| # taz.de -- „Guardian"-Chefredakteur Alan Rusbridger: Ente schreibt Zeitungsg… | |
| > Er steht seit 19 Jahren der „Guardian“-Redaktion vor. „Ich kann mir nic… | |
| > vorstellen, etwas anderes zu machen“, sagt Alan Rusbridger der taz. | |
| Bild: Der Mann, der die Dienste nicht fürchtet: die Ente Alan Rusbridger. | |
| Eine US-amerikanische Zeitung beschrieb ihn einmal als „erwachsenen Harry | |
| Potter“. Wie der mächtige Chefredakteur einer international bedeutenden | |
| Tageszeitung sieht Alan Rusbridger nicht aus. Der 60-Jährige trägt Jeans, | |
| ein offenes Hemd, darüber einen grauen Pullover, seine Haare sind | |
| wuschelig. „Sein Erscheinungsbild täuscht darüber hinweg, wie taff er ist�… | |
| sagt Nick Davies, ein Reporter des Guardian. | |
| Rusbridger residiert in einem Eckbüro im Guardian-Haus hinter dem Londoner | |
| Bahnhof King’s Cross. Das neue Verlagshaus war beim Einzug 2008 das erste | |
| hoch geschossige Gebäude in dem Sanierungsgebiet um den | |
| Eurostar-Endbahnhof. Inzwischen fällt es unter den vielen neuen Hochhäusern | |
| nicht auf. Von dem Chefbüro mit zwei großen Fenstern blickt man auf den | |
| Regent’s Canal. Rusbridgers Schreibtisch steht mitten im Raum, dahinter ein | |
| vollgestopftes Bücherregal, an der Seite eine Sitzecke mit vier modernen, | |
| aber unbequem aussehenden Sesseln. Auf dem mit Papieren übersäten | |
| Schreibtisch stehen zwei Monitore, davor ein Konferenztisch für zwölf | |
| Personen, an der Wand ein riesiger Flachbildfernseher. | |
| ## Die Snowden-Papiere | |
| Seit dem Umzug ist beim Guardian viel passiert: die Wikileaks-Enthüllungen, | |
| die Aufdeckung der Abhöraffäre bei Rupert Murdochs News of the World, die | |
| Berichte über Folter an Gefangenen im Irak, und zuletzt, seit 5. Juni 2013, | |
| die Veröffentlichung der Snowden-Papiere. Warum ist es immer wieder der | |
| Guardian, der solche Dinge öffentlich macht? „Der Guardian ist historisch | |
| ein Außenseiter“, sagt Rusbridger. „Er gehört nicht dem Kreis von | |
| Zeitungseigentümern an. Wir gehören einer Stiftung, und das bringt den | |
| besten Journalismus hervor. Wir finden Geschichten interessant, die andere | |
| nicht interessant finden.“ Die Regierung war allerdings höchst | |
| interessiert. | |
| Jeremy Heywood, Chefsekretär von Premierminister David Cameron, sprach bei | |
| Rusbridger vor: „Der Premierminister, der stellvertretende Premier, der | |
| Außenminister, der Generalstaatsanwalt und andere Regierungsmitglieder sind | |
| äußerst besorgt über die Veröffentlichungen.“ Heywood wollte das Material. | |
| Rusbridger ließ es in ein sicheres Büro mit Wachpersonal vor der Tür | |
| verlagern. „Nur eine Handvoll Menschen hatten Zutritt zu dem Raum“, sagt | |
| er. „Sie mussten ihre Handys vorher abgeben, falls die Geheimdienste sie | |
| anzapfen würden.“ Die Fenster waren mit Jalousien verdunkelt. Für den | |
| Zugang zu den fünf Laptops, die nicht mit dem Internet verbunden waren, | |
| benötigte man drei Passwörter. Niemand kannte mehr als eins. | |
| Heywood ließ nicht locker. Auch der Hinweis, dass Kopien des Materials | |
| existierten, dass der Guardian über die Snowden-Dokumente ohnehin vor allem | |
| aus New York berichte und dass der damals zuständige Reporter Glenn | |
| Greenwald in Brasilien lebe, beeindruckten den Regierungsmitarbeiter nicht. | |
