | |
Da ist sicher was dran, aber der ökonomische Ansatz vermag nur einen | |
Teilaspekt zu erklären, und den auch nur unbefriedigend: Schließlich | |
übersieht Lafargue, dass ein durch die Freizeit gesteigerter Konsum – also | |
„Spielen, Saufen, Prassen, Hurerey“ – durchaus auch Interessen der | |
„gierigen Bourgeoisie“ entspricht. | |
Und so finden sich Eingaben und Widersprüche von Lebensmittel- und | |
Unterhaltungsindustrie ebenso wie der Gastronomie jeweils dort, wo auf | |
politischer Ebene die Beseitigung von Feiertagen diskutiert und verhandelt | |
wird. | |
Und noch weniger vermag es die Genese neuer Feiertage zu erklären und die | |
Auseinandersetzungen um sie: So setzt sich der in der katholischen | |
Theologie sehr unterschiedlich gedeutete Karfreitag – also der Tag, an dem | |
Jesus gekreuzigt wird und stirbt – auch auf protestantischer Seite erst im | |
Laufe des 19. Jahrhunderts als höchstes christliches Fest überhaupt durch. | |
## Bauern güllen das Feld | |
Zugleich avanciert es dabei zum Medium des Kulturkampfs: Zwar wird der | |
Karfreitag in Preußen zum allgemeinen Feiertag bestimmt, jedoch soll „in | |
Gemeinden mit überwiegend katholischer Bevölkerung die bestehende | |
herkömmliche Werktagsarbeit am Karfreitag nicht verboten werden“, | |
formuliert das Gesetz vom 2. September 1899 eine Ausnahme, „es sei denn, | |
daß es sich um öffentlich bemerkbare oder geräuschvolle Arbeiten in der | |
Nähe von Gottesdiensten gewidmeten Gebäuden handelt“. | |
In der Folge fahren, bis in die 1950er-Jahre, bei Hildesheim und rund um | |
Osnabrück an diesem Tag katholische Bauern gerne ihren Mist und güllen das | |
Feld. Wobei selbst diese Reaktion noch auf den gravierendsten Unterschied | |
zwischen den konfessionell geprägten Festkulturen hinweist: Die | |
katholischen Feste gestalten sich als Ritual im strengen Sinne. Sie wollen | |
ekstatische Momente der Berührung mit dem außerzeitlichen Heilsgeschehen | |
sein. Zwecklos, dagegen anzustinken. | |
## Protestantisches Fest als politische Veranstaltung | |
Ganz anders bei einem protestantischen Fest. Denn das ist eine politische | |
Veranstaltung und als solche anfällig für Shitstorms und Polemik. Es passt, | |
dass der Karfreitag jenen Moment der biblischen Geschichten inszeniert, der | |
am wenigsten von Heiligtum und Wunderei und Geheimnis hat, in dem es fast | |
nur um Endlichkeit geht und Tod: Es ist der Tag, an dem Jesus gefoltert | |
wird und stirbt, wie es jedem Menschen passieren kann. | |
Während der Katholizismus für sich beansprucht, in den Gnadenräumen | |
geweihter Kirchen einen eigenen Gottesstaat als Parallelgesellschaft und | |
Exklave der Welt zu betreiben, haben protestantische Theologien die | |
Differenz der Sphären teils beseitigt, teils irrelevant gemacht: Bei | |
Huldrych Zwingli, sind Gott und Welt so radikal voneinander getrennt, dass | |
ein Kontakt unmöglich scheint. | |
Bei Martin Luther wimmelt die Welt dagegen vor Gott. Der sei "zugleich in | |
einem jeglichen Körnlein ganz und gar und dennoch in allen und über allen | |
und außer allen Kreaturen". Folge hier wie dort: Eine Feier hat keinen | |
jenseitigen Referenzraum. Sie verortet sich im Hier und Jetzt - und wird | |
fürs Hier und Jetzt durchgeführt. | |
Weshalb Substanzen wie Alkohol oder Weihrauch, die ein transzendentales | |
Gefühl oder ekstatisches Erleben befördern, oft verpönt sind. Hier, Jetzt, | |
Endlichkeit, Sterblichkeit - ach, das Leben ist ernst!, und viele | |
Protestanten-Feste deshalb so seltsam unfroh. Wichtiger aber wirkt die in | |
ihnen sich ereignende wechselseitige Durchdringung von Politik und | |
Theologie. | |
## Politischer Inhalt als Fest verkleidet | |
So kann jedes kirchliche Fest in protestantischer Deutung zu einem Gefäß so | |
