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# taz.de -- Recht auf Gesundheit: Frau Ibrahim will weg
> Viele Flüchtlinge bekommen nie einen Arzt zu Gesicht - auch wenn sie
> dringend einen bräuchten. Ein Besuch bei Ranga Ibrahim im Lager Horst.
Bild: Hört Stimmen: Ranga Ibrahim in ihrem Zimmer in Horst
HAMBURG | taz In der Einöde Mecklenburg-Vorpommerns liegt für viele
Menschen der Vorhof zum Paradies. Hier, mitten im Nichts, gibt es ein
kasernenartiges Gelände. Ob die Sonne scheint oder ob es regnet ist egal,
auch welche Farbe die Häuser haben – gelb, orange, azurblau – ist nicht
wichtig. Es sieht immer aus wie an einem Grenzübergang. Nicht wie wenn man
nach Dänemark fährt, mit offenen Schranken und winkenden Zollbeamten,
sondern wie damals, wenn man in die DDR einreisen wollte.
Für viele Menschen markiert dieser Ort die Grenze – die Grenze zu einer
neuen Zukunft: Hier in Nostorf-Horst steht ein Flüchtlingsheim, welches von
Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern betrieben wird. Doch obwohl sie sich
mitunter ein Zimmer teilen, haben diese Menschen unterschiedliche Rechte.
Anders als die Flüchtlinge aus Hamburg bekommen die aus
Mecklenburg-Vorpommern keine Versicherungskarte und sie dürfen den
Landkreis nicht verlassen. Es ist darum schwierig für sie, einen Arzt für
zu finden, von Fachärzten ganz zu schweigen. Auf dem Gelände des
Flüchtlingslagers ist zwar eine medizinische Versorgung untergebracht,
jedoch arbeiten dort nur Pfleger und Krankenschwestern des Malteser
Hilfsdienstes. Kein Arzt ist vor Ort.
Eine, die dringend auf ärztliche Versorgung angewiesen wäre, ist Ranga
Ibrahim. Die 46-jährige Ghanaerin hat sehr glasige Augen und ein weites
offenes Lächeln, das sie auch dann lächelt, wenn ihr nicht zum Lächeln
zumute ist. Vor vier Monaten hat sie ihren Antrag auf humanitäre
Flüchtlingshilfe gestellt. Eigentlich bleibt man nur drei Monate in Horst,
jetzt ist sie schon vier da.
In Berlin, wo sie in Deutschland ankam, wurde sie in der Charité behandelt,
ohne Versicherung und ohne Geld. Sie bekam Medikamente gegen Bluthochdruck,
gegen die Schmerzen in der Brust, gegen die Blasenprobleme, gegen die
Knieschmerzen, gegen die Schmerzen von ihrem Bandscheibenvorfall.
Vor allem bekam sie einen Therapeuten. Denn ohne die Therapie und die
entsprechenden Medikamente machen sich ihre psychischen Probleme bemerkbar.
Ranga Ibrahim wirkt sehr offen, auch wenn man genau zuhören muss, um sie zu
verstehen – sie hat Probleme beim Artikulieren. Was man ihr nicht anmerkt,
sind die Stimmen, die sie hört. „Ich kann nicht schlafen, die ganze Nacht
höre ich Stimmen“, klagt sie.
Ibrahim leidet unter einer gespaltenen Persönlichkeit, unter Schizophrenie,
und unter Paranoia. Vielleicht hat es mit ihrer Geschichte zu tun: Von
ihrem Vater, so erzählt sie, wurde sie an einen Mann verkauft. Dieser hatte
schon mehrere Ehefrauen und wollte sie nur als Haushaltskraft. Er zwang sie
zur Prostitution. Ibrahim kennt Wörter wie „Bluthochdruck“ und
„Blasenprobleme“, aber der Begriff „Prostitution“ ist ihr fremd. „Die…
Mann hat mich immer weiter verkauft“, heißt es bei ihr. Nie spricht sie von
„ihrem“ oder „mein“ Mann sondern nur von „diesem Mann“. Trotzdem tr…
immer noch ihren Ehering.
Ibrahim hat einen Antrag gestellt, um wieder zurück nach Berlin zu dürfen,
zurück zu ihren Freunden und zur dringend benötigten medizinischen
Versorgung. Noch steht die Entscheidung aus. Ihr Berliner Anwalt Bilal
Alkatout ist wütend über das Verhalten der Behörden: Die Atteste der
Berliner Ärzte seien einfach ignoriert worden, sagt er. Eine Anfrage nach
einer Verlassenserlaubnis, um in Berlin den Psychiater ihres Vertrauens
besuchen zu können, sei abschlägig beschieden worden. Die Behörden, sagt
ihr Anwalt, handelten „mechanisch und ohne Einzelfallempathie“.
Stattdessen ist Ibrahim einfach getürmt. Raus aus der Gemeinde, raus aus
Mecklenburg-Vorpommern, ab nach Berlin. Dort bekam sie die Behandlung die
sie brauchte. Zurück in Horst gab es Ärger, weil sie sich unerlaubterweise
entfernt hatte. Trotz Attest und Rezept bekam sie hier wieder die falschen
Medikamente: Sie bekam Atemnot und ihr Körper quoll auf. Von ihren
Krankheiten war keine Rede, nur davon, dass sie sich unerlaubt weggestohlen
hatte.
Trotz Entlassungsbrief von der Berliner Charité bekam Ranga Ibrahim bis
heute keinen Facharzt zu sehen. Nur einmal wurde sie wegen ihrer
Blasenprobleme an eine Gynäkologin verwiesen, doch die Schmerzen hat sie
noch immer.
Flüchtlinge, die aus Hamburg nach Horst geschickt werden, haben es etwas
besser. Sie dürfen den Landkreis Nostorf verlassen und nach Lauenburg
gehen, wo das Medibüro, ein Verein zur medizinischen Unterstützung von
Flüchtlingen, alle 14 Tage Sprechstunde hat.
Eigentlich ist der Staat für die medizinische Versorgung von Flüchtlingen
zuständig. Im Asylbewerberleistungsgesetz heißt es: „Zur Behandlung akuter
Erkrankungen und Schmerzzustände sind die erforderliche ärztliche und
zahnärztliche Behandlung einschließlich der Versorgung mit Arznei- und
Verbandmitteln zu gewähren.“
Offiziell regelt Hamburg es so, dass die Stadt ihre Flüchtlinge bei der AOK
Bremen anmeldet, die als erste ein Modell für diesen Fall entwickelt hat.
Von der AOK Bremen bekommen die Flüchtlinge eine spezielle
Versicherungskarte, mit der sie zum Arzt können. Jedoch verschleppt die
Hamburger Behörde derzeit das Verfahren: Die Behörde prüft, ob die
Flüchtlinge vielleicht doch Bargeld oder Wertgegenstände haben und sich so
selbst eine Krankenversicherung finanzieren können. Diese Prüfungen können
sich schon mal sechs Monate hinziehen.
Die Flüchtlinge haben nur wenig Möglichkeiten, sich gegen diese Zustände zu
wehren – sie bräuchten einen Anwalt, den sie erst einmal bezahlen müssten.
Ibrahim hat Glück gehabt: Sie hat gute Freunde in Berlin gefunden, die das
Anwaltshonorar für sie bezahlen. So kann sie hoffen, zurück nach Berlin zu
kommen.
30 Apr 2014
## AUTOREN
Frida Kammerer
## TAGS
Flüchtlinge
Hamburg
Gesundheit
Grundrechte
Unterbringung von Geflüchteten
Mecklenburg-Vorpommern
Bremen
Flüchtlinge
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