| Rusbridger befürchtete, die Regierung würde vor Gericht eine einstweilige | |
| Verfügung einholen und damit jegliche Berichterstattung über das Thema | |
| verhindern. „So kam es zu einem der bizarrsten Ereignisse in der Geschichte | |
| des Guardian“, sagt er. Zwei Sicherheitsexperten des Geheimdienstes | |
| überwachten die Zerstörung der Festplatten im Keller des Zeitungsgebäudes. | |
| Ein symbolischer Akt, der im digitalen Zeitalter völlig sinnlos sei, sagt | |
| Rusbridger. | |
| ## Monatelang übte er die Ballade Nr. 1 g-Moll | |
| Die Snowden-Enthüllungen waren der bisher größte Erfolg des Guardian, sie | |
| machten das Blatt weltbekannt, und seinen Chefredakteur ebenso. Rusbridger | |
| wurde 1953 in Lusaka im heutigen Sambia geboren. Sein Vater, ein ehemaliger | |
| Missionar, arbeitete bei der britischen Kolonialverwaltung. Seine Mutter | |
| war als Krankenschwester nach Afrika gegangen. Als Rusbridger fünf Jahre | |
| alt war, zog die Familie nach London. | |
| „Meine Mutter sorgte dafür, dass ich schon als Kind jeden Tag drei Stunden | |
| Klavier übte“, sagt er. Später war er Vorsitzender des Nationalen | |
| Jugendorchesters von Großbritannien. Er hat ein Stück über Beethoven | |
| geschrieben, und er besitzt einen Fazioli-Flügel. Vor einigen Jahren | |
| heuerte er einen Klavierlehrer an und übte monatelang, bis er Chopins | |
| überaus schwierige „Ballade Nr. 1 g-Moll“ beherrschte. | |
| ## Zeitungssüchtiger Vater | |
| Rusbridger hat englische Literatur in Cambridge studiert. „In den | |
| Semesterferien nahm ich Jobs bei der lokalen Evening News an“, sagt er. | |
| „Heutzutage nennt man es wohl Internship.“ 1976, nach seinem Uniabschluss, | |
| übernahm ihn das Blatt als Reporter. Drei Jahre später wechselte er zum | |
| Guardian, bei dem er – abgesehen von sechs Monaten als | |
| Washington-Korrespondent für die Daily News – bis heute geblieben ist. | |
| Rusbridger ist mit Zeitungen aufgewachsen. „Mein Vater war | |
| zeitungssüchtig“, sagt er. „Er war ein sehr ausgeglichener, gelassener | |
| Mensch.“ Diese Eigenschaften sagt man auch ihm nach. „Er ist wie eine | |
| Ente“, meint hingegen sein Schwager, der Investigativreporter David Leigh. | |
| „Er scheint durch das Wasser zu gleiten. Aber unter der Oberfläche paddeln | |
| seine Füße wie wild.“ | |
| 1992 wurde er Chef der Wochenendbeilage, ein Jahr später übernahm er die | |
| tägliche Beilage G2. Er hob Lifestylegeschichten ins Blatt, was vielen | |
| Kollegen nicht passte, weil sie ihnen zu seicht und dem Ruf des Blattes | |
| abträglich erschienen. Der Guardian wurde 1821 als Wochenzeitung Manchester | |
| Guardian gegründet. 1872 wurde C. P. Scott Chefredakteur und schließlich | |
| Eigentümer. 57 Jahre lang leitete er die Zeitung und steuerte sie nach | |
| links. Nach seinem Tod gründete sein Sohn eine Stiftung, um die | |
| Unabhängigkeit des Blattes zu garantieren. 1964 zog der Guardian nach | |
| London um. | |
| Rusbridger kündigte bei seinem Antritt als Chefredakteur an, er wolle weg | |
| vom Image einer linken Zeitung. „Ich wollte sicherstellen, dass unsere | |
| Berichterstattung unverfälscht ist“, sagt er. „Deshalb habe ich die | |
| Mischung aus Bericht und Meinung unterbunden. Wir dürfen den Lesern nicht | |
| vorschreiben, was sie denken sollen. Es ist heute schwer, uns in eine | |
| Schublade zu stecken.“ | |
