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# taz.de -- Comics von Corben und Seeley: Wenn die Mumie erwacht
> Richard Corben zeichnet Monster. Die Heldin sieht aus wie eine ins
> Phantasmagorische gesteigerte Jayne Mansfield. Und Tim Seeley lässt
> Untote auferstehen.
Bild: Szene aus Tim Seeleys und Mike Nortons „Revival 1: Unter Freunden“.
Jahrelang haben Archäologen nach dem Grab des ägyptischen Hohepriesters
Khartuka gesucht. Jetzt ist es drei skrupellosen amerikanischen Abenteurern
gelungen, dort einzudringen. Sie wandern durch unterirdische Gänge und
Hallen, um schließlich den Schatz zu finden, von dem sie geträumt haben.
Reich beladen gehen sie zurück, fallen aber der wieder zum Leben erwachten
Mumie des Priesters zum Opfer. Karthuka triumphiert – aber mit einem hat er
nicht gerechnet: dem bissigen Hund der Räuber, der eine Schwäche für alte
Knochen besitzt.
„Grab des Grauens“ – im Original: „Terror Tomb“ – heißt diese Gesc…
Sie ist exemplarisch für die insgesamt vierzig Beiträge, die Richard
Corben, unterstützt von wechselnden Szenaristen, zwischen 1970 und 1978 für
die Magazine „Creepy“ und „Eerie“ gezeichnet hat. Die wichtigsten dieser
Frühwerke des 1940 in Missouri geborenen Künstlers sind im Laufe der Jahre
schon auf Deutsch erschienen, allerdings in verschiedenen Publikationen.
Nun sind sie alle in einem dicken, großformatigen Band versammelt und in
deutlich verbesserter Druckqualität.
Corben war immer ein umstrittener Zeichner. Seine Verehrer schätzen die
Wucht und ungeheure Akribie, mit der er Fantasiewelten zu gestalten vermag;
mit Großtaten wie „Bloodstar“ (1976) und „Den“ (1978) zählt er zu den
Pionieren der Graphic Novel. Seine Verächter – zu denen früher auch die
Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien gehörte – stoßen sich dage…
an den splatterigen Gewaltdarstellungen und vor allem an dem bizarren
Körperkult, den Corben betreibt.
Die prototypische Heldin seiner Comics läuft gerne mehr oder minder nackt
herum und schaut aus wie eine ins Phantasmagorische gesteigerte Jayne
Mansfield. Der prototypische Held kann einen Bodybuilder vor Neid erblassen
lassen; manche Leser haben sich von diesen Muskelpaketen zudem an das
Virilitätsgeprotze faschistischer Bildhauerei erinnert gefühlt.
Eine solche Wahrnehmung verfehlt jedoch das Spezifische von Corbens
Ästhetik. Die Über-Frauen und -Männer, die sein Werk bevölkern, sind nur
die vergleichsweise realistische Spielart eines allgemeinen Hangs zum
Grotesken. Die „Creepy“- und „Eerie“-Storys zeichnen sich durch eine
Mischung aus krudem Horror und schwarzem Humor aus. Zu ihr passen all die
Physiognomien, die Corben mit evidenter Lust an der Schönheit des
Hässlichen entwirft: Gesichter, die Gummimasken gleichen, zugleich prall
und von Falten durchzogen; insektenartige Außerirdische; Monster, die wie
ein Haufen Eingeweide oder Lovecrafts Ctulhu-Wesen aussehen.
## Exzentrische Kolorierung
Hinzu kommt die exzentrische, entschieden antinaturalistische Kolorierung.
Sonnenuntergänge sind schaurige Symphonien in eitrigem Gelb und blutigem
Rot; Szenen, die in der Nacht oder unter der Erde spielen, leuchten in
düsterem Blau und Violett. Wie bei den Arbeiten von Moebius, die im selben
Zeitraum entstanden sind, bedeutet der Akt des Kolorierens bei Corben stets
mehr als ein bloßes Buntmachen von Schwarzweißzeichnungen. Die Farbe ist
hier einerseits ein Wert an sich, andererseits fügt sie den Bildern etwas
latent Surreales hinzu.
