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# taz.de -- Erinnerungskultur in Rumänien: Ein Friedhof begraben unter Beton
> Jüdisches Leben ist in Rumänien fast verschwunden. Mit „Spaced Memory“
> erforscht eine US-Künstlerin Spuren des Judentums in Bukarest.
Bild: Staatliche Symbolpolitik: die Ehrengarde beim Holocaust-Gedenktag.
Die Sevastopolstraße liegt ruhig und zentral, nahe dem Platz des Sieges in
Bukarest. Fußgänger sind hier kaum unterwegs. Nichts deutet darauf hin,
dass sich hier einmal der älteste jüdische Friedhof Rumäniens befand. Heute
stehen hier Gebäude aus den Siebzigern und Achtzigern. Errichtet auf Geheiß
des Diktators Nicolae Ceausescu, der bekannt war für
seine Idee, die unliebsame Geschichte unter Beton zu verbergen. „Hier waren
sie wirklich erfolgreich“, sagt Elana Katz. Die junge Frau steht auf dem
Gehweg und zieht einen Handschuh aus, um auf die flachen Bürogebäude zu
zeigen. Hinter dem schweren Eisenzaun waren einmal Gräber.
Elana Katz ist eine US-amerikanische Konzeptkünstlerin, die in Berlin lebt.
Sechs Wochen verbrachte sie kürzlich als Gast des Goethe-Instituts in der
rumänischen Hauptstadt, um nach Spuren jüdischer Geschichte zu suchen.
„Spaced Memory“ heißt ihr Projekt, bei dem sie die Recherchen aufarbeitet.
Seit 2011 ist Katz dafür unterwegs, säuberte symbolisch den Betonboden
eines Sportplatzes in Belgrad, auf dem bis 1944 eine Synagoge stand.
Auch der ehemalige Friedhof in Bukarest ist eine ihrer Stationen. Als die
Künstlerin vor drei Jahren kam, suchte sie vergeblich nach dem Areal. Kein
Anwohner konnte oder wollte ihr helfen. Über die Geschichte der Juden und
des Holocaust wird geschwiegen. Denn 1942 war der Friedhof auf Befehl der
faschistischen Regierung zerstört worden. Von jüdischen Zwangsarbeitern.
„Eine unglaubliche Erniedrigung“, sagt Katz.
## Zerkratzte Gesichter
Im Archiv der jüdischen Gemeinde stieß sie auf Fotos der Aktion, die
Gesichter vieler Zwangsarbeiter sind zerkratzt. Ob dies die Betroffenen aus
Scham getan haben? Man weiß es nicht. Hunderttausende Juden wurden
jedenfalls in den vierziger Jahren in Rumänien ermordet. Heute zählt die
Gemeinde kaum 3.000 Mitglieder. „Es gab es den systematischen Versuch, die
jüdische Geschichte auszuradieren“, sagt Elana Katz. „Sie ist fast
vergessen.“
Mit ihrer Kunst will Katz die Geschichte wieder sichtbar machen. Dabei geht
sie immer gleich vor: Recherchen und Interviews mit jenen, die an den
historischen Orten leben, dann die multimediale Verarbeitung in Foto, Video
und Performance. So setzt Katz ein fragiles Mosaik aus Erinnerungen und
Vergessenem zusammen. Auch mit ihrer eigenen Geschichte versuchte sie das.
2008 zog sie nach Berlin. An jenem Ort, wo Erinnerungskultur so überpräsent
ist, hat Katz zwar Familiengeschichte – jedoch keine Angehörigen mehr.
Es blieb ihr nur der Versuch, die Spuren in ihrer Kunst wieder aufzudecken.
Abriss und Neubau sind visuelle Manifestation eines Prozesses des
Vergessens. Der größte Teil der jüdischen Infrastruktur Bukarests wurde
erst in den Achtzigern zerstört. Oftmals erst nach 1989. Auch in der Zeit
des Sozialismus gab es in Rumänien keinerlei Bewusstsein für die Geschichte
von Judentum und Holocaust. Bis heute hat sich nicht einmal die
Geschichtswissenschaft die Mühe gemacht, diese Leerstellen zu füllen.
Erst im Zuge der Beschäftigung mit Erinnerungskulturen in der EU bekommt
das Thema Aufmerksamkeit. „Die wichtigste Frage ist, wie man mit diesem
Gedächtnis umgeht“, sagt die Leiterin des Bukarester Goethe-Instituts,
Beate Köhler. „Es ist ja auch eine europäische Geschichte.“ Das Institut
fördert mehrere Künstler, die sich mit Erinnerung auseinandersetzen, und
lud darum auch Elana Katz ein.
