| # taz.de -- Die Wahrheit: Kodex Kotze | |
| > Die Berliner Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann will die | |
| > Touristenhorden in Friedrichshain-Kreuzberg mit einer Benimmfibel | |
| > zivilisieren. | |
| Bild: Viele Touristen malträtieren die Berliner mit ungedämmten Rollkoffern. | |
| „You are entering the tourism sector“, steht auf dem Hochbahnviadukt an der | |
| Berliner Oberbaumbrücke gesprüht. Doch das stimmt nicht, denn man ist auf | |
| beiden Seiten der Aufschrift bereits mittendrin, in einer Art | |
| Party-Ballermann im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg. Scherben liegen auf | |
| Fahrradwegen, Grünanlagen stinken nach Urin, Hauseingänge nach Kotze, und | |
| entnervte Anwohner tun vor Lärm nachts kein Auge zu. | |
| Genau deswegen wittert die grüne Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann | |
| Morgenluft. Nach ihrem bundesweit beachteten Debakel rund um die | |
| Flüchtlingsproteste nimmt sie mit den Touristen nun die nächste Gruppe aufs | |
| Korn, die vor allem als lästiger Eindringling wahrgenommen wird. Herrmanns | |
| Idee: Im Rahmen einer Broschüre für Berlinbesucher soll ein Verhaltenskodex | |
| mehrsprachig um Rücksicht auf die Bewohner und auf verschiedene Aspekte der | |
| Sauberkeit und öffentlichen Ordnung bitten. | |
| Bei einigen Touristen ist die Bestürzung groß, als sie zum ersten Mal die | |
| kleine Fibel mit dem Titel „Vomit, Noise & Stupid Questions“ in den Händen | |
| halten. „Oh, mein Gott“, flüstert Cinderella Babies (23) aus dem | |
| australischen Darwin, und ihre Augen füllen sich mit Tränen. „Dann sind die | |
| Berliner ja traurig. Wegen mir. Wir stören sie. Das habe ich nicht gewusst. | |
| Ich fahre sofort wieder nach Hause.“ | |
| Auch John Lever (30) aus Wotzapp, New Jersey, zeigt sich einsichtig. „Ich | |
| bin sehr dankbar für diese Informationen, denn natürlich möchte ich mich | |
| korrekt verhalten. In New Jersey ist es nun mal erlaubt, sich in die | |
| Eingänge und Vorgärten mit geraden Hausnummern – das sind die sogenannten | |
| puke numbers – zu übergeben, während in die der ungeraden Nummern, den pee | |
| numbers uriniert werden darf. Dass das in Berlin völlig anders geregelt | |
| wird, muss einem ja erst mal einer sagen. Aber jetzt macht das Eintauchen | |
| in die hiesigen Bräuche so richtig Spaß. Seit ich Bescheid weiß, gehört die | |
| Benutzung von Toiletten für mich zum echten Berlin-Feeling einfach dazu.“ | |
| Andere jedoch sind empört. Sie haben bezahlt, sie wollen was sehen. Und | |
| erleben. Denn zwar gibt es auf der Welt durchaus noch restriktivere Städte, | |
| in denen das Kopulieren und Koten an öffentlichen Orten tatsächlich ganz | |
| verboten ist. Doch gerade deshalb kommen die Leute ja auch ins vermeintlich | |
| libertäre Berlin. Zum Feiern – und nicht wegen der lachhaften | |
| „Architektur“, der bösartigen „Menschen“ und des ungenießbaren „Ess… | |
| ## Haben die Deutschen nichts aus ihrer Geschichte gelernt? | |
| „Ich bin sehr enttäuscht“, befindet Rolph Alembe Ling (41) aus | |
| Nordkorea-Bissau. „Zwei Jahre habe ich auf das Ticket gespart, um einmal im | |
| Leben so richtig auf die Straße scheißen zu können. Und dann kommt diese | |
| Eva Herman und macht alles kaputt. Das hätte ich wirklich nicht gedacht. | |
| Bei uns zu Hause sind zwar das Denken des Wortes ,Homosexualität‘ sowie das | |
| Entblößen der weiblichen Pupille bei Todesstrafe verboten, aber was hier | |
| abläuft, spottet jeder Beschreibung. Dieser Verhaltenskodex ist eine | |
| Weiterentwicklung der Nürnberger Gesetze. Haben die Deutschen denn gar | |
| nichts aus ihrer Geschichte gelernt?“ | |
| Die meisten, speziell der europäischen, Touristen halten die Broschüre aber | |
| vor allem für skurril, weltfremd und wenig glaubwürdig. Das gilt nicht | |
| zuletzt für das von Bürgermeisterin Herrmann postulierte Ruhebedürfnis der | |
| Anwohner. „Bei mir zu Hause in Neapel schreien alle Leute pausenlos die | |
| ganze Nacht“, gibt Maddalena Scolari (28) mit heiserer Stimme zu Protokoll. | |
| „Sobald auch nur eine Sekunde Stille herrscht, macht man sich Sorgen. | |
| Schlafen können die Leute doch tagsüber im Büro.“ Sie schüttelt | |
| verständnislos den Kopf, bevor sie schreiend ihren Rollkoffer über das | |
| Kopfsteinpflaster zieht und dabei eine Bierflasche auf dem Radweg | |
| zerschmettert. Sie meint es nur gut, denn ein kampanisches Sprichwort | |
| besagt: „So viele Scherben im Schlauch, so viele Kinder noch im Bauch.“ | |
| Die Franzosen wiederum irritiert an Broschürenpunkt 5, „Liebe und Sex: Das | |
| Bett ist doch viel weicher als die fremde Hofdurchfahrt“, die | |
| protestantische Lustfeindlichkeit der Spaßbremsen, Sauertöpfe, Party-Pooper | |
| und Schwächel-Uschis aus dem Bezirksamt. „Also ich sehe das ja eher als | |
| unverbindliche Empfehlung“, schmunzelt Monique Leroc (25) aus | |
| Chagrin-en-Chômage. „Betten sind doch für Pussys. So krank können die | |
| boches echt nicht sein, dass sie das ernst meinen. Übrigens kann sich so | |
| ein Hauseingang auch viel weicher anfühlen, als man erst einmal denkt.“ | |
| Zumindest bei geraden Hausnummern lässt sich ihr Urteil nachvollziehen. | |
| Hier wie auch an anderen Punkten wäre Monika Herrmann sicher gut beraten | |
| gewesen, bei der Erstellung der Broschüre echte Fachleute hinzuzuziehen. | |
| 20 Aug 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Uli Hannemann | |
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