# taz.de -- Start-Up-Zentrum „Factory“: Gründerzeit in Berlin | |
> Eric Schmidt fliegt ein, um Deutschland in der Riege der | |
> Start-Up-Nationen zu begrüßen. Und rät den jungen Kreativen, sich nicht | |
> abwerben zu lassen. | |
Bild: Eröffnung der „Factory“ am Mittwoch in Berlin | |
BERLIN taz | Eric Schmidt liebt Dorothee Bär. Politiker kriegten es | |
normalerweise ja nicht hin, sagt der Vorsitzende des Verwaltungsrats von | |
Google. Aber wenn die CSU-Politikerin dereinst Präsidentin der Europäischen | |
Union werden würde, dann ginge es endlich voran in der Alten Welt. Schmidts | |
unerwartete Zuneigung für Bär, derzeit noch Staatssekretärin im | |
Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur, hat einen | |
einfachen Grund. Sie will das Klima für Start-ups verbessern. Und sie | |
bekundet den festen Willen der Bundesregierung, mehr Investoren ins Land zu | |
holen. | |
Seit Dienstag ist Schmidt in Berlin. Dass Dorothee Bär dem Lenker von | |
Google so gut gefällt, könnte damit zu tun haben, dass er während seines | |
Berlinbesuchs auch einen Termin mit Sigmar Gabriel hat. Der | |
Wirtschaftsminister wetterte vor Kurzem gegen das „Diktat“ von „in | |
neufeudaler Selbstherrlichkeit auftretenden Internetmonopolisten“ wie | |
Google. Er drohte gar mit „Entflechtung“, also Zerschlagung. Schließlich | |
fragte Gabriel, ob wir in einer Welt leben wollten, in der zwar alle | |
arbeiten, „aber nur der Gewinner bezahlt wird“. | |
Offizieller Anlass des Schmidt'schen Besuchs ist jedoch die Eröffnung des | |
Start-up-Zentrums Factory am Mittwochabend. Sie befindet sich in der | |
ehemaligen Oswald-Brauerei direkt am Mauerstreifen. Nicht auf der | |
migrantisch geprägten, ärmeren Weddinger Seite, sondern im ehemaligen | |
Osten, wo heute gut verdienende Akademiker zwischen 40 und 50 mit ihren | |
Kindern leben. | |
Aufs Dach des Gebäudes wurde von dem jungen Berliner Architekten Julian | |
Breinersdorfer ein Neubau gesetzt, was so aufwendig war, dass sich die | |
Eröffnung zwei Jahre hinzog. Jetzt ist alles fertig, und Schmidt kann zu | |
geladenen Gästen im Haus sprechen. Für die vielen, meist jungen | |
Mitfeiernden aus der Berliner Start-up-Community werden die Reden im Garten | |
auf einer Leinwand übertragen. Schmidt ist Hauptredner des Abends. Denn | |
über die Factory, die der Berliner Simon Schäfer mit Hilfe einiger | |
Geldgeber gegründet hat, wird Google in den nächsten drei Jahren Start-ups | |
mit rund einer Million Euro fördern, damit „an diesem historischen Standort | |
ein fruchtbares Ökosystem für Gründer, Entwickler und Start-ups“ entsteht. | |
## 22 Start-ups sind da | |
Das zukünftige, von Google in Berlin-Mitte gehegte Ökosystem ist am | |
Vormittag des historischen Tags ganz entspannt. Im Garten der Factory haben | |
einige der neuen Mieter, insgesamt sind es derzeit 22, ihre Stände | |
aufgebaut. Darunter Soundcloud, das größte und erfolgreichste Berliner | |
Start-up, dessen Internetplattform heute 250 Millionen User weltweit | |
nutzen. Angefangen haben sie vor sieben Jahren im Café Oberholz am | |
Rosenthaler Platz, nicht weit weg von der Factory. Dort sitzen auch heute | |
von früh bis spät junge Kreative, die sich selbst den Coworkingspace nicht | |
leisten können oder wollen, an ihren Laptops und halten sich frisch durch | |
Latte-Konsum. | |
Ein paar Stände weiter präsentiert sich Uber. Das Unternehmen hat die gute | |
alte Mitfahrgelegenheit zum innerstädtischen Businessmodell | |
weiterentwickelt. Am Stand stehen Julana, „Community Managerin“ von Uber in | |
Berlin, und Loic, der als „International Launcher“ arbeitet. Beide sind | |
unter dreißig und erklären, wie es geht: Mittels der App kann man sich eine | |
Limousine bestellen. Man kann sich aber auch innerhalb von zwei Minuten ein | |
Privatauto vermitteln lassen, dessen Besitzer in der Nähe ist und einen an | |
den gewünschten Ort bringt. Abgerechnet wird über Kreditkarte. Das soll 20 | |
Prozent billiger sein als die Nutzung eines Taxis. Uber verdient ebenfalls | |
20 Prozent. | |
Während Julana und Loic von Uber erzählen, demonstrieren Berliner | |
Taxifahrer mit einer Sternfahrt zum Olympiastadion gegen ihr Unternehmen. | |
Kollegen aus London, Paris, Madrid und einigen anderen der 128 Städte, in | |
