# taz.de -- WM-Kolumne Ordem e Progresso: Alle wollen gleich sein | |
> In Rio de Janeiro dominieren Trikotträger das Stadtbild. Es geht zu wie | |
> auf dem Kirchentag, nur sind die Gesänge nicht ganz so glockenhell. | |
Bild: Bunte Leibchen überall: Rio gleicht derzeit einem farbenfrohen Fußball-… | |
Schwarz-rot-gold sind seine Fingernägel lackiert. Und nur selten entfernen | |
sie sich von dem Bierglas, das dieser trinkfeste Mann wohl nur in | |
Ausnahmefällen loslässt. Ein Deutschlandtrikot trägt er auch noch dieser | |
Engländer, der mit seinen Saufkumpanen in einer Strandbar an der Copacabana | |
sitzt. Ein offensichtlicher Fall von Wettschulden. | |
So sind sie halt, die Briten. Im Nachhinein hätte der arme Kerl | |
wahrscheinlich lieber sein Haus oder sein Auto aufs Spiel gesetzt. Würde er | |
nicht so viel rumkrakeelen, wäre er wahrscheinlich allenfalls wegen seiner | |
Fingernägel aufgefallen. Denn, es sind eigentlich die Kleinigkeiten, die | |
einen aus der WM-normierten Masse hervorheben. | |
Überall in der Stadt, ob Kinder oder Erwachsene, dominieren die | |
Trikotträger das Stadtbild. Wenn man Rio de Janeiro von ganz weit oben | |
betrachtet, mit den Augen der Christusstatue etwa, dann ergibt sich jeden | |
Tag ein neues Farbenspiel. Erst war die Stadt argentinisch blau-weiß | |
gestreift, dann leuchtete sie brasilianisch-kanariengelb auf und zuletzt | |
nahm sie den chilenisch-spanischen roten Farbton an. | |
Im Aufzug meiner Unterkunft stehe ich des Öfteren mit einer „4“, einer „… | |
oder „10“ zusammen. Irgendwie scheinen hier alle von einer übergeordneten | |
Mission getrieben zu sein. Es ist ein wenig wie auf dem Kirchentag, nur die | |
Gesänge sind nicht ganz so glockenhell. Spielen die Brasilianer, wird das | |
Ganze noch einmal auf die Spitze getrieben. | |
## Ins Ausweichtrikot schlüpfen | |
Das Überziehen des gelb-grünen Trikots ist Pflicht. Selbst die älteren | |
Menschen scheinen nicht davon befreit zu sein. Wer unbedingt etwas anders | |
sein will, kann in das blaue Ausweichtrikot der Selecao hineinschlüpfen. | |
Dieser Gemeinsinn ist von der Fifa ausdrücklich erwünscht. Auf den | |
Eintrittskarten steht geschrieben, dass der Weltfußballverband das Tragen | |
der Nationalfarben durch die Zuschauer ausdrücklich unterstützt. | |
In welcher Form ist allerdings nicht ausgeführt. Möglicherweise wird bald | |
ein Dresscode in den Stadien eingeführt, weil diese Farbenpracht nach außen | |
hin so viel mehr hermacht, als wenn einfach jeder anzieht, was er gerade | |
möchte. Und was noch mehr zählt: Die nationalen Fußballverbände, und die | |
sie unterstützenden Sportartikelhersteller verdienen prächtig daran, dass | |
derzeit auf den Straßen die Hemden der Nationalteams so begehrt sind. | |
Es ist ein sehr spezielles Segment des kapitalistischen Geschäfts. Der | |
Profit speist sich aus dem Willen, dass alle gleich sein wollen. In einem | |
Metrowagen mit 200 blau-weiß Argentiniern gerät man so in Zivil schon auch | |
mal in Erklärungsnot. Na klar, sage ich, finde ich das argentinische Team | |
ganz prima. Ich lobe so ausgiebig, wie es mein Spanisch zulässt, deren | |
Offensivpotential. Und Messi, gebe ich zu, ist sowieso der Beste. Besser | |
als Pele, singen sie in dem überfüllten Wagen. Bei so viel menschlicher | |
Nähe will ich erst gar keine Differenzen aufkommen lassen. | |
27 Jun 2014 | |
## AUTOREN | |
Johannes Kopp | |
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