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# taz.de -- Die schlechteste WM aller Zeiten: Ein fußballerisches Desaster
> Intelligentes taktisches Verhalten? Fehlanzeige. Die Teams agieren
> planlos und bieten besseres Freizeitkickertum. Da muss man für
> Griechenland dankbar sein.
Bild: Schönes Spiel, taktische Meisterleistungen? Nein, nur Gebolze.
Machen sie es für den Blatter-Sepp? Spielen die Mannschaften deshalb so
einen vogelwilden Fußball, damit der Fußball bleibt, wie er ist? 129 Tore
waren bis Mittwochabend gefallen bei diesem Turnier. 2,9 Tore sind das im
Schnitt. Vor vier Jahren waren es noch magere 2,3. Da freut sich das
Jubelpublikum, und niemand muss mehr Angst haben, dass der Präsident des
Internationalen Fußballverbands seine immer mal wieder formulierten kruden
Pläne zur Steigerung der Attraktivität seines besten Produkts in die Tat
umsetzt. Nach torarmen Turnieren hatte Blatter schon mal die Vergrößerung
der Tore vorgeschlagen.
Die Teams scheinen es aufgegeben zu haben, mit intelligentem taktischem
Verhalten die Gegner in Schach zu halten. Auf den meisten WM-Plätzen geht
es zu, als hätten die Spieler nie eine Taktiktafel gesehen. Nicht selten
wirkt es so, als schickten die Trainer ihre Spieler in einer losen
Grundordnung mit einem einzigen Auftrag auf den Platz: Dann spielt mal
irgendwie. Was dabei herauskommt, ist bestenfalls als gehobenes
Freizeitkickertum zu bezeichnen. Kurz: Diese WM ist ein fußballerisches
Desaster.
Der von vielen erhoffte Wettbewerb zwischen Ballbesitz- und
Balleroberungsfußball findet nicht statt. Die Bälle müssen nicht erobert
werden, wenn man sie auf dem Silbertablett serviert bekommt. Und wenn ein
Spieler nicht weiß, wo seine Mitspieler hinlaufen, dann ist es schlicht
nicht möglich, Ballsicherheit auszustrahlen. Selten wirkten die
Mannschaften so schlecht auf ein Turnier vorbereitet wie in diesem Jahr.
Und auch bei vermeintlich großen Mannschaften wie Italien oder Brasilien
blieb eine Frage unbeantwortet: Wo ist der Plan? Da muss man beinahe schon
dankbar sein, dass es Mannschaften wie Griechenland gibt, die es schaffen,
im entscheidenden Moment genau das zu spielen, was sie können. Dass das bei
den griechischen Fähigkeiten für das Achtelfinale reicht, auch das ist
bezeichnend für diese Weltmeisterschaft.
## Nichts als Taktikstümperei
Was haben wir uns in den vergangenen Jahren mit der Verwissenschaftlichung
des Fußballs beschäftigt. Heerscharen von Taktikanalysten begleiten die
Teams, sitzen über ihren Laptops und versuchen das komplexe Spiel auf eine
Matrix zu übertragen. Was bringt das eigentlich, mag man sich fragen, wenn
man den Taktikstümpern bei dieser WM zusieht?
Da mag es Strategen geben wie den niederländischen Couch Louis van Gaal,
der im Spiel gegen Spanien das Mittelfeld mit hohen Bällen überbrücken
ließ. Aber dass die Spanier seinen Stürmern höflich Platz machen würden,
wenn die Bälle angeflogen kommen, damit hat er selbst gewiss am wenigsten
gerechnet. Genauso wenig wie all die Spieler, die im Arjen-Robben-Stil
parallel zur vorderen Strafraumgrenze dribbeln und damit gerechnet haben
dürften, dass ihre aus dem Dribbling abgefeuerten Schüsse wirklich im Tor
landen. So einfach war das Ballern lange nicht.
Und ein paar Typen gibt es, denen wird das Ballern besonders leicht
gemacht. Lionel Messi wird im Zweifel ebenso höflich Platz gemacht wie
Neymar, [1][dessen kamerunische Gegenspieler sich so zurückgehalten haben],
dass der brasilianische Vorzeigekicker noch ein paar nette Kunststückchen
einstreuen konnte. Die One-Star-Teams feiern ein Comeback, als hätte es all
die Diskussionen über flache Hierarchien im modernen Teamfußball nie
gegeben. Die WM kam da bislang arg gestrig daher.
Natürlich gibt es Gründe für das miese Gekicke. Niemand sollte erwarten,
dass die Teams in der brasilianischen Mittagshitze über 90 Minuten
hochkonzentriert agieren können. Und wenn nur genug Tore fallen, dann macht
sich hierzulande kaum einer Gedanken darüber, dass die Spieler zu diesen
Zeiten auf den Platz geschickt werden, damit die Partien in Europa zur
besten Abend- und Vorabendzeit im Fernsehen laufen können.
Und dass etliche Spieler so tollpatschig wirken, liegt gewiss auch daran,
dass ihnen nach der langen Saison im Verein keine Zeit zur Erholung
gelassen wurde. Kaum haben sie das Beste für ihre Klubs geleistet, mussten
sie ins Trainingslager zur WM-Vorbereitung. Das kann ja nicht gut gehen.
Champions-League-Sieger Xabi Alonso verdaddelt sich gewiss selten so, wie
er es im Spiel der [2][Chilenen gegen Spanien] getan hat. Das 1:0 für Chile
war gewiss kein fußballerisches Highlight. Es war so grausam wie vieles,
was einem bei dieser WM geboten wurde.
Tor, Toor, Tooor! Das wilde Gekicke in Brasilien ist wirklich nur für eins
gut. Blatters Schnapsidee wird sich nicht durchsetzen. Die Tore müssen
nicht vergrößert werden. Vielleicht sollte man sie kleiner machen.
26 Jun 2014
## LINKS
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## AUTOREN
Andreas Rüttenauer
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