# taz.de -- Ausstellung in Berlin: „El Dschihad“ und die Einarm-Fibel | |
> Das Deutsche Historische Museum in Berlin zeigt in „Der Erste Weltkrieg“ | |
> die Gewalt des Kriegs. Sie traf nicht nur Soldaten, sondern auch die | |
> Bevölkerung. | |
Bild: Von den deutschen Besatzern in Polen erfasste Zivilisten, Polen 1915–19… | |
„Acht bis zehn Millionen Soldaten werden sich untereinander abwürgen und | |
dabei ganz Europa so kahlfressen, wie noch nie ein Heuschreckenschwarm“, | |
schrieb Friedrich Engels 1887 in London. | |
„Die Verwüstungen des Dreißigjährigen Kriegs zusammengedrängt in drei bis | |
vier Jahre und über den ganzen Kontinent verbreitet; Hungersnot, Seuchen, | |
allgemeine, durch akute Not hervorgerufene Verwilderung der Heere wie der | |
Volksmassen; rettungslose Verwirrung unsres künstlichen Getriebs in Handel, | |
Industrie und Kredit, endend im allgemeinen Bankerott.“ | |
Das Zitat hängt im Eingangsbereich der eben eröffneten Ausstellung im | |
Deutschen Historischen Museum in Berlin und ist so erhellend wie | |
irreführend. Erhellend, weil es zeigt, dass die „Urkatastrophe“ des | |
zwanzigsten Jahrhunderts kein ungeahnter Gewaltausbruch war. „Das ist die | |
Aussicht, wenn das auf die Spitze getriebene System der gegenseitigen | |
Überbietung in Kriegsrüstungen endlich seine unvermeidlichen Früchte | |
trägt“, heißt es bei Engels weiter. | |
Irreführend ist das Zitat, weil die Ausstellung keine thesenstarke, neue | |
Interpretation des Ersten Weltkriegs, seiner Ursachen und Folgen liefern | |
möchte, sondern ganz bescheiden zeigen will, wie die entfesselte | |
Kriegsgewalt im Detail aussah. Im Detail aber zeigen sich einige Facetten | |
dieses Kriegs, die auf grausame Art wegweisend für das zwanzigste | |
Jahrhundert waren. | |
## Ein großer deutscher Held | |
„Der Erste Weltkrieg. 1914-1918“ präsentiert in 17 Abteilungen 14 Orte, an | |
denen beispielhaft die wesentlichen Themen verhandelt werden. 500 Exponate | |
haben die Ausstellungsmacher Juliane Haubold-Stolle und Andreas Mix dafür | |
versammelt. Viele Exponate stammen aus den Beständen des Museums, viele | |
sind Leihgaben aus der ganzen Welt, darunter einige aus russischen | |
Sammlungen. Multimediaguides für Erwachsene und Jugendliche erzählen die | |
Geschichten hinter den Objekten. | |
Manche sind groß, wie die Feldküche, die mitten im Parcours steht. Manche | |
sind klein und unscheinbar, wie die „Einarm-Fibel“ von Eberhard Freiherr | |
von Künssberg, die verstümmelten Soldaten etwa demonstrierte, wie man sich | |
die Fingernägel abknipst, indem man den Knipser zwischen die Oberschenkel | |
klemmt. | |
Der kaputte Helm Ernst Jüngers ist ebenso zu sehen wie zwei seiner | |
Kriegstagebücher. Eine große Fototapete der zerstörten Kirche Notre Dame de | |
Albert an der Somme. Das anatomische Modell eines weiblichen Unterleibs mit | |
Syphilis. Die zerfetzte Kartusche einer 28-cm-Granate, die den Großen | |
Kreuzer S.M.S Seydlitz traf. | |
Eine Ausgabe von „El Dschihad“, der in Berlin gedruckten „Zeitung für die | |
muhammedanischen Kriegsgefangenen“, die Teil der Strategie war, Muslime in | |
den französischen und britischen Kolonien zum Aufstand anzustacheln. Ein | |
Kinderbuch, das General Hindenburg als „großen deutschen Held“ verehrt, was | |
sich auf „über alles in der Welt“ reimt. Alle diese Dinge sprechen für | |
sich, sie werden durch ergänzende Texte nur in knapper Form erklärt. | |
## Mehr Mut zur Interpretation | |
Dieses Ausstellungskonzept funktioniert im Großen und Ganzen gut. Wenn aber | |
etwa das berühmte Gemälde von Hindenburg und Ludendorff am Kartentisch mit | |
