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# taz.de -- Gezi-Proteste und Kunst: Die Revolte am Leben halten
> Viele türkische Künstler haben sich vom Gezi-Protest, der sich am
> Wochenende zum ersten Mal jährte, inspirieren lassen. Eine Galerie zeigt
> ihre Werke.
Bild: So sehen sie aus, die Terroristen, von denen Erdogan spricht: Gezi-Demons…
ISTANBUL taz | „Ich liebe dieses Bild“, schrieb am Samstag der Kolumnist
der türkischen Tageszeitung Hürriyet, Ertugrul Özkök, „weil darin nichts
vom Tod ist. Im Gegenteil, es ist ein Ruf für das Leben. Es lädt uns ein zu
unserem Lebensstil, den wir während der Gezi-Proteste verteidigt haben.“
Das Bild, über das Özkök schreibt, ist zu einer ikonografischen Erinnerung
an acht junge Männer geworden. Sie alle wurden während der Proteste gegen
die Zerstörung des Geziparks getötet, [1][der sich an diesem Wochenende zum
ersten Mal gejährt hat]. Der Künstler Faruk Tarinc hat sie dargestellt, wie
sie als Gruppe lachend zusammen laufen, Lebensfreude und Optimismus
verströmend.
Auf Poster und T-Shirts gedruckt, ist die Szene mittlerweile zum
Erkennungszeichen der Gezi-Bewegung geworden – aber sie ist bei Weitem
nicht der einzige künstlerische Ausdruck, den der große
zivilgesellschaftliche Protest hervorgebracht hat. Neben unzähligen Büchern
und Fotodokumentationen, die in den letzten Monaten entstanden sind, haben
sich eine ganze Reihe von Künstlern vom Protest inspirieren lassen.
Eine Ausstellung, die vor drei Tagen eröffnet wurde, hat nun anlässlich des
ersten Jahrestags der Proteste einige zusammengeführt. Kurator ist Bedri
Baykam, einer der bekanntesten laizistischen Maler und Politaktivisten des
Landes, der sich auch innerhalb der kemalistischen Republikanischen
Volkspartei (CHP) engagiert hat. Für ihn waren und sind die Proteste ein
historischer Moment, bei dem es nicht nur um Ökologie und Stadtplanung
ging, sondern um die Grundlagen der Demokratie in der Türkei an sich.
## Mehr als Erinnerungskultur
Die Ausstellung in der Piramid Sanat Galerie unweit des Taksim-Platzes ist
eine Mischung aus plakativer Politkunst und abstrakten Adaptionen der
Proteste. Das ist einerseits Erinnerungskultur – und geht andererseits weit
darüber hinaus, etwa wenn Sehmus Atasever ein eng umschlungenes nacktes
Paar in einem apokalyptischen gelben Licht zeigt, von dem der Mann nur mit
einer Gasmaske bekleidet ist; oder wenn Emine Senses einen Baum montiert,
der aus Gezi-Bildschnipseln besteht und an Nazim Hikmets Gedicht
Menschenlandschaften erinnert.
Schon während der Proteste im Park vor einem Jahr war die kreative
Umwandlung der teils prekären Situation in Witz und Lebensfreude eine der
großen Stärken der Bewegung. Unzählige Graffitis aber auch spontan auf dem
Platz aufgestellte Kunstwerke zeugten genauso davon, wie die scheinbar so
simple Kunstaktion des „Standing man“, der nach der Räumung des Gezi im
stummen Protest auf dem Taksim über mehr als 24 Stunden regungslos
verharrte und in dieser Zeit durch YouTube Fans in aller Welt fand.
Auch heute, ein Jahr nach Gezi, ist angesichts der repressiven Übermacht
von Polizei und Regierung die Fantasie der Akteure die einzige Chance, die
Revolte am Leben zu erhalten. So bestand denn auch eine der schönsten,
symbolträchtigsten Aktionen am vergangenen Samstag darin, ein Bild fliegen
zu lassen.
Noch ehe die Polizei reagieren konnte, waren ungefähr zehn Fahrradfahrer
auf den Taksim gerollt und hatten einen großen roten Ballon aufsteigen
lassen, an dem das oben beschriebene Bild der acht getöteten
Gezi-Aktivisten aufstieg. Bevor die Polizei einschreiten konnte, waren die
Fahrradfahrer schon wieder verschwunden.
1 Jun 2014
## LINKS
[1] /Jahrestag-der-Gezi-Proteste/!139553/
## AUTOREN
Jürgen Gottschlich
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