ziemlich jeden politischen Inhalts werden - und jeder politische Inhalt | |
sich in ein protestantisches Fest kleiden. Was nun staatliche Feier ist, | |
was kirchlich, das lässt sich ohne Weiteres kaum sagen: So ist es der | |
Preußenkönig Friedrich Wilhelm III., der den Totensonntag 1816 als eine Art | |
Anti-Allerheiligen erfindet. | |
Evangelische Geistliche dagegen, Protestantenvereine, Landeskirchen und | |
Abstinenzler-Pastor Friedrich von Bodelschwingh setzen den 2. September als | |
Sedantag auf den deutschen Festkalender: Das war der Tag, an dem bei Sedan | |
Napoleon III. gefangen und der Krieg beendet wurde. Als das Ziel des | |
"Volks- und Friedensfestes" benennt ein Gründungsaufruf, "den Radikalen und | |
Sozialisten sowie den Jesuiten und Ultramontanen zu schaden". Die damals | |
noch kirchenfernen SPD-Vorläuferorganisationen organisieren deshalb | |
Gegenveranstaltungen, in Braunschweig sogar schon direkt 1871. | |
Die kirchlich-protestantische Prägung dieses Jahre später erst vom Kaiser | |
sanktionierten Sedantags bleibt immer deutlich: Mal stehen, wie in Kiel | |
1895, "Bekränzung des Kriegerdenkmals" sowie "Schlachtenmusik und | |
Feuerwerk" auf dem Ablaufplan, mal, wie in Greifswald 1872, | |
Schulsportdarbietungen. | |
## Herrschaft dienstbar machen | |
Immer aber sind ein Gottesdienst und ein etwa einstündiges Läuten aller | |
Kirchenglocken vorgesehen. In Bremen beschließt die Bürgerschaft am 11. | |
Juli 1888 sogar, "daß in diesem Jahr von einer öffentlichen Feier Abstand | |
genommen" werde - einen Monat zuvor war ja bereits der zweite Kaiser des | |
Jahres gestorben - "dagegen die kirchliche Feier in gewohnter Weise | |
stattfinde". | |
Protestantische Feiern neigen dazu, sich Herrschaft dienstbar zu machen. | |
Einigermaßen beklommen machen daher Forderungen so beflissen evangelischer | |
Landesfürsten wie des Bremer Bürgermeisters Jens Böhrnsen (SPD): Der kämpft | |
dafür, 2017 den Reformationstag - zum 500-Jährigen - "mindestens einmalig | |
als staatlichen Feiertag anzuerkennen". | |
Beklommen macht das, weil es so einmalig ja eben nicht wäre, und die | |
Luthertage der Vergangenheit, 1917 oder 1817, eine stark martialische, | |
nationalistische Prägung hatten - und einen aggressiv antisemitischen | |
Unterton. | |
Das gilt natürlich besonders für den letzten gesamtdeutschen Luther-Tag | |
1933. Zu dem hatten sich auf Geheiß von Reichsbischof Ludwig Müller Gottes- | |
und Pfarrhäuser mit Reichskriegs- und Hakenkreuzflaggen geschmückt, SA, | |
Kirchengemeinden, Bund deutscher Mädel, SS, Christenvereine, Hitlerjugend | |
und Reichswehr zogen Choräle singend gemeinsam durch die Straßen. | |
In Nazi-Hochburgen wie Göttingen wurde die Feier zum Groß-Event mit mehr | |
als 10.000 Teilnehmern. Und in Kiel beispielsweise nahm das Kirchenamt | |
seine Vorbereitung zum Anlass, alle Theologie-Studenten ultimativ zum | |
SA-Beitritt aufzufordern - "als künftige Führer unserer evangelischen | |
Gemeinden". | |
Aber anders als katholische Rituale sind ja protestantische Feste | |
wandelbar. Und ihre ambivalente Verschmelzung von Glauben und Politik kann | |
zu so sinnvollen Erscheinungsformen finden wie den Ostermärschen. Die von | |
Hamburger Quäkern 1960 initiierte Bewegung wird fast überall von | |
evangelischen Vereinen getragen oder mitorganisiert. | |
Und sie gewinnt neuerdings, während rund 90 Prozent der | |
Bundestagsabgeordneten Waffengänge für ein probates Mittel von Politik zu | |
halten scheinen, als außerparlamentarischer Akt an neuer Bedeutung. Formal | |
lässt sie sich sehen als eine freie Osterliturgie. | |
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18 Apr 2014 | |
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## AUTOREN | |
Benno Schirrmeister | |
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