denen das Unternehmen aktiv ist, tun es ihnen gleich. Uber wurde vor vier | |
Jahren in San Francisco gegründet, weil es dort zu wenig Taxis gab. | |
Ein paar Stunden später freut sich Eric Schmidt darüber, dass Europa es | |
langsam begreife: Global denkende Unternehmer mit auf den ersten Blick | |
absurden Ideen spielten eine entscheidende Rolle für die Zukunft. Neue | |
Unternehmen schafften Jobs. Jeder Hightech-Job in Europa ziehe vier | |
Nicht-Hightech-Jobs nach sich. Nur wer das Unternehmertum unterstütze, | |
komme dem Ziel näher, Arbeitsplätze für die Jugend Europas zu schaffen. Die | |
App von Uber wird die Jugendarbeitslosigkeit in Europa nicht beseitigen. | |
Ist das System in einer Stadt aufgesetzt, entstehen dort genau drei neue | |
Jobs. Mehr braucht es nicht, um das System lokal zu managen. Den Rest | |
erledigen Uber-Mitarbeiter in San Francisco. | |
Seit einiger Zeit sind San Francisco und die Bay Area, in der auch das | |
Silicon Valley liegt, zum Schauplatz von heftigen Protesten gegen die | |
Gentrifizierung geworden, für die viele dort unter anderem Google | |
verantwortlich machen: Immer mehr Leute ziehen in die Innenstädte, wo viel | |
zu wenig neue Wohnungen gebaut werden, weswegen die Grundstückspreise und | |
Mieten seit einigen Jahren exorbitant gestiegen sind. Vor ein paar Monaten | |
demolierten Aktivisten in Oakland einen der Google-Busse, die Mitarbeiter | |
ins Hauptquartier der Firma in Mountain View transportieren. Auf einem | |
Flugblatt hieß es: „Wenn ihr eine Bay Area wollt, in der den Ultrareichen | |
hunderttausende Arme gegenüberstehen, dann macht ruhig weiter so!“ | |
## Früher wurden Flugzeuge gebaut | |
In Kalifornien, der Heimat von Hollywood und Hightech, gab es früher eine | |
breite Mittelklasse. Heute ist der Staat nationale Avantgarde, wenn es um | |
die Armutsquote geht. Sie beträgt 23,5 Prozent. Früher baute man hier | |
Flugzeuge, heute programmiert man Apps. Ein Kenner des Bundesstaats und | |
seiner Industrien sagt: „Heute gestalten wir hier die Zukunft kaum mehr – | |
wir denken nur noch darüber nach.“ Selbst konservative Journalisten | |
sprechen schon von einer „liberalen Apartheid“ im Golden State. Das | |
staatliche Bildungssystem Kaliforniens sei heruntergekommen, weshalb es | |
kein Wunder sei, wenn Mark Zuckerberg und andere Oligarchen so wild darauf | |
sind, gut ausgebildete „techno coolies“ aus dem Ausland anzuheuern, | |
kommentiert der kalifornische Stadttheoretiker Joel Kotkin. | |
Wie viele gut ausgebildete junge Leute in Deutschland zu finden sind, weiß | |
auch Eric Schmidt. Die Deutschen sollten sie sich nicht abwerben lassen, | |
sagt er, sondern lieber selbst Unternehmen gründen. Die Mauerstadt Berlin | |
hat er zum ersten Mal in den Siebzigern besucht. Der rapide Wandel, den die | |
Wende provoziert hat, sei traumatisch gewesen, aber eben auch | |
außerordentlich wichtig, meint er. Man könne dabei zusehen, wie sich Berlin | |
in ein neues globales Zentrum für Kultur und Technologie transformiere. | |
Tatsächlich sind in Berlin die Voraussetzungen für Start-ups ideal. Die | |
Stadt ist voller gut ausgebildeter junger Leute aus der ganzen Welt, die | |
vergleichsweise günstig leben können und anders als in Oakland und San | |
Francisco noch Zeit und Muße haben, sich eben jene absurden Ideen | |
auszudenken, die Voraussetzung eines moderaten ökonomischen Wachstums | |
seien, wie Eric Schmidt postuliert. Deutschland sei auf einem guten Weg: | |
„Die Leute sind schon da in Deutschland, jetzt fehlt nur noch das Geld. Sie | |
werden zur Start-up-Nation. Wer hätte das gedacht!“ | |
Hierbei kann sich Schmidt der Zustimmung der gesamten Bundesregierung | |
sicher sein. „Wir brauchen eine Gründerzeit, wie wir sie Anfang des 20. | |
Jahrhunderts in Deutschland schon einmal hatten“, hatte Angela Merkel schon | |
im vergangenen Jahr gefordert. Aber auch Sigmar Gabriel pries den Geist der | |
Gründer in seiner Suada gegen die Monopolisten. In der Factory hat man die | |
Gründung glücklich hinter sich. Die Champagnerflaschen werden aufgemacht, | |
und im Keller fängt der DJ mit der Arbeit an. | |
12 Jun 2014 | |
## AUTOREN | |
Ulrich Gutmair | |
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