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# taz.de -- Debatte Wahl in Ägypten: So vage wie möglich
> Die EU legitimiert ein Wahlergebnis, das offensichtlich manipuliert ist.
> Denn sie will es sich mit den neuen alten Machthabern nicht verscherzen.
Bild: Feuerwerk in Kairo für den Wahlsieger – die EU feiert mit
Soll man Wahlen beobachten, von denen man weiß, dass deren
Rahmenbedingungen äußerst problematisch sind? Wo doch allein die Präsenz
von EU-Wahlbeobachtern der Veranstaltung bereits ein Stück weit Legitimität
verleiht?
Eindeutig ja, sagte die EU und hatte eine Wahlbeobachtermission zu den
Präsidentschaftswahlen in Ägypten entsandt. Selbst als deren Ausrüstung im
Vorfeld der Wahlen zunächst vom ägyptischen Zoll nicht freigegeben wurde
und die Wahlbeobachter einfach nur in ihren Hotel herumsitzen mussten,
wurde die Mission nicht abgeblasen.
Nun hat die EU ihren vorläufigen Bericht zu den Wahlen vorgelegt, und der
macht den ganzen Eiertanz der Europäer in Ägypten deutlich. Denn wie
berichtet man über Wahlen, aus denen der ehemalige Militärchef Abdel Fattah
al-Sisi als Sieger mit über 96,9 Prozent der Stimmen hervorgeht? Der EU ist
ja nicht entgangen, dass das Land politisch sehr polarisiert ist.
Nach letzten Berichten wurden 40.000 Menschen weggesperrt, und das Militär
schließt seit der Machtübernahme im letzten Sommer die Muslimbruderschaft,
als eine der stärksten politischen Bewegungen des Landes, völlig aus dem
politischen Prozess aus. 700 Menschen wurden in Schnellverfahren zum Tod
verurteilt, Journalisten werden reihenweise verhaftet.
## Lauter Floskeln
Die EU hat offensichtlich beschlossen, so vage wie möglich zu bleiben. Sie
will niemanden in Ägypten vor den Kopf stoßen und doch ein bisschen Kritik
äußern. So ist im europäischen Wahlbericht für jeden etwas dabei, vor allem
aber finden sich viele europäische Floskeln. So müsse der „politische Raum�…
in Ägypten ausgeweitet werden und es stehe die „Einbindung aller
politischen Kräfte“ an. Gleichzeitig hoffe man, dass sich Ägypten weiterhin
auf der Roadmap zur Demokratie befände. Da waren die Wahlbeobachter von
Democratic International wesentlich deutlicher. „In Ägyptens repressiver
Atmosphäre sind wirklich demokratische Wahlen ein Ding der Unmöglichkeit.“
Punkt.
Die umstrittenste Frage für die Wahlen selbst war die Wahlbeteiligung, die
offiziell mit 47,45 Prozent angegeben wird. Eine Zahl, die nicht damit
korrespondiert, dass die ägyptischen Medien angesichts der sichtbar relativ
leeren Wahllokale bereits nach dem ersten Wahltag vollkommen hysterisch
appellierten, doch bitte zu den Urnen zu kommen. Ein Moderator kündigte an,
seine Pulsadern vor laufender Kamera aufzuschneiden, wenn die Leute nicht
wählen gingen, ein anderer bot an, die Füße aller Wähler zu küssen. „Wer
nicht wählen geht, ist ein Geburtshelfer des Terrorismus“, warnte gar ein
anderer militärnaher Sender.
## Windelweiche Wahlbeobachter
Um die Wahlperformance zu verbessern, erklärte man den zweiten Wahltag
kurzerhand zum Feiertag, um dann völlig überraschend noch einen dritten
dranzuhängen. Wohlgemerkt nicht weil der Andrang zu groß, sondern zu klein
war.
Und was sagen die EU-Wahlbeobachter dazu? Der dritte Wahltag hätte zu
„unnötigen Verunsicherungen“ geführt, heißt es in ihrem Bericht.
EU-Chefwahlbeobachter Mario David erklärte, die Verlängerung der Wahlen
hätte deren Glaubwürdigkeit nicht beschädigt, denn diese Maßnahme bewege
sich durchaus im gesetzlichen Rahmen.
Erneut waren die Wahlbeobachter von Democracy International wesentlich
deutlicher und beschrieben das Ganze zu Recht als einen weiteren Schritt,
der die Legitimität der Wahlen aushöhlte. Der Vorsitzende von Democracy
International, Eric Bjornlund, erklärte, dass seine 86 Beobachter keine
große Wahlbeteiligung ausgemacht hätten, „man aber darüber keine
qualitativen Aussagen treffen könne“. Zum Vergleich der EU-Bericht dazu:
„Die ägyptische Wahlkommission hat uns informiert, dass die Wahlbeteiligung
bei der Veröffentlichung dieses Berichts 47 Prozent betragen hat.“ In einem
Gespräch bezeichnete der EU-Chefwahlbeobachter die Zahl als glaubwürdig.
Seine 150 Wahlbeobachter dürften aber Schwierigkeiten gehabt haben, sich
bei 14.000 Wahllokalen ein Bild zu machen.
Mit ihrer Wahlbeobachtermission hat sich die EU in eine No-win-Situation
manövriert. Gegner al-Sisis, wie etwa die Bewegung 6. April, ein
Zusammenschluss junger säkularer Tahrir-Aktivisten, werfen den Europäern
vor, die Wahlen mit ihrer Mission legitimiert zu haben. Die wachsweichen
Aussagen des Berichts geben ihnen recht. Die EU muss sich die Frage
gefallen lassen, welchen Sinn eine Wahlbeobachtung hat, wenn sie so
entscheidende Fragen wie die Wahlbeteiligung nicht unabhängig evaluieren
kann.
## Militär ist nun ungehalten
Aber auch Militär und regierungsnahe Kreise sind über die
Wahlbeobachtermission ungehalten, weil sich in dem Bericht auch einige
kritische Töne über die Rahmenbedingungen der Wahl finden. Das sei Teil
einer westlichen Verschwörung, die Muslimbruderschaft zu unterstützen und
Ägypten zu schwächen, lautet das bizarre Argument aus dieser Ecke. Bei
einer regierungsnahen Veranstaltung, in der der Bericht der Wahlbeobachter
diskutiert wurde, waren die EU-Vertreter gar als „Feinde Ägyptens“ aus dem
Saal geworfen worden.
Ägypten fordert die Europäer heraus, sich zwischen seinen Werten und seinen
Interessen zu entscheiden. Gemäß den allgemein hochgehaltenen Werten hätte
die EU den Wahlen nicht einmal den Hauch einer Legitimität verleihen
dürfen. Gleichzeitig steht es aber in ihrem Interesse, mit den neuen
Machthabern im Gespräch zu bleiben. Dass die EU intern zu keiner
einheitlichen Position findet, macht das Problem nicht kleiner.
Trotzdem will sie beides: moralisch als Wiege der Demokratie ernst genommen
werden und gleichzeitig die Realität anerkennen, dass man es nun auf
absehbare Zeit mit dem antidemokratischen Feldmarschall al-Sisi an der
Spitze des wichtigsten arabischen Staates zu tun haben wird. Da hält man
sich lieber alle Türen offen.
Doch genau das ist gründlich schiefgegangen. Denn die EU hat es mit ihrer
Beobachtungsmission geschafft, es sich in Ägypten mit allen Seiten zu
verscherzen.
5 Jun 2014
## AUTOREN
Karim Gawhary
## TAGS
Ägypten
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Abdel Fattah al-Sisi
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