# taz.de -- Fasching in Berlin: Lustiger wird's nicht | |
> Noch kürzer, noch leiser, noch sauberer: Der Berliner Faschingszug stellt | |
> selbst hartgesottene Fans auf die Probe. Aber die gibt's immerhin. | |
Bild: Seit Jahren dabei, allen Widrigkeiten zum Trotz: Matrose Dirk Schnell aus… | |
Um 11:11 Uhr meldet sich als erstes die Polizei. "Bitte gehen Sie von der | |
Fahrbahn!", befiehlt eine barsche Lautsprecherstimme - als ob sie einen | |
wildgewordenen Mob beruhigen müsste. Dabei stehen grade mal einige Hundert | |
Schaulustige auf der Hardenbergstraße am Bahnhof Zoo. Friedlich und vor | |
allem nüchtern wartet die Menge auf den Faschingszug. Verkleidet sind meist | |
nur die Kinder, gesungen wird nicht, Getränke muss man selber mitbringen. | |
Freunde des närrischen Treibens haben es von jeher schwer in der Hauptstadt | |
des Preußentums. Aber in den letzten Jahren werde es immer trauriger, sagt | |
Bettina Schnell, gebürtige Berlinerin, die seit 30 Jahren Karneval feiert, | |
vorzugsweise im Rheinland. "Es gibt keine laute Musik, weil sich die Hotels | |
beschweren, kein Konfetti, weil die BSR da nicht mitmacht - und die Route | |
ist auch anders wegen des neuen Hotels." Die Enddreißigerin im Clown-Kostüm | |
zeigt in Richtung Waldorf-Astoria. Sobald ihre Tochter Laura älter sei, | |
führen sie wieder nach Düsseldorf zum Feiern, fährt sie fort, und | |
streichelt der achtjährigen Prinzessin über den Kopf. "CSD und Karneval der | |
Kulturen werden groß gemacht, aber hier geht nichts. Das ist das Gegenteil | |
von Toleranz", ergänzt kopfschüttelnd Ehemann Dirk, ein Matrose mit | |
schwarzer Wollmütze. | |
Tatsächlich kämpft der Berliner Faschingszug seit dem vorigen Jahr mit | |
verschärften Lärmvorschriften. Weil er - anders als Karneval der Kulturen | |
und CSD - von der Verwaltung nicht als "kulturell bedeutsam" eingestuft | |
wird, darf die Lärmobergrenze an diesem Sonntag 75 Dezibel nicht | |
überschreiten. Konfetti wird seit Jahren nicht mehr geworfen, die | |
Beseitigung durch die BSR wäre zu teuer. Schon so kostet der Umzug nach | |
Angaben des Festkomitees 40.000 Euro, die die Vereine aufbringen müssten - | |
das Land Berlin gibt keine Unterstützung. Der Gipfel für Berliner Narren | |
aber ist, dass der RBB in diesem Jahr erstmals nicht mehr live berichtet. | |
Dabei sei der Zug vor zwei Jahren extra wegen der Übertragung eine Woche | |
vor den Karneval im Rest der Republik verlegt worden, beklagte sich ein | |
Brandenburger Narr im Tagesspiegel. | |
Die Widrigkeiten der Berliner Politik sind selbstredend auch Thema beim | |
Umzug, der sich gegen 11:30 Uhr vom Steinplatz Richtung Zoo in Bewegung | |
setzt. Viele der 50 mitlaufenden Gruppen befassen sich - getreu dem | |
diesjährigen Motto "BERlin - Hei-Jo: Wir starten durch!" - mit dem Desaster | |
um den Hauptstadtflughafen. Die Rosengarde etwa titelt auf ihrem Wagen: | |
"Sie kriegen ihn nicht hoch" (fast wortgleich lautete vor einem Jahr auch | |
eine taz-Schlagzeile). Dazu läuft aus dem Lautsprecher das rheinische | |
Karnevalslied "Schade, dat is aber Schade". Ein paar Gruppen später | |
versucht der Sprecher des Carneval Club Lichtenberg (CCL) Stimmung zu | |
machen: "Es fliegt noch nichts vom BER, aber hier fliegt gleich was, wenn | |
