# taz.de -- Volker Perthes über Ukraine-Konflikt: „Russland sanktioniert sic… | |
> Putin zeigt sich von Sanktionen unbeeindruckt und in der Ukraine wird | |
> geschossen. Ist die Diplomatie am Ende? Im Gegenteil, meint | |
> Außenpolitik-Experte Perthes. | |
Bild: Putin-Fans auf der Krim am 1. Mai. Der russische Präsident sei seit der … | |
taz: Herr Perthes, nutzen Sanktionen gegen Russland etwas? | |
Volker Perthes: Die Nadelstiche, die Beschränkungen gegen Personen in | |
Putins Umgebung, haben bis jetzt zu keiner Korrektur der russischen Politik | |
geführt. Aber es ist zu früh, das zu beurteilen. | |
Die Ratingagenturen haben Russland fast auf Ramschstatus herabgestuft – | |
obwohl Moskau die drittgrößten Devisenreserven hat und kaum Staatsschulden. | |
Sind die Agenturen die schärfsten Waffen des Westens? | |
Nein. Das hat deren Verhalten in der Eurokrise gezeigt, als sie den | |
EU-Staaten erhebliche Probleme bereitet haben. Die Ratingagenturen drücken, | |
mehr oder weniger gut, das Gefühl von Investoren aus, ob ihr Geld sicher | |
angelegt ist. Russland sanktioniert sich derzeit vor allem selbst. | |
Inwiefern? | |
Durch den Anschluss der Krim und den Truppenaufmarsch an der ukrainischen | |
Grenze. Und indem Russland das Abkommen von Genf nicht umsetzt. Jedenfalls | |
scheint Moskau nicht auf eine Beruhigung der Lage und eine Entwaffnung der | |
Separatisten in der Ostukraine hinzuwirken. Auch wenn die Duma beschließt, | |
man könne auf Sanktionen mit der Verstaatlichung westlicher Unternehmen | |
antworten, ist das ein Signal, das zeigt: Eure Investitionen sind hier | |
nicht sicher. Dass das Kapital ein scheues Reh ist, ist ja keine Neuigkeit. | |
Putins Politik schadet der russischen Wirtschaft also mehr, als westliche | |
Sanktionen dies könnten. | |
Es gibt also schmerzhaften Druck auf die russische Wirtschaft … | |
… aber nicht durch die offiziellen Sanktionen. Dass ein paar reiche Russen | |
ihre Mastercard nicht mehr benutzen können, ist nicht ausschlaggebend. | |
Finden Sie die Maßnahmen, die es bisher gibt, angemessen? | |
Als politisches Zeichen – ja. „Danke, Herr Putin“ wäre als Reaktion etwas | |
wenig. | |
Waren Sanktionen je erfolgreich, etwa gegen Iran und Südafrika? | |
Das weiß man nicht so genau. In Südafrika scheinen die Sanktionen das Ende | |
der Apartheid beschleunigt zu haben, zusammengebrochen wäre das Regime wohl | |
sowieso irgendwann. In Südafrika hat aber die Bevölkerung, haben liberale | |
Weiße und die Mehrheit der Farbigen, die Sanktionen gegen die Regierung | |
unterstützt. Die Mehrheit in Südafrika wollte den Druck von außen. Deshalb | |
haben die Sanktionen gewirkt. | |
Das ist in Russland anders. | |
Ja, das Regime scheint seit der Krim-Aktion populärer zu sein als zuvor. Es | |
gibt in Russland zwar auch Liberale, die immun gegen diese nationalistische | |
Rhetorik sind oder zumindest warnen, dass die Konfrontation mit dem Westen | |
langfristig schadet. Oder die lieber Bildung, Industrie und Sozialsystem | |
modernisieren würden, als auf militärische Stärke zu setzen. Aber das ist | |
in Russland derzeit eine kleine Minderheit. In Iran gibt es offensichtlich | |
eine Revision der bisherigen Atompolitik. Das dürfte eher dem Wahlergebnis | |
– der Wahl Rohanis und damit einer liberaleren, weltoffeneren Option – | |
geschuldet sein als den Sanktionen. | |
Gibt es noch ein Kriterium für wirksame Sanktionen? | |
Eine offene Debatte in dem sanktionierten Staat. Sanktionen wirken über | |
Kosten-Nutzen-Rechnungen. Wenn die Kosten zu groß scheinen, gibt eine | |
Regierung nach. Wenn dieses Kalkül öffentlich in Medien debattiert wird, | |
ist das wie ein Katalysator. In Iran gab es mehr mediale Aufmerksamkeit für | |
Sanktionen wegen des Atomprogramms, als es sie derzeit in Russland gibt. | |
Also sind weitere Sanktionen gegen Moskau nicht erfolgversprechend? | |
Eher nicht. Es gibt in den USA konservative Politiker, die umfassende | |
Wirtschaftssanktionen fordern, um Moskau in die Knie zu zwingen. Das ist, | |
angesichts der Größe Russlands, schlicht unrealistisch. | |
Ist Russland eindeutig der aggressive Part in diesem Konflikt? | |
Auf der Krim waren verdeckt russische Soldaten im Einsatz, die nun Orden | |
dafür bekommen. Das hastig inszenierte Referendum, bei dem sogar die Frage | |
