| # taz.de -- Ägyptens Präsidentschaftskandidat: Der aufbrausende Herr Sisi | |
| > Am Montag beginnt in Ägypten die Präsidentenwahl. Abdel Fattah al-Sisi | |
| > steht als neuer Staatschef schon so gut wie fest. | |
| Bild: Nicht bei allen Wählern beliebt: al-Sisi-Wahlplakat. | |
| KAIRO taz | Eigentlich erinnert das Ganze mehr daran, dem Pharao zu | |
| huldigen, als an eine Präsidentschaftswahl. Vielleicht liegt es an den | |
| Papppyramiden auf der Nilbrücke in Kairo, von denen der | |
| Präsidentschaftskandidat Abdel Fattah al-Sisi dem Wahlvolk milde zulächelt. | |
| Oder an dem medialen Hofstaat, der ihm nun seit Monaten zu Füßen liegt, der | |
| ihn bereits vor seiner Kandidatur angefleht hatte, das Ruder zu übernehmen | |
| und der al-Sisi als Retter der Nation präsentiert. Schließlich klingt es ja | |
| ganz wunderbar, dieses „Sisi Raisi“ – „Sisi ist mein Präsident“. | |
| Es bestehen keine Zweifel, wer das Rennen macht, wenn die Ägypter am Montag | |
| und Dienstag aufgerufen sind, einen neuen Präsidenten zu wählen. Al-Sisi | |
| ist der Kandidat des Staates und seiner Institutionen, allen voran des | |
| Militärs und des Sicherheitsapparats. | |
| Sein einziger Gegenkandidat, Hamdeen Sabahi, ist chancenlos; die größte | |
| politische Gruppierung des Landes, die den letzten gewählten Präsidenten, | |
| Mohammed Mursi, gestellt hatte, wurde zur Terrororganisation erklärt und | |
| ist nicht nur von den Wahlen, sondern vom gesamten politischen System | |
| ausgeschlossen. | |
| ## Der eigentliche Herrscher | |
| „Irgendwie fühlt es sich an, als sei al-Sisi seit letztem Sommer bereits | |
| der eigentliche Herrscher Ägyptens“, fasst Amira Ahmad zusammen, leitende | |
| Redakteurin bei der Internetnachrichten-Plattform Mada Misr, einem der | |
| wenigen journalistischen Projekte des Landes, in dem noch unabhängig und | |
| kritisch gearbeitet wird. Denn eigentlich gehe es darum, alles zu | |
| legitimieren, was seit letztem Sommer geschehen ist. | |
| Das beinhaltet einen Militärputsch und nach offiziellen Zahlen mindestens | |
| 640, wahrscheinlich aber weit über tausend Todesopfer nach der Auflösung | |
| der Protestlager der Muslimbrüder und Putschgegner im August. Inklusive der | |
| schätzungsweise 20.000 Menschen, die seitdem hinter Gitter sitzen. | |
| Al-Sisis Fernsehauftritte in den letzten Wochen waren allesamt | |
| voraufgezeichnet und zurechtgeschnitten. In vorauseilemden Gehorsam | |
| stellten die Journalisten dem allmächtigen Militär erst gar keine | |
| kritischen Fragen. „Das waren keine normalen Interviewsituationen, sagt | |
| Amira Ahmad. „Die Fragenden sind extrem vorsichtig, wie wenn sie mit einem | |
| Offizier an einer Straßensperre sprechen.“ | |
| Der 59-jährige al-Sisi ist ein reines Militärprodukt, vom Militärgymnasium | |
| bis zum Stabschef und Verteidigungsminister; er sieht sich als eine Art | |
| militärisch-preußische Vaterfigur, die Ägypten nicht dem kindlichen Volk | |
| überlassen kann. Vor einer Gruppe von Offizieren erklärte er in einer | |
| Aufnahme, die der Öffentlichkeit zugespielt wurde, dass das Militär „wie | |
| ein großer Bruder oder ein Vater ist, der einen gescheiterten Sohn hat, der | |
| die Fakten des Lebens nicht erkennt“. Er appellierte an die Offiziere, | |
| geduldig zu sein: „Bringt ein Vater seinen Sohn um, oder schützt er ihn und | |
| ist geduldig mit ihm, bis der Sohn schließlich versteht?“ | |
| ## Ausführliches Wahlprogramm? Fehlanzeige | |
| Wer sich vom Wahlkampf erhofft hatte, ein paar konkrete Hinweise zu | |
| bekommen, wie al-Sisi das Land zu führen gedenkt, wurde schnell enttäuscht. | |
| Noch bei seiner Nominierung als Kandidat hatte er zwar erklärt, die Ägypter | |
| hätten das Recht, zu wissen, wie er sich die Zukunft vorstelle, und | |
| kündigte an, dass er in einem ausführlichen Wahlprogramms seine | |
| Vorstellungen klar darlegen werde, wie er in Ägypten einen demokratischen | |
| und modernen Staat entwickeln will. | |
