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# taz.de -- Autonomie: Mit dem Rücken zur Wand
> Das Bremer Museum Weserburg kämpft gegen eine Fusion mit der Kunsthalle.
> Nun wehrt es sich künstlerisch mit neuen Leihgebern.
Bild: Hier schmilzt der Künstler: "Verwandlung" von Franticek Klossner.
BREMEN taz | Hier geht es, kurz gesagt, um Leben und Tod. In der Kunst. Und
für den Ort, an dem sie spielt. Und das alles ist natürlich kein Zufall.
„Existenzielle Bildwelten“ heißt die Ausstellung in der Bremer Weserburg,
zu sehen sind fast 50 zeitgenössische KünstlerInnen, die der Hamburger
Sammler Rik Reinking zusammengetragen hat. Sie konfrontieren uns, ganz
unmittelbar, mit unserem Umgang mit den Toten, dem Sterben. Und sie loten
die Grenzen der materiellen Wirklichkeit aus. Zugleich ist die Ausstellung
eine eindrucksvolle Antwort auf die Frage nach der Zukunft des ersten
europäischen Sammlermuseums.
Und die steht gerade mächtig infrage. Seit langem schon wird in Bremen
darüber gestritten, ob die Weserburg nun saniert wird und auf dem Teerhof
bleibt, einer Halbinsel in der Weser, zwischen Alt und Neustadt gelegen.
Die scheinbar charmante Alternative: Die Weserburg, das etwas verwinkelte
Museum für moderne Kunst, zieht aus dem jetzigen Standort, der ehemaligen
Kaffeerösterei aus, zusammen mit seinen Untermietern, der renommierten
Gesellschaft für Aktuelle Kunst (GAK) und dem bedeutenden Studienzentrum
für Künstlerpublikationen, dem einzigen echten Museum im Museum.
Neubaupläne wurden lanciert und verworfen, ein Direktor musste gehen, nicht
ohne dafür noch einmal viel Geld zu bekommen. Nun wird ein kleiner Neubau
in der Bremer Kulturmeile debattiert, gegenüber der altehrwürdigen
Kunsthalle. Und die würde dann auch die Geschäfte der stark eingedampften
Weserburg mit besorgen, nebenbei.
## Die Drohkulisse steht
Kunsthallen-Direktor Christoph Grunenberg hat sich schon öffentlich als
Direktor beider Museen beworben. Sein Chef, der Vorsitzer des privaten
Kunstvereins, der die Kunsthalle trägt, bezeichnete im Weser Kurier einen
Umzug der Weserburg jüngst gar als „unabdingbar“ – wegen der „notwendi…
Rationalisierungen“. Auch die örtliche Politik hegt klare Sympathien für
eine solche Lösung, hält sich aber bedeckt, denn offiziell will man erst am
Jahresende entscheiden.
Der Debatte tut das keinen Abbruch. Immer wieder melden sich Befürworter
der einen wie der anderen Lösung zu Wort – so wie jetzt die Bremer
Hochschule für Künste, die klar gegen eine Zusammenlegung beider Museen
votiert. Um Kunst geht es meist nur noch vordergründig. Es ist eine quälend
lange Standortdebatte, zum Schaden jener, denen sie sich verpflichtet
sieht.
Natürlich kämpft der arg in die Defensive geratene Peter Friese, der
kommissarische Direktor der Weserburg, für die Eigenständigkeit seines
Hauses, auch über seine 2017 anstehende Verrentung hinaus. Weil aber
Appelle in eigener Sache schnell verhallen, positioniert er das
Sammlermuseum nun rasch inhaltlich neu, auch um die konzeptionellen
Versäumnisse seines beliebten Vorgängers wieder wettzumachen. Dabei steht
er mit dem Rücken zur Wand: Perspektivisch ist die Weserburg aufgrund
struktureller Unterfinanzierung und früherem Missmanagement von Insolvenz
bedroht. Weil die Sparpolitik es so will. Soweit zum Drohpotenzial.
## Lebende Kunst
Nun will Friese beweisen, dass die Weserburg mehr wert ist, als bloß eine
Abteilung der Kunsthalle zu sein. Kommen wir also zurück zur Kunst. Da ist
die Sache mit Tattoo, natürlich. Zur Eröffnung der „existenziellen
Bildwelten“ saß ein Mann namens Tim im Museum, in dessen Rücken ein Bild
gestochen wurde. Sowas sieht man heute natürlich überall. Aber dieser
Rücken gehört Rik Reinking. Er hat dafür in einer Galerie 240.000 Schweizer
Franken bezahlt. Und im Gegenzug das Recht erworben, diesen Tim regelmäßig
auszustellen. Und dessen Tattoo nach seinem Tod zu konservieren.
