| # taz.de -- Die Wahrheit: Ich war Walter Schiel | |
| > Euro-Urne (3): Heute erklärt uns Uli Hannemann, warum er niemals FDP | |
| > wählen würde. | |
| An den Füßen trug ich Gummistiefel über karierten Kniestrümpfen. Dazu eine | |
| kurze Lederhose, auf deren Brustlatz ein röhrender Hirsch aus Plastik | |
| prangte. Mein Gesicht „zierte“ eine riesige Hornbrille, deren linkes Glas | |
| mit einem FDP-Sticker abgeklebt war. Meine Eltern waren in der FDP. | |
| Im Nachhinein frage ich mich nach dem Sinn einer Werbung, deren zentrale | |
| Botschaften Hässlichkeit und Schwachsinn lauten. Heute wäre ich in dem | |
| Aufzug König der Hipster, doch damals wurde ich dafür zu Recht verkloppt. | |
| Alle nannten mich bloß „Walter Schiel“. | |
| Wir wohnten in Bottrop-Ekel, Stacheldraht schützte das Grundstück vor | |
| Neidern. Im Keller standen mit Geld und Wertpapieren fertig gepackte Koffer | |
| bereit. Wir mussten täglich Schwyzerdütsch pauken und alle paar Monate gab | |
| es einen Probealarm: Mitten in der Nacht schrien die Eltern | |
| „Steuerfahndung“, wir rannten in den Keller, griffen die Koffer und | |
| stürzten zum Benz. Wenn alle drin saßen, war die Übung beendet. Unsere | |
| Rekordzeit lag bei 48 Sekunden. | |
| Vater war Immobilienmakler. An jedem Zehnten des Monats traf er sich mit | |
| seinen Parteifreunden. Ich muss etwa acht Jahre alt gewesen sein, als ich | |
| mich bei einem dieser Treffen hinter dem Vorhang im Wohnzimmer verbarg. Ich | |
| sah, wie Vater, der Nachtclubbesitzer Lude Langfinger, der | |
| Gebrauchtwagenhändler Stephan „Specki“ Stokowski, der Bankdirektor Armin | |
| Bröllesiel und der Stadtkämmerer Norbert „Nucki“ Thomsen beratschlagten: | |
| Arme sollten in Arbeitslager gesperrt oder für den Bau von Autobahnen und | |
| Elitegymnasien zwangsrekrutiert werden. Sie diskutierten, welche Aktien und | |
| Doktortitel sie kaufen und welche Sozialleistungen sie „nach der | |
| Machtergreifung“ streichen würden. | |
| ## Ihre Religion war das Geld | |
| Ich verstand längst nicht alles. Wiederholt fielen die Vokabeln „freie | |
| Marktwirtschaft“, „Entmietung“, „liberal“ und „Untermenschen“. Ih… | |
| Religion war das Geld, ihr Gott Genscher, ihr Sport Golf, ihr Drittwagen | |
| ebenfalls und ihre Wissenschaft Sozialdarwinismus. Das Gespräch hätte nicht | |
| nur das ganze Dorf, sondern auch die Kripo brennend interessiert. Es ging | |
| um Brandstiftung und Geld, um Mädchen und Geld, um Entlassungen und Geld. | |
| Wenn ich es richtig verstanden hatte, auch um Mord. | |
| Heiseres Lachen ertönte in der angetrunkenen Runde, als Bröllesiel mit | |
| seinen goldberingten Wurstfingern meinen Hamster Schnuffi aus dem Käfig | |
| angelte und das quiekende Tier mit den Worten „So ergeht es den | |
| Gleichmachern“ langsam zerquetschte. In meinem Versteck erstarrte ich vor | |
| Entsetzen und wagte kaum zu atmen. Sie hätten mich ebenfalls umgebracht, | |
| daran bestand kein Zweifel. | |
| Die blinde Wendy, meine einzige Freundin in der Klasse, wusste von ihrem | |
| Vater, der in der SPD war, dass es unterhalb der FDP-Zentrale einen | |
| geheimen Keller gab, in dem kleine Jungen geschlachtet, gesotten und zu | |
| Klebstoff für Wahlplakate verarbeitet wurden. Hätten sie mich erwischt, | |
| hätte mir auch mein Vater nicht geholfen. Die Parteidisziplin ging ihm über | |
| alles. | |
| 20 May 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Uli Hannemann | |
| ## TAGS | |
| Europawahl 2014 | |
| Steuerfahndung | |
| Berlin | |
| Arbeitskampf | |
| Friedrichshain-Kreuzberg | |
| Europawahl 2014 | |
| Adolf Hitler | |
| Bundeskabinett | |
| Fische | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Die Wahrheit: ¡Weg mit Wegebier! | |
| In Berlin werden jetzt Pantomimen als Ordnungshüter gegen Partytouristen | |
| eingesetzt. Die Weißgesichter greifen dabei zu ungewöhnlichen Mitteln. | |
| Die Wahrheit: Sie werfen Häuser um! | |
| Nach den Maklern streiken jetzt weitere Berufsgruppen: an vorderster Front | |
| sowohl die Straßenpsychopathen als auch die Straßenmusikanten. | |
| Die Wahrheit: Kodex Kotze | |
| Die Berliner Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann will die | |
| Touristenhorden in Friedrichshain-Kreuzberg mit einer Benimmfibel | |
| zivilisieren. | |
| Die Wahrheit: Wurst contra Latte | |
| Euro-Urne (4) Heute erklärt uns Rayk Wieland, warum er niemals die Grünen | |
| wählen würde. | |
| Die Wahrheit: Deutsch Kurzhaar | |
| Auch Adolf Hitler hat sich als Autor von Katzenkrimis versucht. Unter | |
| anderem Guido Knopps Vierteiler „Hitlers Lesebühnen“ beleuchtet diese Seite | |
| des Führers. | |
| Die Wahrheit: Preußisch Roulette | |
| Es wird gedaddelt und geschachert, gemogelt, angetäuscht, Blindgänger | |
| gehoben und Kugeln in Revolverkammern gedrückt. Das neue Kabinett steht. | |
| Die Wahrheit: Grützkopf Flipper | |
| Wie doof sind Delfine? Endlich wird schonungslos die ernüchternde Wahrheit | |
| über die angeblich cleversten Säugetiere im Meer enthüllt. |