# taz.de -- Die Wahrheit: Kleines Schwimmbassin voll Tee | |
> Abwarten und Tee trinken: In Irland geht nichts ohne das Nationalgetränk | |
> und wer es nicht mag, oder nur mit Zitrone, ist unten durch. | |
Ich hatte schon viel von Seamus gehört. Er ist in seinem Dorf an der | |
irischen Westküste ein Außenseiter, die Menschen sprechen nur hinter | |
vorgehaltener Hand über ihn. Aber niemand würde öffentlich etwas sagen. | |
Liebt er Schafe? Trägt er Petticoats? Es ist viel schlimmer: Seamus hasst | |
Tee. | |
„Es fing bei mir schon als Kind an“, erzählt er. „Meine Mutter schenkte … | |
eine Tasse Tee ein, damit ich mich erwachsener fühlte, aber ich mochte das | |
Zeug nicht.“ In der Schule hänselten sie ihn, wenn er sich aus der | |
mitgebrachten Thermoskanne Kaffee eingoss, während alle anderen den dünnen, | |
doch kostenlosen Schultee tranken. | |
In irischen Haushalten wird zu jeder Gelegenheit Tee konsumiert, der | |
Wasserkessel ist immer heiß, falls unerwartet Besuch kommt. Schon Heinrich | |
Böll wunderte sich in seinem „Irischen Tagebuch“, dass die Iren bemüht | |
seien, unbedingt auch diesen Weltrekord, den sie knapp vor England halten, | |
nicht preiszugeben: „Fast zehn Pfund Tee werden jährlich pro Kopf in Irland | |
verbraucht: Ein kleines Schwimmbassin voll Tee also muss in jedem Jahr | |
durch jede irische Kehle laufen.“ | |
Irischer Tee ist etwas Besonderes. Ab 1941 gab es ein Gesetz, dass Tee | |
direkt von den Produzenten in Asien und Afrika importiert werden musste. | |
Durch Ausschalten der Zwischenhändler wollte man die Qualität des Produkts | |
garantieren und den Preis niedrig halten, damit sich jeder das | |
Nationalgetränk leisten konnte. Erst mit Irlands Beitritt zur EWG 1973 | |
musste das Gesetz aufgehoben werden. | |
In Irland trinkt man Tee mit einem Schuss Milch. Wer stattdessen partout | |
auf Zitrone pocht, ist fast so exzentrisch wie Seamus. Irischer Tee ist | |
grundsätzlich schwarz, und er muss mit kochendem Wasser aufgebrüht werden. | |
Wenn ein Ire in einem deutschen Café Tee bestellt, bekommt er vor Entsetzen | |
Pickel, denn statt des gewohnten Heißgetränks wird ihm meist eine Tasse | |
warmes Wasser und ein Tellerchen mit einem Beutel voller Teestaub serviert. | |
In den siebziger Jahren war es in Berlin für irische Gaumen noch garstiger. | |
Damals war exotischer Tee modern, der in kleine braune Schälchen mit | |
Kandiszucker gegossen wurde. | |
Áine schüttelt sich heute noch mit Abscheu. Ich hatte chinesischen Rauchtee | |
im Angebot, der schmeckte, als ob eine Makrele darin gebadet hatte. | |
Alternativ offerierte ich Vanilletee, der das Wasser kaum färbte, | |
Lakritztee oder Kirschblütentee. Ich hatte weißen, grünen und gelben Tee, | |
aber keinen ordinären schwarzen Tee. Áine war verzweifelt, aber zu höflich, | |
um sich zu beschweren. Als sie wieder zu Hause in Dublin war, soll sie | |
schon am Flughafen zwei Liter Tee bestellt haben. | |
Seamus ist von seiner Familie endgültig verstoßen worden, weil er sich eine | |
extravagante Espressomaschine zugelegt hat. Er sei eine Schande für Irland, | |
sagte sein Vater. Genauso gut könnte er auf das Grab des Nationaldichters | |
William Butler Yeats pinkeln. Seamus zieht in Erwägung, in ein Land ohne | |
Teekultur auszuwandern. Nach Deutschland zum Beispiel, dem Land der | |
Teestaubbeutel. | |
1 Jun 2014 | |
## AUTOREN | |
Ralf Sotscheck | |
## TAGS | |
Tee | |
Irland | |
Tradition | |
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