# taz.de -- Syrische Flüchtlinge in Deutschland: „Hörst du Bomben, bist du … | |
> Ein junger Syrer versucht, seine Familie nach Deutschland zu holen. „Es | |
> fühlt sich wie eine falsche Hoffnung an“, sagt er. Ein Gespräch über das | |
> Warten. | |
Bild: Extrem laut und unglaublich nah: Eine Mörsergranate explodiert in Damask… | |
taz: Herr A., wann haben Sie das letzte Mal mit Ihrer Mutter gesprochen? | |
Yasser A.: Wir sprechen eigentlich alle drei Tage. In Damaskus gibt es noch | |
Internet, darum können wir skypen. Die Verbindung ist zwar ganz in Ordnung, | |
aber es gibt ständig Stromausfälle. Meine Eltern und mein Bruder wohnen | |
nicht mitten im Zentrum, sondern ein wenig außerhalb, am Rand der Stadt. Da | |
sind Sie momentan sicher. Aber wenn wir skypen, kann ich im Hintergrund die | |
Einschläge der Fassbomben hören. | |
Und wie fühlen Sie sich dabei? | |
Naja, als Syrer bin ich daran gewöhnt, ich habe den Krieg dort noch ein | |
Jahr lang erlebt. Ich weiß wie das klingt und wie es aussieht. Wenn du das | |
hörst, bist du glücklich, denn du bist noch nicht tot. Wenn du die Bomben | |
nicht mehr hörst, bist du weg. | |
Wie geht es Ihrer Familie im Moment? | |
Wir vermuten, dass Gespräche und Mails nach Schlüsselwörtern gefiltert und | |
überwacht werden, darum sagen sie immer „alles gut, alles okay“. Obwohl ich | |
im Hintergrund die Bomben höre. Es ist ein bisschen wie in Nordkorea. Im | |
Endeffekt weiß ich nicht, wie es ihnen geht. | |
Was es nicht gerade einfacher macht. | |
Nein. Sie sitzen die ganze Zeit zuhause, es gibt nichts zu tun, man kann | |
abends nicht einfach ausgehen. Sie haben auch kein Geld mehr, ich habe | |
keine Ahnung, wovon sie momentan leben. Natürlich darf man auf die Straße | |
gehen und machen was man will, aber halt auf eigene Gefahr. Niemand kann | |
dir garantieren, dass du dabei nicht stirbst. | |
Will Ihre Familie nach Deutschland? | |
Ja, sie wollen hierher kommen. Als ich im Dezember davon gehört habe, dass | |
ein zweites Kontingent für Flüchtlinge geöffnet wurde, bin ich zur | |
Ausländerbehörde gegangen und habe einen Antrag gestellt, um meine Familie | |
nach Deutschland zu holen. Ich habe meine Unterlagen ganz genau | |
vorbereitet, meinen Ausweis, meinen Aufenthaltstitel, meinen Arbeitsvertrag | |
und die Einkommensnachweise. | |
Und wann haben Sie den Antrag dann eingereicht? | |
Das war Mitte Februar. Aber seitdem habe ich nichts mehr gehört. Sie wissen | |
ja, es gibt 76.000 Anträge, davon bin ich vielleicht der 66.000ste. Als ich | |
mich bei der Behörde erkundigen wollte, wie weit der Antrag ist, wurde mir | |
gesagt, dass es so viele Anträge gibt, dass sie einzelne Fälle nicht | |
nachvollziehen können. Im Moment kann ich nichts tun, meine Familie sitzt | |
in Damaskus und wartet. Sie fragen „Wann reisen wir? Wann gehen wir nach | |
Deutschland?“. | |
Ihre Eltern und ihr Bruder machen sich Hoffnungen. | |
Ja, aber das Problem ist: Es fühlt sich wie eine falsche Hoffnung an. Ich | |
weiß, dass es zu neunzig Prozent nicht klappen wird, aber das kann ich | |
meiner Familie natürlich nicht so sagen. Mein Bruder schickt mir immer | |
verschlüsselte SMS, in denen er sagt, dass er es nicht mehr erträgt, dass | |
ich bitte eine Lösung finden soll. Und dass ich ihn bitte reisen lassen | |
soll. | |
Haben Sie das Gefühl, Ihre Familie anzulügen? | |
Auf jeden Fall. Am Anfang habe ich ihnen sogar gesagt, dass es sehr | |
schwierig werden wird. Aber darauf meinten sie nur, dass die Leute im | |
