# taz.de -- Friedenspreis für Jaron Lanier: Netz und Niedergang | |
> Er war der Inbegriff des Cyberpunks – in den frühen Tagen des Internets. | |
> Inzwischen ist er einer der größten Kritiker des Netzes. | |
Bild: Hat auch mal als Assistenzhebamme gearbeitet: Jaron Lanier. | |
Deutschland hat das Internet entdeckt. Zwanzig Jahre lang hat die Politik | |
die Folgen der Vernetzung eher ignoriert, als mitgestaltet. Die sogenannte | |
deutsche Netzgemeinde wiederum propagierte recht naiv das Netz als schöne | |
neue Welt des freien Austauschs. Nach dem NSA-Schock erschallt nun die | |
Fanfare des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels: Bürger, aufgewacht! In | |
diesem Jahr wird, wie am Donnerstag bekannt wurde, der Friedenspreis des | |
Buchhandels an Jaron Lanier verliehen. | |
Jaron Lanier ist eine schillernde Figur. In den frühen Tagen des Internets | |
in den Neunzigern wurde der Mann mit den Dreadlocks zum Inbegriff des | |
Cyberpunks. Lanier war einer der Stars der kreativen kalifornischen Szene, | |
in der libertär denkende Unternehmer, Hippies und Hacker die neue Welt der | |
digitalen Netze gestalteten. | |
Berühmt wurde Lanier damals für einen seiner größten Irrtümer: Er war der | |
prominenteste Propagandist der „Virtuellen Realität“. Sie wurde als | |
computergenerierte 3-D-Welt gedacht, in die man mittels klobiger Brillen | |
eintauchen würde. In Wirklichkeit ist das Netz trotz YouTube, Instagram und | |
Soundcloud bis heute ein Medium geblieben, dessen wesentliches Format der | |
Text ist. | |
Lanier, Jahrgang 1960, stammt aus einer jüdischen Familie in New York. Er | |
arbeitete als Ziegenfarmer und Assistenzhebamme, komponierte und | |
musizierte. In jüngerer Zeit hat er sich einen neuen Namen als kritischer | |
Beobachter der sozialen Netzwerke und der Internetökonomie gemacht. Die | |
Hoffnung auf eine „Schwarmintelligenz“, die im Netz neue Ideen | |
hervorbringen soll, kritisierte er als „Digitalen Maoismus“. Von den | |
Netzmassen erwartete er weniger entfesselte Kreativität, sondern | |
Konformismus und die Bildung mobiler Mobs. | |
Lanier setzt sich für ein demokratisches Netz ein, dessen Nutzer ein Recht | |
auf Vergessen haben. Er warnt vor einer Zentralisierung der Macht in den | |
Händen von Konzernen, und vergleicht die Geschäftsmethoden Googles mit der | |
Erpressung von Schutzgeldern durch die organisierte Kriminalität. | |
Zuletzt hat er das Internet für den Niedergang der Mittelklasse | |
verantwortlich gemacht. Das Netz habe viele Menschen aus der formellen | |
Ökonomie der entwickelten westlichen Länder in die informelle Ökonomie | |
zurückgedrängt, die man aus Slums kennt. Statt Gehältern und Pensionen | |
seien die Freigesetzten wieder auf Tauschhandel und Familienbande | |
angewiesen. Das gefährde nicht nur die Zukunft vieler Menschen, sondern am | |
Ende auch die Demokratie. | |
5 Jun 2014 | |
## AUTOREN | |
Ulrich Gutmair | |
## TAGS | |
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Hacker | |
Friedenspreis | |
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