# taz.de -- WM-Kolumne Ordem e Progresso: Die WM ist wirklich super! | |
> Dilma Rousseff kündigte die beste WM aller Zeiten an. Auch wenn es eine | |
> unbequeme Wahrheit ist: Sie hatte recht – zumindest sportlich. | |
Bild: Dilma überall – was für eine tolle WM. | |
Manchmal verstehe ich die Politiker nicht. Gerade Dilma – in Brasilien | |
werden alle nur mit Vornamen angeredet, niemand sagt hier Rousseff – ist | |
doch schlau und sehr erfahren im Politikgeschäft. Warum jetzt dieses | |
beängstigende Schweigen? | |
In den Monaten vor der WM wiederholte sie bald täglich, dass Brasilien die | |
„Copa das Copas“, die beste WM aller Zeiten organisieren werde. Dafür | |
erntete sie nur Kopfschütteln oder Mitleid, während die Presse genüsslich | |
alle Mängel in der Vorbereitung in einer Endlosschleife wiederholte. Doch | |
sie hat recht gehabt! Und vor allem dort, wo die Fußball-WM wirklich | |
stattfindet, auf dem Spielfeld und auf den Rängen: So viele Tore wie seit | |
Jahrzehnten nicht mehr, spannendste Spiele schon in der Vorrunde, deren | |
Ergebnisse teils wie Halbfinalsiege bejubelt werden. Tränen, Gänsehaut, und | |
immer wieder die faszinierende Bestätigung der komplizierten Regel: Das | |
Spiel ist erst nach 90 Minuten zu Ende. | |
Mehr noch: Diverse Favoriten müssen schon nach Hause fliegen, ohne dass die | |
unfertigen Flughäfen wieder thematisiert werden. Darunter die | |
Kolonialmächte Spanien und England, vielleicht auch Portugal. Sogar die | |
brasilianische Lieblingsstatistik fällt unübertroffen positiv aus: Noch nie | |
gab es so viele „viradas“. Das sind Siege, bei denen ein Rückstand | |
aufgeholt und „umgedreht“ wurde. Der größte Genuss im brasilianischen | |
Fußball, in dem es immer nur den ersten Platz gibt – ein Unentschieden oder | |
ein zweiter Platz ist immer eine Niederlage. Auch die „zebras“ werden | |
enthusiastisch gefeiert, das sind die Außenseiter, die Favoriten zu Fall | |
bringen. | |
Weniger überraschend, aber auch wichtig für Dilmas Vorhersage: Die | |
Brasilianer machen ihrem gastfreundlichen Ruf alle Ehre und kümmern sich um | |
jeden verloren gegangenen Fan, als seien es ihre eigenen Kinder. Nur die | |
Seleção überzeugt nicht ganz, was ohne Weiteres auch als charmanter Zug der | |
Gastgeber interpretiert werden kann. | |
## Schiiten! | |
Meine Frage, warum Dilma diesen Glücksfall nicht postwendend aufgreift und | |
die Vor-WM-Nörgler mit einem lässigen Spruch bloßstellt, trage ich wie | |
gewohnt in die nächste Kneipe. Die etwas irritierten Blicke, warum ich denn | |
den noch längst nicht beendeten Meinungsaustausch über Fußball – er dauert | |
auch ohne WM mindestens 45 Minuten, manchmal das Doppelte – unterbreche, | |
übersehe ich. „Ganz einfach, diese intellektuellen Altlinken haben einfach | |
nicht richtig gelebt“, unterbricht eine Freundin das plötzliche Schweigen. | |
„Es sind Schiiten, die viel gelesen und studiert haben, aber doch fern der | |
Menschen sind.“ Schiiten, das sind in Brasilien alle, die dogmatisch sind, | |
zumeist Linke, die ihre jeweilige Gruppe dominieren wollen. | |
„Lula hätte das längst aufgegriffen und mit einem volksnahen Witz in die | |
Waagschale geworfen“, ergänzt jemand anderes. Deswegen sei es auch nur ihm | |
gelungen, die Linke an die Macht zu bringen. „Was ist daran noch links?“, | |
wird gezischt. „Nein, Dilma macht’s richtig, sie ist keine Besserwisserin, | |
bis zur Wahl sind es doch noch über drei Monate.“ „Aber …!“ Mir wird e… | |
laut, die 45 Minuten Politik haben begonnen. Ich schenke Bier nach und | |
rechne noch mal, wie viele Tore Ghana schießen muss, um noch | |
dabeizubleiben. | |
24 Jun 2014 | |
## AUTOREN | |
Andreas Behn | |
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