dem Hinweis versehen wird, darauf sei der „arbeitssame Taktiker Ludendorff“ | |
in Szene gesetzt, wünscht man sich den Nebensatz dazu, dass dieser Taktiker | |
auch der Vordenker des Vernichtungskriegs war, den seine Nachfolger später | |
ins Werk setzten. Ein bisschen weniger vornehme Zurückhaltung und ein wenig | |
mehr Mut zur interpretierenden und einordnenden Aussage würden hier und an | |
manch anderer Stelle nicht schaden. | |
Zwei Abteilungen widmen sich einem Kapitel dieses Krieges, das erst in den | |
vergangenen Jahren Beachtung gefunden hat. Fotografien zeigen die | |
bürokratische Erfassung der Bevölkerung im Osten, die Flüchtlingstrecks, | |
die Deportationen und die massenhaften Hinrichtungen von Spionen, zu denen | |
man auch Frauen und Kinder zählte. Waren den russischen Truppen die Juden | |
in Galizien und anderswo schon deswegen verdächtig, weil diese sich mit den | |
deutschen Truppen verständigen konnten, so vermuteten die deutschen und | |
österreichischen Militärs potenzielle Spione oft unter den Russisch | |
sprechenden Bevölkerungsteilen. | |
In der Ausstellung kann man den Befehl des Kreishauptmanns Hundhausen in | |
Wolkowysk vom 12. März 1917 lesen. Er ordnet an, dass sich arbeitslose | |
Handwerker bei den deutschen Militärbehörden zu melden haben. Der Befehl | |
wurde auf Russisch und Jiddisch übersetzt. | |
## Ein anderer Krieg | |
Der zynische Umgang mit „Menschenmaterial“ betrifft in diesem modernen | |
Krieg nicht nur die Millionen von Soldaten, die man auf den Schlachtfeldern | |
an der Westfront buchstäblich verheizte. Er zeigte sich auch am Umgang der | |
Kriegsparteien mit der Zivilbevölkerung, in den besetzten wie den eigenen | |
Gebieten. | |
So kündigte der Oberstadthauptmann Roth von Pancsova am 26. August 1914 an, | |
dass der für sein Gebiet zuständige Armeeoberinspektor im Fall von Unruhen | |
droht, auch serbische Ortschaften diesseits der österreichisch-ungarischen | |
Staatsgrenze niederzubrennen, sowie Schuldige und Geiseln zu | |
„iustifizieren“. | |
Das ist nicht der Erste Weltkrieg, wie wir ihn kennen. Hier werden | |
Vorgehensweisen deutlich, die man, wenn auch in weitaus stärkerem Ausmaß | |
und in radikalisierter Form, mit dem Zweiten Weltkrieg verbindet. Auch das | |
ist eine Setzung. | |
## Niemand ist geschlittert | |
Alan Kramer schätzt an der Ausstellung ihre Nüchternheit. In seiner | |
Eröffnungsrede wies der Historiker auf zwei nicht mehr selbstverständliche | |
Punkte hin: Zum einen habe kein Automatismus in diesen Krieg geführt, kein | |
hydraulischer Apparat sei da selbsttätig in Gang gekommen. Vielmehr zeigten | |
Dokumente aus sechs Ländern, dass die Verantwortlichen nicht wie | |
„Schlafwandler“ in den Krieg „schlitterten“ – klarer kann man die The… | |
die Christopher Clark in seinem Buch „Die Schlafwandler“ formuliert hat, | |
nicht zurückweisen. | |
Österreich-Ungarn wollte Auflösungserscheinungen ein für allemal mit harter | |
Hand entgegentreten, das Deutsche Reich verstand diesen Krieg nicht nur als | |
Präventivkrieg, sagt Kramer, Professor am Trinity College in Dublin. Im | |
Gegensatz zu seinen Kriegsgegnern, die um Wahrung des Status Quo bemüht | |
waren, sei es dem Reich dezidiert darum gegangen, das Gleichgewicht der | |
Mächte zu verschieben. | |
„Und endlich ist kein andrer Krieg für Preußen-Deutschland mehr möglich als | |
ein Weltkrieg“, schrieb Friedrich Engels, „und zwar ein Weltkrieg von einer | |
bisher nie geahnten Ausdehnung und Heftigkeit.“ | |
5 Jun 2014 | |
## AUTOREN | |
Ulrich Gutmair | |
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