Die Lektüre des Sammelbandes erlaubt es, Corbens Platz in der Geschichte
des amerikanischen Comics genauer zu verorten. Dies gilt speziell für sein
Verhältnis zu Robert Crumb. Auf den ersten Blick wirken die zwei wie
Antipoden: dort der radikale Selbstentblößer, einer der Begründer des
autobiografischen Comics, hier der Horror- und Fantasyspezialist, der seine
Obsessionen in den Mantel des Genres hüllt.
Schaut man genauer hin, ergibt sich allerdings durchaus eine Parallele.
Viele Geschichten von Crumb, wie etwa „Fritz the Cat“, lassen sich als eine
Underground-Version der Funny Animal Comics aus dem Hause Disney lesen.
Ähnlich ist bei Corben, bis in Details, der Einfluss der EC-Comics der
Fünfziger zu spüren, an die „Creepy“ und „Eerie“ generell anzuknüpfen
suchten. Beide Zeichner stehen im Spannungsfeld zwischen Bewahren und
Erneuern; der eine unterminiert, der andere radikalisiert eine Tradition,
die sie im selben Atemzug fortsetzen.
Eine der Standardfiguren des Horrorgenres fehlt bei Corben völlig: der
Zombie. Diese Sonderform des Monsters hat, nach einer ersten Blüte in den
Siebzigern, zuletzt einen so massiven Boom erlebt, dass man sich inzwischen
bei jedem weiteren einschlägigen Film oder Comic fragt: Was soll da noch
Neues kommen? Eine Möglichkeit hat der Autor Tim Seeley gefunden. Die Serie
„Revival“, die er schreibt, beruht auf einer ziemlich großartigen
Grundidee: Zwar sind es auch hier die Toten, die wiederkehren, aber eben
nicht als auf Frischfleisch gierige Untote, sondern schlicht als die, die
sie zum Zeitpunkt ihres Ablebens gerade waren.
## Fernsehende „Erweckte“
Die „Erweckten“, wie sie genannt werden, hocken also seelenruhig vor dem
Fernseher, sie gehen ihrer gewohnten Arbeit nach oder nehmen ein
unterbrochenes Studium wieder auf. Was dies für sie und ihre Angehörigen
bedeutet – daraus ließe sich ein Comic entwickeln, in dem psychologische,
moralische und philosophische Fragen im Vordergrund stünden. Aber darum
geht es in „Revival“, wenn überhaupt, nur sehr am Rande. Geschickt gemixt
werden vielmehr Crime-, Mystery- und Horrorelemente: Im Zentrum steht eine
junge, kleinstädtische Polizistin, deren Aufgabe es ist, sich um Verbrechen
oder Streitigkeiten zu kümmern, die im Zusammenhang mit den „Erweckten“
stehen.
„Revival“ erscheint in den USA als fortlaufende Serie im Monatsabstand;
bisher liegen gut dreißig Hefte vor. In der deutschen Ausgabe sind die
ersten fünf von ihnen vereint, und so spannend sie zu lesen sind, leidet
der Gesamteindruck ein wenig darunter, dass es sich letztlich um eine stark
ausgedehnte Exposition handelt. Seeley ist so sehr bemüht, Spuren zu legen,
die er in Zukunft verfolgen kann, dass dies auf Kosten der Kohärenz geht.
Stärken und Schwächen haben auch die Zeichnungen von Mike Norton. Sie sind
routiniert, aber etwas hölzern. Ausdrucksvolle Gesichter wollen Norton
nicht immer gelingen; so hat man manchmal Schwierigkeiten, die Polizistin
von ihrer jüngeren, „erweckten“ Schwester zu unterscheiden.
Am besten zeichnet Norton die rätselhafteste Figur des Comics: den Geist
eines Soldaten, der ruhelos durch die Wälder streift. Er ist riesig und hat
lange Gliedmaßen. Im Verhältnis zum überschlanken Körper ist sein Kopf, in
dem leere, dunkle Augenhöhlen sitzen, viel zu groß. Er ist furcht- und
mitleiderregend zugleich – und in seiner Biegsamkeit, seiner lebhaften
Körpersprache wirkt dieser totenblasse Flüchtling aus dem Jenseits viel
lebendiger als die Menschen, die er heimsucht.
29 Jun 2014
## AUTOREN
Christoph Haas
## TAGS
Comic
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Comic
Sasa Stanisic
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