Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Kommentar Gauck in der Türkei: Erfrischend ehrlich
> Wenig diplomatisch, dabei aber nicht ungeschickt, gibt sich der
> Bundespräsident in der Türkei. Premier Erdogan dürfte das kaum gefallen.
Bild: Die Präsidenten Gauck und Gül in angeregtem Gespräch.
Das waren klare Worte. Ungewöhnlich direkt hat Gauck bei seinem ersten
Staatsbesuch in der Türkei all die Punkte angesprochen, die nicht nur ihm
einiges Unbehagen bereiten: Erdogans autoritäre Tendenzen, nicht erst seit
den Gezi-Protesten vom vergangenen Sommer, sein direkter Angriff auf die
Gewaltenteilung durch die massenhafte Versetzung unliebsamer Polizisten und
Staatsanwälte im Dezember, die Knebelung der Pressefreiheit und die Debatte
um ein mögliches Verbot von Twitter und Youtube – all das liefe auf eine
„Gefährdung der Demokratie“ hinaus die ihn persönlich erschrecke, so der
deutsche Bundespräsident.
Starker Tobak. Aber genau solchen Klartext hatten viele von Gauck auf
dessen erster Türkeireise erwartet, in der Türkei und in Deutschland, und
der Bundespräsident hat sie nicht enttäuscht. Schon sein Besuchsprogramm
enthielt eine Botschaft: Nur ein knappes Mittagessen mit Ministerpräsident
Erdogan, dafür viel Zeit mit seinem Amtskollegen Abdullah Gül, der sich
schon mehrfach mit moderaten Tönen von Erdogan abgesetzt hatte, dazu
Treffen mit Oppositionellen und Menschenrechtlern – er suchte den
Schulterschluss mit Erdogans Kritikern.
Gauck hat aber auch gut daran getan, zunächst ein Flüchtlingslager an der
Grenze zu Syrien zu besuchen und die humanitäre Leistung der Türkei zu
würdigen mit dem selbstkritischen Seitenhieb, davon könnte sich Deutschland
eine Scheibe abschneiden. In seiner Rede vor Studenten räumte er außerdem
das deutsche Versagen in der NSU-Mordserie ein. Damit hat er geschickt die
Gefahr umschifft, in der Türkei wie ein Oberlehrer aufzutreten, der nur
wohlfeile Lektionen erteilen will. Gauck hat da als Präsident inzwischen
dazu gelernt.
Nur seine mehr als ausweichende Haltung zu einem EU-Beitritt der Türkei
trübt das Bild – ein klares Bekenntnis zu diesem Ziel hätte sicher
zusätzlich als Motivation gewirkt, die demokratischen Anstrengungen
voranzutreiben. Tatsächlich muss sich die Bundesregierung fragen lassen, ob
ihre ablehnende Haltung zu einem EU-Beitritt der Türkei nicht ihren Teil zu
Erdogans störrischen Sonderweg-Allüren beigetragen hat.
Auch kann man es immer seltsam finden, dass deutsche Politiker gegenüber
Staaten wie der Türkei oft deutlich kritischere Töne finden als gegenüber
befreundeten Staaten wie den USA oder, aktuell, zu den Frechheiten eines
Silvio Berlusconi. Gaucks Auftritt in der Türkei war in der Tat
ungewöhnlich undiplomatisch, aber auch erfrischend ehrlich. Erdogan dürfte
er kaum gefallen haben. Aber der hält sich ja auch kaum zurück, wenn er in
Deutschland zu Gast ist.
28 Apr 2014
## AUTOREN
Daniel Bax
## TAGS
Joachim Gauck
Recep Tayyip Erdoğan
Schwerpunkt Türkei
Gezi
Schwerpunkt Türkei
Joachim Gauck
Außenpolitik
Schwerpunkt Pressefreiheit
Schwerpunkt Türkei
Schwerpunkt Türkei
Transgender
Recep Tayyip Erdoğan
## ARTIKEL ZUM THEMA
Prozess um Tod eines Gezi-Demonstranten: Zeuge belastet Polizei schwer
Ali Ismail Korkmaz war im Sommer am Rande von Protesten in Istanbul von
Polizisten verprügelt worden. Er starb einen Monat später. Die Polizisten
stehen vor Gericht.
Gauck in Tschechien: Eine Geschichte des Leids
Bundespräsident Joachim Gauck würdigt die respektvolle Beziehung zwischen
Tschechien und Deutschland. Vaclav Havel nannte er ein „großes Vorbild“.
Kommentar deutsche Staatsbesuche: Ehrlichkeit vor dem Freund
Der Klartext, der Bundespräsident Gauck in der Türkei recht war, ist von
Merkel in den USA nicht zu erwarten. Schade eigentlich.
Nach Kritik an Gauck-Rede in der Türkei: Rückendeckung für den Pastor
Der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde Deutschland, Kenan Kolat,
verteidigt die Kritik des Bundespräsidenten an der türkischen Innenpolitik.
Genozid an Armeniern: „Wir verneigen uns vor den Opfern“
In Istanbul erinnern Demonstranten an den Völkermord an den Armeniern.
Mühsam lernt die türkische Gesellschaft den Umgang mit der dunklen
Vergangenheit.
Prozess gegen Twitter-User in der Türkei: Ins Gericht gezwitschert
29 Nutzer von Twitter sollen während der Gezi-Unruhen im Sommer zu
Gesetzesverstößen aufgerufen und Erdogan beleidigt haben. Jetzt wird ihnen
der Prozess gemacht.
Homosexualität in der Türkei: Von der Gesellschaft ausgeschlossen
Die Regierung will Homo- und Transsexuelle in Sondergefängnissen
unterbringen. Damit würden sie noch stärker stigmatisiert als ohnehin
schon.
Türkische Justizreform gekippt: Erdogans schwindende Gewalt
Ministerpräsident Erdogan wollte die Ernennung von Richtern und
Staatsanwälten in Regierungshand legen. Das Verfassungsgericht hält davon
nichts.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.