| Aber dann teilte er mitten im Wahlkampf im Fernsehen mit, dass er sein | |
| Programm und seine Pläne für das Land aus „Gründen der nationalen | |
| Sicherheit“ nicht öffentlich diskutieren wolle, um Ränkeschmieden und | |
| Verschwörern keinen Raum zu geben. Seine Anhänger auf einer | |
| Wahlkampfveranstaltung im Norden Kairos zeigen Verständnis. | |
| „Natürlich werde ich al-Sisi wählen“, sagt der Journalist Aiman Said. Er | |
| verstehe, dass dieser seine Pläne im Interesse der nationalen Sicherheit | |
| nicht offenlegen wolle, schließlich befinde sich das Land im Krieg und | |
| werde von der Türkei, von Libyen, dem Sudan und den Palästinensern aus | |
| angegriffen. Andere fügen der Liste noch die USA, Iran, Katar, Israel und | |
| Europa hinzu. Es ist diese Art von Paranoia, mit der die Medien seit | |
| Monaten Stimmung machen. | |
| „Al-Sisi braucht kein Programm, weil er ein Kandidat der Notwendigkeit ist | |
| und wir nicht in einer traditionellen Zeit leben. Sein Programm ist die | |
| Krise, in der wir leben“, verteidigte ihn die Journalistenikone Hassanein | |
| Heikal. Die leitende Mada Masr-Redakteurin Amira Ahmad sieht das deutlich | |
| kritischer. „Sie haben monatelang das Image al-Sisis aufgebaut, jedes Mal, | |
| wenn er jetzt redet, kann das potentiell an seinem Image kratzen, also gibt | |
| er sich bedeckt“, meint sie. Dennoch wurde selbst in den aufgezeichneten | |
| Interviews immer wieder deutlich, wie schnell al-Sisi aufbrausen kann. Wenn | |
| ihm nur eine andeutungsweise kritische Frage gestellt wird, fährt er dem | |
| Interviewer schnell über den Mund. | |
| ## Der Muslimbruderschaft den Krieg erklärt | |
| Einge Dinge sind dennoch deutlich geworden. „Unter meiner Amtszeit wird es | |
| so etwas wie die Muslimbruderschaft nicht geben“, legte sich al-Sisi gegen | |
| jegliche politische Aussöhnung des polarisierten Landes fest. Er hat der | |
| Muslimbruderschaft den Krieg erklärt und will bei dieser Linie, die in den | |
| letzten Monaten für so viel Unruhe gesorgt hat, bleiben. | |
| Wirtschaftlich und sozial hat er keine wirkliche Strategie, glaubt | |
| Redakteurin Amira Ahmad. Es sei die alte Struktur der systematischen | |
| Korruption mit vielen schwarzen Löchern in den Ministerien und einer total | |
| intransparenten Armee. „Es wird viel Geld aus den Golfstaaten fließen, und | |
| ein paar große Schauprojekte werden begonnen. Und dann kommt sicher schnell | |
| wieder die Frage, warum das Geld von oben nicht nach unten durchsickert“, | |
| sagt sie. | |
| ## Enger Gürtel ums Skelett | |
| Al-Sisis wichtigster Wirtschaftspunkt klingt in einem Land, in dem vier von | |
| zehn Ägyptern mit etwas mehr als einem Euro am Tag auskommen müssen, leicht | |
| realitätsfremd: „Bevor ihr frühstückt“, forderte er in einem TV-Auftritt | |
| von jungen Ägyptern, „müsst ihr euch fragen: Was habt ihr für Ägypten | |
| getan?“ Statt zu protestieren und zu streiken, sollen die Ägypter härter | |
| arbeiten, lautet das Credo des Mannes, der seinen Putsch mit den | |
| Massenprotesten gegen den ehemaligen Präsidenten Muhammad Mursi | |
| legitimiert. | |
| Ein gefundenes Fressen für Ägyptens bekanntesten Satiriker, Bassem Yussuf, | |
| der al-Sisi in einer Kolumne genüsslich daran erinnert, dass die | |
| Muslimbruderschaft in Mursis Amtszeit Streiks mithilfe von Fatwas als | |
| unislamisch deklarierte. | |
| „Es ist, als ob al-Sisi Ägypten als eine virtuelle und mystische Existenz | |
| sieht, die nur am Leben erhalten werden kann, wenn die Jugendlichen ihr | |
| eigenes Leben und Auskommen vergessen und sich diesem mystischen Etwas | |
| opfern“, schreibt er und schließt: Al-Sisis Konzept könnte tatsächlich | |
| aufgehen, wenn „der Bürger gut gelaunt ohne Frühstück loszieht. Und währe… | |
| er zufrieden lächelt, schnallt er den Gürtel noch enger um sein Skelett.“ | |
| 26 May 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Karim Gawhary | |
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