fehlte, ob die Krim Teil der Ukraine bleiben wolle, war eine Farce. Die | |
gewaltsame Veränderung von Grenzen ist nicht nur ein Verstoß gegen das | |
Völkerrecht, sondern auch gegen europäische Verträge, die Russland | |
unterzeichnet hat. | |
Und die EU hat keinen Anteil an der Krise? | |
Doch. Die EU ist bei der Vorbereitung des Assoziierungsabkommens mit Kiew | |
zu technisch vorgegangen und hat nicht richtig ernst genommen, dass Moskau | |
darin einen Vorstoß in die eigene Interessenssphäre sah. Die EU hat die | |
Sprengkraft übersehen. Aber das ändert nichts daran, dass Russland der | |
Unruhestifter ist. | |
Hat sich Putin eigentlich radikal verändert – von jemand, der dem Westen | |
gegenüber offen war, zum neoimperialen Autokraten? | |
Er hat in der ersten Amtszeit viel mehr von Russland als Teil Europas | |
geredet als jetzt. Aber das Autokratische gab es auch früher schon. Putins | |
Ansage, die Machtvertikale umzusetzen, ist älter … | |
Das heißt Durchregieren. | |
So kann man es übersetzen. Präsidenten, die das ganze System auf Linie | |
bringen wollen, gibt es auch im Westen. Aber dort treffen sie stets auf den | |
Widerstand starker Institutionen. Das ist in Russland anders. Dort konnte | |
Putin, um die Verfassung zu umschiffen, seinen Stellvertreter ein paar | |
Jahre Präsident sein lassen, um dann wiederzukehren. | |
Ist es möglich, dass der Westen Moskau durch diese Krise an die Seite von | |
China drängt? | |
Wenn Russland Gaspipelines nach China baut, ist das noch nichts | |
Spektakuläres. Ich sehe eine andere Tendenz: Die russische Elite denkt, | |
viel mehr als früher, das Russland sich selbst genug ist. Dass Russland | |
genug an eigener Geschichte und Kultur verkörpert und sich nicht, wie es | |
die Liberalen wollen, dem Westen andienen oder gar anpassen muss. Aber auch | |
kein kapitalistisches Einparteiensystem wie in China imitieren muss. | |
Für welche Werte steht Putin? | |
Für Tradition, die Anrufung von Mutter Russland. Deshalb hat er sich auch | |
mit der orthodoxen Kirchen verbündet. Die Ukraine passt auch in dieses Bild | |
– sie gilt ja als Wiege Russlands. Da hat sich Putin wirklich verändert: | |
Vor 15 Jahren war eher Peter der Große seine Referenz, also der Zar, der | |
Russland für den Westen öffnet. Das ist jetzt anders. Man verkauft | |
Westeuropa Gas, aber mehr nicht. Man findet das liberale Westeuropa | |
dekadent. | |
Ist das eine völkisch-nationalistische Ideologie? | |
Zum Teil. Man muss genau hinsehen. Putin ist kein Rassist. Er redet nicht | |
von Russen, sondern von Russländern. Das schließt andere Ethnien ein. Putin | |
hat auch deutlich die rassistischen Angriffe auf Tadschikenmärkten in | |
Moskau, auf Zentralasiaten und Muslime, verurteilt. Aber Putin betont sehr | |
stark das Motiv der russischen Erde und der russischen Nation. Wo Russen | |
leben, müssen sie verteidigt werden. Deshalb kommt er auch bei | |
Rechtsextremen in Westeuropa so gut an, bei Le Pen, der FPÖ und Jobbik in | |
Ungarn. Die Rechtsextremen mögen das Völkische bei Putin und sein Image des | |
starken Mannes. | |
Welche Möglichkeit hat Diplomatie noch? Ist das Abkommen von Genf tot, weil | |
sich offenbar weder im Osten noch im Westen jemand daran hält? | |
Dieses Abkommen ist nicht tot. Es war schon ein Fortschritt, dass der | |
russische und der ukrainische Außenminister überhaupt ein Abkommen | |
geschlossen haben. | |
Warum? | |
Weil es zeigt, dass Russland die Übergangsregierung in Kiew anerkennt und | |
umgekehrt Kiew akzeptiert, dass Russland als player etwas zu sagen hat. Die | |
klügste Regel für Diplomaten lautet: Wenn der erste diplomatische Schritt | |
nicht funktioniert, dann mach den nächsten. Diplomatie darf nicht aufgeben, | |
weil sie Angst hat, nicht erfolgreich zu sein. Das ist im Grunde gar keine | |
Diplomatie, sondern Schaufensterdekoration. Diplomatie ist gerade in | |
Situationen nötig, in denen die Chance zu scheitern größer ist, als | |
erfolgreich zu sein. | |
Aber ist denn konkret noch etwas im Topf an gemeinsamen Interessen? | |
Ja, durchaus. Wenn diese Krise weiter eskaliert, geht es allen schlechter. | |
Das macht den Topf ziemlich voll. | |
2 May 2014 | |
## AUTOREN | |
Stefan Reinecke | |
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