eure Arme in die Luft fliegen", animiert er die Zuschauer sich nach Kamelle | |
zu strecken. | |
Der Einheizer der Rüdersdorfer Karnevals Gesellschaft fordert die Menge | |
dagegen auf, mit ihren Smartphones Fotos vom Umzug zu machen und an den RBB | |
zu mailen. "Damit die sehen, was sie hier verpassen." Trotzig klingt auch | |
das Lied, das er zuvor angestimmt hat, mit dem Refrain: "Ich setz' mir eine | |
Nase auf streck' der Welt die Zunge raus". Das hebt weder am Straßenrand | |
die Stimmung noch bei den sieben langbeinigen Funkemariechen, die - in | |
einer Reihe untergehakt - dem schnauzbärtigen Sänger folgen. | |
Aber gute Laune bringt man als geübter Narr ohnehin selber mit. So wie | |
Silvia Großmann und ihre vier Freundinnen: "Wir verkleiden uns einfach | |
gerne", erklärt die grün-blaue Raupe strahlend. Marienkäfer Monika Affeld | |
ergänzt: "Wir feiern seit über zehn Jahren zusammen." Man kenne sich vom | |
Dauercampen in Kagel-Finkenstein östlich von Berlin, da feierten sie auch | |
im August Weihnachten und im April nochmal Fasching. Aber im Prinzip sei | |
Karneval in Berlin schon eine traurige Sache, so Affeld: "Die Berliner | |
feiern nicht so gerne." Die Frauen schon: Zum Aufwärmen stoßen sie mit | |
Kurzen an, die Erdbeere macht Fotos. | |
Ein paar Meter weiter erklärt ein Mann in blauer Nike-Jacke und zackigem | |
Kurzhaarschnitt einer jungen Hexe: "Köln hat nur eine Million Einwohner und | |
so viele kommen auch zum Rosenmontagszug. Da verkleidet sich jeder, auch | |
die Erwachsenen." Wie zum Beweis kommt kurz darauf der große Wagen des 1. | |
Karnevalsstammtisch Wilmersdorf, von dem - mit gefühlt deutlich mehr als 75 | |
Dezibel - der Kölsche Karnevalshit schallt: "Die Karavane zieht weiter, der | |
Sultan hät Dosch." Tatsächlich hört man nun einige Karnevalisten mitsingen, | |
die grün-weiß-gekleidete Rentnertruppe wirft fleißig Kamelle vom Wagen. | |
Eine alte Dame mit grünem Filzhut und Damenbart - beides offensichtlich | |
kein Kostüm - lacht. "Morgen können die alten Damen auf dem Weg zur | |
Physiotherapie hier wieder reichlich Bonbons aufheben." Sie selbst könne ja | |
wenig mit Karneval oder Fasching anfangen, sie sei nur hier, weil sie sich | |
mit ihrem Mann ohnehin die Beine vertreten wollte. "Wir Berliner sind | |
anders. Wir haben auch Humor, aber eher schwarzen", sagt die "Ur-Berlinerin | |
in der 3. Generation". | |
Eine gute Stunde nach Beginn biegt um halb eins die letzte Gruppe um die | |
Ecke Hardenbergstraße/Joachimshalterstraße. Vom schwarz-gelben Wagen des | |
Berliner Karnevals-Verein 1968 e.V. verteilt das Prinzenpaar Frank I und | |
Claudia I großzügig Kamelle. Zwischendurch nestelt Claudia an dem | |
voluminösen weißen Schal um ihren Hals. Die Prinzessin hat sich erkältet. | |
Und dann kommen die Kehrmännchen eines privaten Reinigungsdienstes. Mit | |
lautem Gebläse treiben sie den wenigen Müll vom Bürgersteig auf die Straße, | |
wo ihn die Wagen sogleich einsammeln. Marienkäfer-Frau Monika Affeld zieht | |
eine gemischte Bilanz: "Schön war's. Aber noch kürzer als sonst." Und eilt | |
Richtung Kudamm, um den Zug noch einmal zu sehen. | |
3 Feb 2013 | |
## AUTOREN | |
Susanne Memarnia | |
Susanne Memarnia | |
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