# taz.de -- Karneval in Kreuzberg: Samba, Samba den ganzen Tag | |
> Alles wie immer beim Umzug? Nicht ganz: Den Wagen des Yaam führen | |
> Flüchtlinge an. Außerdem war es superheiß. | |
Bild: Huch, da ist ja ein Fußball! Wie das wohl kommt? | |
Die ersten Schaulustigen haben sich am Hermannplatz postiert. Eine arabisch | |
sprechende Familie hat sich Campingsessel in schwarz-rot-gold mitgebracht, | |
einige Rentner haben auf der kleinen Sitztribüne gleich ganze Stuhlreihen | |
mit Gehstöcken reserviert. Die Sonne brennt mittags um halb eins mit voller | |
Kraft, und die Zuschauer haben noch einiges vor sich: Der Karneval der | |
Kulturen startet hier, und die letzten Wagen des kilometerlangen Umzugs | |
werden erst gegen 17 Uhr losfahren. | |
Zunächst aber wünscht die Polizei den Gästen über Megafon viel Spaß. Dann | |
geht es los: Mit vielen Trommeln, TänzerInnen und einem großen grünen | |
Frosch führt die Sambaschule „Sapucaiu No Samba“ wie schon in den | |
vergangenen zwei Jahren den Umzug an. Langsam kommt der Zug in Fahrt, die | |
Menge schließt sich an – auch wenn dafür die bequemen Schattenplätze | |
verlassen werden müssen. | |
Eine Stunde später und drei Kilometer weiter beim Straßenfest am | |
Blücherplatz ist die Stimmung genauso gut. Aus dem zweiten Stock eines | |
Hauses schießt jemand mit einer Wasserpistole in die Menge, die das jubelnd | |
begrüßt. Abkühlung, die wichtig ist: Bis 16 Uhr werden die Sanitäter | |
bereits zwölf Menschen ins Krankenhaus bringen müssen, meist wegen | |
Überhitzung und Dehydrierung. | |
Viel trinken tun die meisten, allerdings hat der Großteil eher einen Becher | |
Caipirinha als eine Flasche Wasser in der Hand. Verkauft werden die | |
Getränke nicht nur an den Ständen des Straßenfests, die außerdem von | |
Leberkäse bis Räucherstäbchen so ziemlich alles feilbieten, was in die | |
Kategorie kulturelle Erzeugnisse passt. Auch die Spätkaufs und manche | |
AnwohnerInnen am Straßenrand machen ein gutes Geschäft. In der Zossener | |
Straße bieten ein paar Kinder ihre alten Spielsachen an, ein | |
Antiquitätengeschäft nutzt den Tag für einen Räumungsverkauf. Ein | |
Bekleidungsladen um die Ecke hat nur für manche geöffnet: „Rein kommt, wer | |
nett und nicht nach Ordnungsamt aussieht“, sagt der Besitzer, drinnen gibt | |
es dann erst mal ein Glas Sekt. | |
Sekt, Bier, Caipi: Je länger der Tag, desto betrunkener die Gäste. Die | |
meisten sind trotzdem friedlich, nur vereinzelt wird gepöbelt. Eine Gruppe | |
junger Frauen hat sich ihre Cocktails inklusive Orangenscheiben in | |
Marmeladengläsern mitgebracht, „ist praktisch, weil man die zwischendurch | |
zuschrauben und in die Handtasche stecken kann“, sagt eine von ihnen. Die | |
fünf drängen sich durch die Menge, hier geht es nur schiebend voran. | |
Rund eine dreiviertel Million Menschen sind laut Veranstalter gekommen, das | |
Publikum ist hier so gemischt wie beim Karneval üblich. Erst zum Schluss | |
des Umzugs wird es langsam homogener: Dort, wo Clubs wie das Ritter Butzke | |
ihre Wagen haben, bleibt das junge Partyvolk unter sich. | |
„Alles wie immer beim Karneval“, finden zumindest die jungen Männer, die | |
hinter den Lautsprecherboxen des „Yaam“ tanzen. So ganz stimmt das | |
allerdings nicht, denn direkt vor ihrem Wagen gibt es eine Premiere: | |
Flüchtlinge von der Gruppe „Lampedusa in Berlin“ führen die Yaam-Formation | |
an, viele von ihnen verteilen Flyer, auf denen sie über ihren Protest | |
informieren. „Wir sind hier, weil wir zeigen wollen, dass wir ein Teil | |
dieser Stadt sind“, sagt Sprecher Bashir Zakariyar, „und weil wir nicht nur | |
kämpfen, sondern auch gemeinsam feiern wollen.“ | |
Der Wagen des Yaam gehört zu den letzten der insgesamt 84 Formationen, das | |
Ende des Zugs wird erst gegen 21 Uhr den Abschlussort am Mehringdamm | |
erreichen. Hinter dem Zug wird die vermüllte Straße sichtbar. Es wird eine | |
Weile dauern, bis hier aufgeräumt ist. Den allerletzten Abschluss des Zugs | |
bilden die, die damit schon mal anfangen: Mit Einkaufswägen und Sackkarren | |
machen sich die Flaschensammler an die Arbeit. | |
9 Jun 2014 | |
## AUTOREN | |
Malene Gürgen | |
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