# taz.de -- Holocaust-Gedenken: 72 Zeugnisse des Überlebens | |
> Die Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden macht Gespräche mit | |
> Überlebenden online zugänglich. Diese sollen Zeugnis ablegen von ihrem | |
> Leben. | |
Bild: Unter dem Mahnmal in Berlin sind die Interviews zu sehen. | |
„Es ist keine große Ehre, ein Überlebender zu sein. Es war auch nicht mit | |
viel Vergüngen verbunden, ein Überlebender zu werden.“ Diese Sätze sagt Zvi | |
Harry Likwornik. Der heute 80-Jährige wuchs im jüdisch geprägten Czernowitz | |
auf, das damals zu Rumänien gehörte und heute ein Teil der Ukraine ist. | |
Schon als Siebenjährigen zwangen die Nazis ihn zuerst in das Ghetto der | |
Stadt und deportierten ihn und seine Familie bald darauf nach | |
Transnistrien. Sein Vater starb im Ghetto Berschad an Entkräftung. | |
182 Minuten und 26 Sekunden erzählt Zvi Harry Likwornik aus seinem Leben. | |
Das gefilmte Interview ist Teil einer Dokumentation der Stiftung Denkmal | |
für die ermordeten Juden Europas. 2007 haben die Mitarbeiter des | |
Stelendenkmals damit begonnen, Überlebende der Schoah zu Wort kommen zu | |
lassen. Am Montag stellte Stiftungsleiter Uwe Neumärker das Ergebnis vor. | |
72 Interviews sind so entstanden, die man ab sofort im Internet unter | |
[1][www.sprechentrotzallem.de] anschauen kann, die aber natürlich auch in | |
der unterirdischen Ausstellung zu sehen sind. Die Überlebenden sollen nicht | |
erklären, was ohnehin nicht zu erklären ist. Sie sollen keine neuen Fakten | |
abliefern, sondern Zeugnis ablegen von ihrem Leben vor der Katastrophe, | |
während der Schoah und danach. | |
Die Stiftung versteht die Veröffentlichung als Teil ihrer pädagogischen | |
Arbeit. Denn so viel ist klar: Die Zeugen der Schoah sterben langsam aus. | |
Viele der letzten Überlebenden sind in ihren Neunzigern. Es wird schon bald | |
niemanden mehr geben, der vor Schulklassen oder an Gedenkstätten davon | |
berichten kann, was ihnen damals angetan worden ist. | |
Er habe versucht, „jedes Detail im Kopf zu behalten“, sagte am Montag der | |
1929 in Mährisch Ostrau geborene Yehuda Bacon auf der Pressekonferenz der | |
Stiftung. Bacon wurde im Alter von 13 Jahren in das Ghetto Theresienstadt | |
gesperrt, später kam er nach Auschwitz. Heute lebt er in Israel und | |
erinnert sich gerne an die „guten Menschen, die nach dem Krieg geholfen | |
haben“. Das Ziel seiner Mitarbeit an den Interviews beschrieb Bacon so: Er | |
wolle „irgendwie dazu beitragen, dass sich solche Dinge nicht wiederholen“. | |
Diesen Satz könnten wohl fast alle der Befragten unterschreiben. | |
Seit Montag steht das Videoarchiv der Holocaust-Überlebenden so gut wie | |
ungekürzt im Netz. Es sind 220 Stunden, 43 Minuten und 57 Sekunden höchst | |
individueller Schicksale zusammengekommen. Die Frauen und Männer wurden | |
zwischen 1913 und 1942 geboren, der Älteste unter ihnen war zum Zeitpunkt | |
des Gesprächs 98 Jahre alt. Die Stiftung hat vor allem nach Menschen | |
gesucht, die eine gewisse Nähe zum deutschen Sprachraum haben, sei es, weil | |
sie etwa aus den deutschen Ostgebieten stammen oder in deutschen | |
Sprachinseln – wie Zvi Harry Likwornik in Czernowitz – aufwuchsen. So sind | |
diese Lebenszeugnisse gerade für deutsche Schulen interessant. | |
Anders als bei ähnlichen Projekten verzichteten die Macher darauf, die | |
Interviewten mit einem Fragekatalog zu konfrontieren. Nicht einmal einen | |
Notizblock hatten sie dabei, sagte Projektleiter Daniel Baranowski. Die | |
Menschen sollten ohne einengendes Korsett frei erzählen – was ihnen | |
gelungen ist. | |
Um die Selbstzeugnisse für den Zuschauer zu erschließen, sind die | |
Interviews mit Begleittexten versehen. Man kann auf einzelne | |
Lebensstationen springen und erfährt zum Beispiel etwas über den Heimatort | |
des Erzählers. | |
## ■ Die Interviews im Internet: (nach Anmeldung) | |
23 Jun 2014 | |
## LINKS | |
[1] http://www.sprechentrotzallem.de | |
## AUTOREN | |
Klaus Hillenbrand | |
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