## Nur wenige Synagogen übrig
Nun lebt Katz also in Bukarest. Oft spaziert sie durch das historische
jüdische Viertel Vacaresti. An fast jedem Häuserblock bleibt sie stehen,
zeigt auf Wohnblöcke, dorthin, wo einmal Synagogen gestanden haben. Von
einstmals 60 sind nur eine Hand voll übrig geblieben. Noch 1985 ließ
Ceausescu ganze Stadtviertel abreißen, das jüdische war eines davon. Mit
einer Liste der Gemeinde, auf der die ehemaligen Synagogen und
Gemeindehäuser verzeichnet sind, geht Elana Katz voran: Rund 300 Adressen
sind verzeichnet.
„Es gibt Historiker, die die kommunistische Zeit den 'Holocaust nach dem
Holocaust' nennen“, sagt Elana Katz. Denn alles was die vierziger Jahre
überlebt habe, sei in den Achzigern zerstört worden. Vor der Synagoge
Yeshoah Tova bleibt Katz stehen. In einer kleinen Seitenstraße des
Magheru-Boulevards verschwindet der geduckte Backsteinbau von 1827 beinahe
in einer Häuserschlucht. Die Balkone des Nachbarhauses reichen fast bis an
die Außenwand. Es ist die älteste Synagoge der Stadt, eine von nur zwei
aktiven.
Es ist Sabbat und die mit Stahl beschlagenen Holzportale sind verschlossen.
An der Außenwand heben sich helle Quadrate in verschiedenen Schattierungen
vom Grund ab: Elana Katz hat sie in einer Fotoserie verewigt. Unter jeder
Farbschicht, erzählt sie, befinden sich antisemitische Symbole. Immer wenn
Hakenkreuz oder Davidstern gemalt würden, trete der Rabbi mit einem Eimer
Farbe heraus und übermale sie.
Während ihres Aufenthalts reiste Elana Katz auch ins Umland, etwa nach
Iasi, einer Stadt im Nordosten Rumäniens. Es ist ein symbolischer Ort, denn
hier begann die Vernichtung der rumänischen Juden. Einst waren 60 Prozent
seiner Einwohner jüdisch, die größte Gemeinde Rumäniens. Im Juni 1941
erschossen dort Regierungstruppen Tausende Juden, von 127 Synagogen blieb
nur eine.
## Der Todeszug von Iasi
Die Überlebenden wurden in Güterzügen tagelang durch das rumänische
Hinterland gekarrt, so starben 13.000 Menschen elendig. „Wo die Züge
stoppten, mussten die Anwohner Gräber ausheben“, erzählt Katz. Während
ihrer Recherche traf sie eine alte Frau. Als 18-Jährige hatte sie Tote
verscharren müssen, Hunderte. Eine Woche lang. Ihre Geschichte hatte die
Frau zum ersten Mal erzählt – niemand hatte sie bisher danach gefragt.
Aber Erinnerung manifestiert sich eben auch, wenn sie keine Öffentlichkeit
findet. Dies zeigt Katz’ neuestes Projekt. Gerade schneidet sie
Videoaufnahmen des ehemaligen jüdischen Friedhof in Iasi. Er wurde 1942
zerstört. Die Stadt legte dort einen Park an – die Bevölkerung aber nimmt
ihn nur zögerlich an. „Es geht die Legende, dass die Juden dort Besucher
jagen“, erzählt Katz.
Die Künstlerin nahm die angstvolle Distanz in ihrer Arbeit auf. Wie die
Anwohner umrundete sie den ehemaligen Friedhof, die Kamera in der Hand. 38
Minuten dauerte das. Zu sehen ist das Areal, zu hören nur das Knirschen
ihrer Schritte. Auf dem I-Pad zeigt sie Stills der Aufnahmen: verwaiste
Karussells und quietschbunte Spielgeräte. Das alles wirkt tatsächlich
geisterhaft, ein Nicht-Ort, dem seine Geschichte mit Gewalt entrissen
wurde.
Und die Suche nach dieser Geschichte lässt Elana Katz nicht los. Im Sommer
2015 möchte sie die Strecke des Todeszuges von Iasi abgehen. Wo genau er
fuhr, ist nicht bekannt. Vielleicht wird Katz es herausfinden. 73 Jahre
nach dem Holocaust in Rumänien wäre es an der Zeit.
25 Dec 2014
## AUTOREN
Sonja Vogel
## TAGS
Rumänien
Holocaust
Erinnerungskultur
Friedhof
Schwerpunkt Nationalsozialismus
Ausstellung
Rumänien
Ungarn
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