Ausland ja immer negativ denken und davon ausgehen, dass Dinge nicht | |
klappen. Sie realisieren nicht, dass es möglicherweise wirklich nicht | |
klappt. Das ist unheimlich schwierig, aber was soll ich machen? | |
Die Bundesregierung hat bislang bewilligt, 10.000 Bürgerkriegsopfer in | |
Deutschland aufzunehmen. Der Innenminister von Nordrhein-Westfalen drängt | |
nun darauf, mehr Flüchtlinge aufzunehmen. Wie bewerten Sie persönlich die | |
deutsche Flüchtlingspolitik? | |
Nach drei Jahren Krieg in Syrien haben die Politiker gesagt, dass sie | |
10.000 Flüchtlinge aufnehmen, obwohl sie wissen, dass es 9.1 Millionen | |
gibt. Im Endeffekt ist das nichts, klar. Aber Deutschland kann nicht allen | |
Menschen in der Welt helfen und natürlich können hier nicht 9.1 Millionen | |
aufgenommen werden. In Syrien gibt es aber zum Beispiel 5.5 Millionen | |
Kinder, die seit drei Jahren nicht zur Schule gehen können. Die | |
Bundesregierung könnte Schulen in den Flüchtlingscamps aufbauen, damit | |
diese Kinder wieder lernen können. | |
Haben Sie das Gefühl, dass den Deutschen das Ausmaß in Syrien bewusst ist? | |
Nein, überhaupt nicht. Aber wie auch? Sogar wir Syrer begreifen das nicht. | |
9.1 Millionen kann man nicht kapieren, das sind einfach zu viele. Und diese | |
Leute sind unschuldig. Es ist nicht ihre Schuld, dass eine Fassbombe auf | |
ihr Haus gefallen ist und sie nichts mehr haben. Darum sollten sie die | |
Chance haben, ein neues Leben anzufangen. | |
Seit Mittwoch berät nun in Bonn die Innenministerkonferenz über ein drittes | |
Programm zur Aufnahme von Flüchtlingen. Was erwarten Sie sich davon? | |
Natürlich sollten mehr Flüchtlinge aufgenommen werden, vor allem Kinder, | |
die noch lernen können. Damit wäre schon eine Menge getan. Aber wenn jetzt | |
beispielsweise beschlossen werden würde, dass 100.000 Syrer kommen können, | |
dann dauert es sicher Jahre, bis das verwirklicht ist. Bis dahin sind es | |
dann wahrscheinlich 12 Millionen Flüchtlinge, dann haben wir wieder das | |
gleiche Problem. Es gibt keine schnelle Lösung. | |
Wurde Ihnen gesagt, bis wann Sie eine Antwort auf ihren Antrag bekommen? | |
Nein. Ich verstehe das nicht, sonst können in Deutschland Papiere immer | |
nachvollzogen werden und man kann den Prozess verfolgen. Warum geht das in | |
diesem Fall nicht? Ich würde meinen Antrag gerne im Internet verfolgen | |
können. So weiß ich ja nicht mal, ob die Unterlagen vollständig waren, wie | |
ich sie abgegeben habe. | |
Wie geht es weiter, wenn dem Antrag Ihrer Familie nicht stattgegeben wird? | |
Dann werde ich einen anderen Weg versuchen. | |
Wäre es für Ihre Familie eine Option, das Land illegal zu verlassen? | |
Nicht wirklich. Es gibt keinen Weg, um illegal nach Europa zu kommen, ohne | |
sich in Lebensgefahr zu begeben. Außerdem würde das für drei Personen | |
momentan 21.000 Euro kosten. Es ist wie ein Markt, mal steigen die Preise, | |
mal sinken sie. Natürlich habe ich mich darüber schon erkundigt. Denn die | |
Sache ist ja die: Wenn meine Familie illegal nach Deutschland käme und hier | |
dann vor Ort einen Asylantrag stellen würde, würden sie mit ziemlicher | |
Sicherheit aufgenommen werden. Aber sie haben Angst, sie wollen nicht in | |
der Türkei oder im Meer sterben. Es ist einfach zu gefährlich. Menschen, | |
die illegal aus dem Land flüchten, haben wirklich gar nichts mehr zu | |
verlieren. | |
14 Jun 2014 | |
## AUTOREN | |
Josef Wirnshofer | |
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