| # taz.de -- Gewalt in Beziehungen: Kratzen, beißen, spucken | |
| > Prügelnde Frauen sind in Anti-Gewalt-Projekten nicht vorgesehen. Eine | |
| > Berliner Einrichtung berät Paare, bei denen beide Partner schlagen. | |
| Bild: Wenn in Konflikten beide Partner „draufhauen“, heißt das situative P… | |
| BERLIN taz | Er hat schon wieder nicht die Spülmaschine ausgeräumt. Und | |
| auch nicht eingekauft. Dabei hatte sie ihm das doch eindeutig aufgetragen | |
| am Morgen. Sie explodiert, kaum dass sie am Abend zur Tür herein ist. Sie | |
| wirft ihm Faulheit vor, und dass er ein „Schlappschwanz“ sei. Er | |
| rechtfertigt sich: „Ich arbeite auch den ganzen Tag.“ Das hört sie nicht. | |
| Nun explodiert er und übergießt sie mit heißem Wasser. | |
| Das Paar – beide Mitte 40, Akademiker, seit zehn Jahren eine | |
| Patchworkfamilie mit insgesamt fünf Kindern – ist überfordert durch den | |
| Alltag. Der Stress sorgt dafür, dass sich die beiden Erwachsenen | |
| mittlerweile täglich gegenseitig fertigmachen. | |
| Das wollen sie nicht, und Monika Adler, die anders heißt, wendet sich an | |
| ein Antigewaltprojekt für Frauen. Dort kann man ihr aber nicht helfen, | |
| „Fälle“, wie sie einer ist, sind in der hiesigen Beratungslandschaft kaum | |
| vorgesehen. „Fälle“, in denen die Frau sagt: Ich bin aktiver Teil der | |
| Gewaltspirale. | |
| In der „Hilfeszene“ wird häusliche Gewalt vor allem als patriarchal | |
| definiert, man arbeitet nach dem Prinzip: Der Mann ist der Täter, die Frau | |
| das Opfer. „Aber so einfach ist es häufig nicht“, sagt Heike Flohr. Die | |
| Sozialpädagogin bei der katholischen Caritas in Berlin hat früher in | |
| Frauenhäusern gearbeitet. Dort hat sie Frauen getroffen, die sagen: Ich | |
| greife ihn auch an. | |
| ## In der Wissenschaft heißt das "situative Partnergewalt" | |
| Das brachte Flohr auf die Idee, Paare zu beraten, bei denen beide Partner | |
| gleichermaßen Gewalt erleiden und ausüben. Zusammen mit einem Kollegen, dem | |
| Psychologen Marcel Kruse, gründete sie im Januar 2012 das auf zwei Jahre | |
| begrenzte Pilotprojekt „Jetzt mal anders – Ohne Gewalt klarkommen“. Es ist | |
| das bundesweit einzige mit diesem Ansatz. Das Institut für Soziale | |
| Gesundheit der Katholischen Hochschule für Sozialwesen in Berlin hat es | |
| begleitet. Die Ergebnisse werden am Freitag vorgestellt. | |
| Die Paare, die zu Flohr und Kruse kamen, waren bunt gemischt wie das Leben: | |
| mit Berufsabschluss und ohne, Arbeitslose, Partner, die beengt wohnen, | |
| Menschen mit Migrationshintergrund. In der Regel sind die Männer | |
| „körperlich gewaltbereiter“, hat Flohr erfahren. | |
| Die Frauen wehren sich vor allem verbal, aber auch durch Kratzen, Beißen, | |
| Spucken. Manche zerschneiden Taschen oder werfen das Essen des Partners in | |
| den Müll. „Sie verletzten den Mann auf ihre Art“, sagt die Sozialpädagogi… | |
| Die Wissenschaft nennt dieses Phänomen „situative Partnergewalt“. Die kann | |
| in „gewöhnlichen“ Paarberatungsstellen auch Thema sein. Anders als dort sei | |
| es bei „Jetzt mal anders“ aber erlaubt, „offen darüber zu sprechen“. | |
| ## Deutsche Studien fehlen | |
| Amerikanischen Studien zufolge erleben 65 Prozent der Paare mit | |
| Gewalterfahrungen, dass in Konflikten beide Partner „draufhauen“. Seriöse | |
| deutsche Forschungen hierzu gibt es kaum. Bekannt ist vor allem eine Studie | |
| des Bundesfamilienministeriums, die die offensive Gewalt gegen Frauen im | |
| Blick hat. | |
| Danach erlebt jede vierte Frau zwischen 16 und 85 Jahren Gewalt durch den | |
| Ehemann, den Lebensgefährten oder einen anderen engen Vertrauten erlebt. | |
| Das reicht von einer Ohrfeige bis hin zu teilweise regelmäßigen und | |
| schweren Misshandlungen und Vergewaltigungen mit körperlichen und | |
| psychischen Langzeitfolge. | |
| Die wissenschaftlicher Lücke nutzen antifeministische Maskulinisten gern, | |
| um zu behaupten, dass Frauen ebenso stark Gewalt ausüben wie Männer. Damit | |
| begründen sie unter anderem den aus ihrer Sicht notwendigen Abbau von | |
| Frauenförderung. | |
| Dem widersprechen Flohr und Kruse. „Frauenhäuser brauchen wir trotzdem, der | |
| Bedarf an Männerhäusern ist insgesamt gering“, sagt Kruse. Rund 80 Prozent | |
| der Paare war mit der Beratung von Flohr und Kruse zufrieden. Diese Paare | |
| sagen: Unser Konflikt ist gelöst. Manche Paare haben sich nach der Beratung | |
| getrennt. | |
| 13 May 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Simone Schmollack | |
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