| Auch Konservative und Liberale lesen seine Zeitung, sagt er. Sie sei | |
| europäischer als andere britische Blätter. Leigh sagt über seinen Schwager: | |
| „Vom US-amerikanischen Standpunkt aus ist er sehr links. Vom britischen | |
| Standpunkt aus ist er es nicht.“ | |
| ## Mit 84 Millionen Besuchern im Monat | |
| Trotz der publizistischen Erfolge fährt der Guardian hohe Verluste ein. In | |
| den vergangenen zehn Jahren hat sich die verkaufte Auflage auf 190.000 | |
| halbiert. 2013 machte das Blatt 31 Millionen Pfund Verlust, im Jahr zuvor | |
| waren es noch 44 Millionen gewesen. Wenn das so weitergeht, ist die | |
| Stiftung in fünf Jahren pleite. „Unser Ziel ist es, die Verluste auf ein | |
| erträgliches Maß herunterzuschrauben“, sagt Rusbridger. Die Zahl der | |
| Online-Leser hat sich dagegen in den vergangenen fünf Jahren verdreifacht. | |
| Mit 84 Millionen Besuchern im Monat ist es nach der Daily Mail und der New | |
| York Times die meistgelesene englischsprachige Webseite. | |
| Man könne entweder immer weiter kürzen, hatte Rusbridger dem Aufsichtsrat | |
| der Stiftung 2011 erklärt, oder man investiere in die Zukunft. Die Stiftung | |
| folgte Rusbridgers Argumentation und spendierte viel Geld für die digitale | |
| Expansion, hundert neue Web-Entwickler wurden eingestellt. Seit 2011 gibt | |
| es eine US-Online-Ausgabe, voriges Jahr folgte die australische Version – | |
| alles kostenlos. | |
| „Ich bin gegen eine Paywall“, sagt Rusbridger. „Die würde unsere | |
| Leserschaft auf eine kleine Elite reduzieren. Wir aber wollen eine breite | |
| Leserschaft und internationalen Einfluss. Das ist für Anzeigenkunden | |
| attraktiv.“ Die Zahlen unterstützen das: Die Online-Umsätze sollen im | |
| vergangenen Geschäftsjahr um 25 Prozent auf 70 Millionen Pfund geklettert | |
| sein. | |
| ## Kinderbuchautor, Pianist | |
| Rusbridger ist erst der zehnte Chefredakteur seit 1821. „Das liegt an den | |
| Eigentumsverhältnissen“, glaubt er. „Man schmeißt den Chef nicht so einfa… | |
| raus.“ Zum Blattmachen hat er weniger Zeit als andere Chefredakteure, denn | |
| er sitzt außerdem im Aufsichtsrat der Stiftung: „Aber bei der | |
| Snowden-Berichterstattung habe ich mich um nichts anderes gekümmert.“ | |
| Dennoch fand er Zeit, Kinderbücher zu schreiben. „Als die Kinder Teenager | |
| wurden, blieben sie den ganzen Tag im Bett“, sagt er. „Wir waren nicht mehr | |
| Vollzeiteltern. Ich vermisste das Schreiben und fing im Urlaub wieder damit | |
| an – ein Theaterstück, ein paar Bücher. Ich fand dann ein Manuskript in | |
| einer Schublade: Eine Geschichte, die ich für meine Kinder geschrieben | |
| hatte. Der Verlag sagte: Okay, wir drucken es, aber nur wenn du uns drei | |
| Kinderbücher lieferst.“ | |
| Wartet eine Karriere als Kinderbuchautor und Pianist nach der | |
| Pensionierung? „Das Klavier ist keine Alternative“, sagt er bescheiden, | |
| „ich gehöre nicht zu den zehntausend besten Klavierspielern | |
| Großbritanniens.“ Außerdem denkt er noch gar nicht an den Ruhestand. „Im | |
| Dezember bin ich 60 geworden. Ich bleibe noch eine Weile“, sagt er. „Ich | |
| kann mir nicht vorstellen, irgendetwas anderes zu machen. Alle halbe Jahre | |
| verändert sich der Job radikal. Mir macht das Spaß.“ | |
| 25 Apr 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Ralf Sotscheck | |
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