# taz.de -- Filmstart von „Welcome Goodbye“: Die Bierbikes rollen anderswo | |
> Was macht der Tourismus mit Berlin? Der Dokumentarfilm „Welcome Goodbye“ | |
> fragt Urlauber, genervte Nachbarn und begeisterte Manager. | |
Bild: Wo war gleich noch die Mauer? Touristen bei einer Stadtrundfahrt in der N… | |
Seit mehr als zehn Jahren boomt der Tourismus. Bis 2015 werden wohl 30 | |
Millionen Übernachtungen erreicht. Zusammengerechnet sind das fast | |
hunderttausend Jahre! In 133.000 verschiedenen Betten. Die halblegalen | |
Touristen, die in Ferienwohnungen (schätzungsweise 12.000), bei Freunden | |
oder im Park schlafen, sind dabei gar nicht mitgerechnet. Tagesgäste | |
(immerhin 73 Prozent aller Berlinbesucher) auch nicht. Nana A. T. Rebhans | |
Dokumentarfilm „Welcome Goodbye“ beschäftigt sich mit den schönen und nic… | |
so schönen Folgen des Tourismus in Berlin. | |
Urlauber aus vielen unterschiedlichen Ländern, moderate Tourismusgegner, | |
Urbanisten, Tourismusfachleute, Mieter, die unter Ferienwohnungen leiden, | |
kommen zu Wort. Es gibt eine Hauptfigur, Christian, ein Mann um die | |
fünfzig, der locker durch den Film führt. Er hat sich einen Job als | |
Touristenführer selbst geschaffen und bietet über eine Website | |
Berlin-Kennenlerntouren an. | |
Dabei folgt er den Wünschen der Urlauber. Mit zwei enthusiastischen jungen | |
Frauen aus Taiwan, die Berlin in zwei Tagen kennen lernen wollen, macht er | |
eine Highlighttour; mit dem Partytouristen Paul aus San Francisco geht er | |
feiern, Igor aus Mexiko hilft er, Drehorte für einen Ost-West-Kurzfilm mit | |
Sonderzug-nach-Pankow-Thematik zu finden. | |
Der dahergleitende elektronische Soundtrack passt zum moderaten Grundton | |
des Films. Ab und an sieht man zwar auch richtig feindliche Graffiti wie | |
„Touristen fisten“, doch unangenehme Bilder enthemmter Touristen auf | |
Bierbikes oder kotzend auf der Falckensteinstraße fehlen. Die Touristen am | |
Brandenburger Tor und an anderen Orten wirken eher etwas schüchtern; ganz | |
anders als die Hausbesetzer-, Freak- und Polittouristen aus den 80er | |
Jahren, die nach einer Woche schon anfingen zu berlinern und auf alle | |
herabsahen, die eine Woche später als sie nach Berlin kamen. | |
## | |
Zwischendurch gibt es Interviewschnipsel mit Fachleuten. Maxi, eine weitere | |
Hauptfigur, eine „echte“ Kreuzbergerin im kuscheligen Pullover, die in der | |
Nähe des Mariannenplatzes aufgewachsen ist, findet die ganzen | |
Ferienwohnungen „scheiße“, Reemt-Holger Ulrich, der seit mehr als 20 Jahren | |
ein Musikfachgeschäft in der Oranienstraße betreibt, klagt über Touristen, | |
die in seinem Geschäft alles „angrabbeln“ und interessierte Kunden | |
verdrängen; eine Frau, die vor zwanzig Jahren in der Kastanienallee ihren | |
Hinterhof schön gemacht hat, ist genervt, weil der Hinterhofgarten in | |
Reiseführern steht und ständig Leute kommen. | |
Der Stadtforscher Johannes Novy bemängelt, es gebe in Berlin keine | |
wirkliche Debatte über die Auswirkungen des Tourismus und es werde keine | |
richtige Tourismuspolitik gemacht. Der Kolumnist Harald Martenstein weiß: | |
„Alles, was Berlin toll macht, hat mit Armut zu tun.“ Matthias Merkle, der, | |
als er die Szenekneipe Freies Neukölln 2006 eröffnete, zur Gentrifizierung | |
beitrug, ohne es zu wollen, klagt über deren Folgen. Der Tourismusmanager | |
Burkhard Kieker wiederum begrüßt die Gentrifizierung. Andere Städte müssten | |
sich den Content erst ausdenken, und das wirke künstlich, Berlin dagegen | |
produziere „Content ohne Ende“. | |
Bazon Brock sagt den schönen Satz: „Der Tourist ist ein Weltenwanderer, der | |
durch die Verknüpfung verschiedener Orte einen Sinn im eigenen | |
Lebensvollzug, einen Sinn für das Zusammensehen der Dinge, zustande | |
bringt.“ Der berühmte Satz von dem Touristen, der das zerstört, was er | |
hofft zu finden, darf auch nicht fehlen. | |
## | |
Ein ganz wichtige Beobachtung, die der Touristenführer Christian beim Essen | |
mit netten, kreativen Halbjahresberlinerinnen aus Israel macht, geht fast | |
unter zwischen den vielen Talking Heads: „Vor fünf Jahren hab ich nur | |
Deutsche gekannt.“ Die vielen NeuberlinerInnen, die manchmal zunächst als | |
Touristen kamen, haben die Stadt vielfältiger, internationaler und | |
interessanter gemacht. Ohne die jungen Touristen wäre die berühmte Berliner | |
Clubszene längst tot. | |
Der Film ist kurzweilig. Die Bilder werben für die Stadt, ein bisschen | |
schade nur, dass vieles so moderat wirkt, dass Nana A. T. Rebhan darauf | |
verzichtet hat, aus dem Touristenbeschimpfungsvideo des „Freien Neukölln“ | |
zu zitieren, oder dass ein Aspekt, der spätestens seit den 90er Jahren eine | |
große Rolle spielt – die Verfügbarkeit von Drogen, eine halbwegs liberale | |
Drogenpolitik –, überhaupt nicht genannt wird. Oder dass klassische, nicht | |
kreative, nicht gut aussehende, unsympathische Touristen gar nicht erst | |
auftauchen. | |
29 May 2014 | |
## AUTOREN | |
Detlef Kuhlbrodt | |
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Helge Schneider | |
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