Landauf, landab haben die Medien berichtet, von der Bild bis zur
Süddeutschen, wenn auch nicht unbedingt im Feuilleton, dazu acht
Fernsehsender. Und in Scharen sind sie gekommen, um sie zu sehen, die
lebende Kunst. Ein Event. Das war natürlich der gewollte PR-Effekt, des
Direktors Antwort auf den immer wieder zu hörenden Vorwurf, in der
Weserburg würden sie nichts Populäres mehr machen. Dabei erschöpfen sich
die „existenziellen Bildwelten“ gar nicht in einem
oberflächlich-zeitgeistigen Hype. Vielleicht versperrt der sogar ein wenig
den Blick auf das, was viel spannender ist. Terence Koh beispielsweise, ein
chinesisch-kanadischer Künstler, der manchmal als nächster Andy Warhol
gefeiert wird. Er hat eine riesige Glasvitrine geschaffen, darin: 222 Köpfe
aus schwarzer Asche, mal schlafende, mal schreiende. Es eine Szenerie, die
an Beinhäuser erinnert, an dunkle Albträume. Auf jeden Fall aber ist
„Crackhead“ ein Werk, das einen ganz unmittelbar berührt, ohne viel
Erklärung drumherum.
Gleich dahinter hängt eine konzeptkunstartig präzise Anordnung von 20
Fliegenfängern, übersät mit unzähligen Insekten. Davor steht – ja, man da…
ihn benutzen! – ein alter Kirchenstuhl. Als wär’s ein Altarbild. „10.000
Seelen“ heißt das brillante Kunstwerk, das den Wert scheinbar wertlosen
Lebens hinterfragt.
Dazwischen stehen in der Sammlung Reinking Artefakte aus Afrika, Amerika
und Ozeanien, die durchaus mehr sind als nur Ethno-Kitsch, den man sich von
irgendwo mitgebracht hat – das „Federgeld“ etwa von den Salomonen-Inseln
oder ein Ahnenschädel aus Indonesien. Und gleich daneben dann der simple,
aber detaillierte Nachbau einer Plutonium-Bombe, die womöglich
funktionieren könnte, wäre das entscheidende Detail nicht durch einen
gleich großen Baseball ersetzt.
Das alles wirkt auf den ersten Blick etwas disparat, zumal manch ein Werk
arg vordergründig auf seinen Effekt setzt: Frantiček Klossners eigener
Abguss aus Eis etwa, der stetig dahinschmilzt, um hernach erneuert zu
werden. Lässt man sich auf die Schau ein, gibt es aber vielfältige Bezüge
und klare Strukturen. Vor allem aber schafft die Ausstellung – und das
macht sie besonders reizvoll – einen Raum für eigenen Reflexionen über
grundsätzliche Fragen. Ein wunderbarer Freiraum, den die Kunst hier
eröffnet.
Leihgeber Rik Reinking, ein Thirtysomething, ist Kunstsammler aber auch
händler, doch keiner von den standesdünkelbehafteten. Er hat viele junge
Künstler entdeckt, ehe sie groß wurden, und verdient sein Geld mit jenen
Sammlern, die wohl noch mehr Geld haben. Teile seiner Sammlung waren früher
schon in Bremen zu sehen, doch den letzten Direktor Carsten Ahrens hat
Reinking öffentlich scharf kritisiert. Nun ist er wieder hier zu sehen.
Auch das ein klares Zeichen.
## Endlich neue Gesichter
Er war es auch, der der Weserburg zum neuen Ausstellungsformat „Junge
Sammlungen“ verholfen hat, zu dem die Hamburger Sammlung von Dominik und
Cordula Sohst-Brennenstuhl den Auftakt gegeben hat. Die beiden sammeln
KünstlerInnen, die in etwa so alt sind wie sie selbst – die meisten, die
hier zu sehen sind, wurden in den Siebzigern geboren. Ihre Werke sind
insgesamt nicht so hochkarätig wie etwa Reinkings, doch sehr vielschichtig:
Hier steht figürliche Malerei neben Konzeptkunst und neben großen
Installationen. Unter dem Titel „Nullpunkt aller Orte“ ist die Sammlung
hier erstmals öffentlich zu sehen.
Es ist der erste Neuzugang der Weserburg – nach langen Jahren, in denen
kein einziger neuer Sammler in das Sammlermuseum kam, weil der damalige
Direktor das nicht wollte. Vor allem aber ist der „Nullpunkt aller Orte“
eine weitere Antwort auf die Frage, ob so ein eigenes Sammlermuseum
überhaupt noch eine zeitgemäße Idee ist: Ja.
2015 will Friese einen deutschen Sammler aus Südfrankreich zeigen, mit
Landschaftsbildern aus vier Jahrhunderten. Sehr namhafte Maler sind
darunter, Werke wie man sie sonst in der Kunsthalle erwarten würde. Und
nicht in der Weserburg. Es könnte eine großartige Ausstellung werden. Und
eine unselig zukunftsweisende.
## „Existenzielle Bildwelten“: bis 1. Februar 2015. „Nullpunkt aller Orte…
bis 14. September
9 Jun 2014
## AUTOREN
Jan Zier
## TAGS
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Kunsthalle Bremen
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