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# taz.de -- Lehrerausbildung in Schleswig-Holstein: Einheitspauker mit Einheits…
> Schleswig-Holstein will Lehrkräfte für alle Schularten ausbilden. Nicht
> nur das Gesetz ist umstritten, auch die Ministerin macht sich unbeliebt.
Bild: Mathe für alle Schularten? Der Einheitslehrer soll unterrichten.
KIEL taz | „Bald weiß jedes Kind in Deutschland: Die besten Lehrerinnen und
Lehrer kommen aus dem Norden.“ So selbstbewusst gab sich Lars Harms,
Abgeordneter des Südschleswigschen Wählerverbands (SSW) im
schleswig-holsteinischen Landtag noch im April. Dabei war zu diesem
Zeitpunkt längst ein heißer Streit um das Gesetz entbrannt, welches die
Ausbildung der zukünftig besten Lehrer regeln soll.
Ein Streit zwischen Opposition und Regierung sowie zwischen den
Universitäten Kiel und Flensburg. Im Zentrum der Kritik steht die
parteilose Bildungsministerin Waltraud Wende, deren Stuhl kippelt.
Eigentlich wollte die Regierungskoalition aus SPD, Grünen und dem SSW nur
eine offensichtliche Lücke schließen. Denn während sich die Schullandschaft
Schleswig-Holsteins in den vergangenen Jahren grundlegend wandelte, blieb
das Lehramtsstudium unangetastet.
Lehrkräfte für Grund-, Förder- und Gemeinschaftsschulen sowie Gymnasien
werden bislang getrennt nach Laufbahn ausgebildet. Mit dieser Aufteilung
soll nun Schluss sein: Ab dem kommenden Wintersemester bereitet das
Lehramtsstudium nicht mehr auf eine Laufbahn vor, sondern auf die Arbeit in
der Grundschule einerseits sowie einer beliebigen weiterführenden Schule
andererseits. Das heißt, wer künftig in den Klassenstufen 5 bis 13
unterrichten will, wird „Sekundarschullehrer“ und kann Kinder sowohl am
Gymnasium als auch an der Gemeinschaftsschule zum Abitur führen. Auch auf
den Unterricht in Inklusionsklassen soll der Nachwuchs vorbereitet werden.
„Endlich bilden wir unsere Studierenden für die tatsächlichen
Schulstrukturen aus“, freute sich Bildungsministerin Waltraud Wende, als
sie den Gesetzentwurf vorstellte.
Kritik kam von der Opposition und dem Philologenverband. Doch um
inhaltliche Fragen geht es seit Wochen bestenfalls in zweiter Linie. Der
Entwurf hat einen Streit unter den Universitäten Kiel und Flensburg
entfacht.
Bisher werden in Flensburg, im nördlichsten Zipfel des Landes, Lehrkräfte
für Grund-, Förder- und Gemeinschaftsschulen ausgebildet. Künftige
GymnasiallehrerInnen studieren an der Christian-Albrecht-Universität zu
Kiel. Wenn die Studiengänge wie geplant vereinheitlicht werden, profitiert
vor allem Flensburg. Kiel dagegen muss befürchten, Stellen und Studierende
zu verlieren. „Der Standort Kiel ist gefährdet“, so der frühere
Uni-Präsident Gerhard Fouquet. Er ärgerte sich darüber, dass das
Ministerium die Pläne nicht vorab mit den Beteiligten besprochen habe: „Wir
sind kalt erwischt worden.“ Anfangs kündigte Kiel gar jede weitere
Zusammenarbeit mit Flensburg auf. Es brauchte mehrere Gesprächsrunden im
Ministerium, um die Gemüter zu besänftigen.
## Kein Rückkehr-Ticket für Ministerin
Auch Wende selbst steht unter Druck. Abgeordnete von CDU und FDP werfen ihr
„Korruption, Selbstbedienungsmentalität, Vetternwirtschaft“ vor. Sie
meinen, Wende habe aus Eigennutz die Universität Flensburg begünstigt,
deren Präsidentin sie bis vor zwei Jahren war. Ministerpräsident Torsten
Albig (SPD) holte die promovierte Germanistin und
Kulturwissenschaftlerinnen damals als politische Seiteneinsteigerin in sein
Kabinett.
Brenzlig für die Ministerin wurde aber ein weiterer Punkt. Es geht um ein
Rückkehrrecht Wendes an die Universität Flensburg, wenn sie das Kabinett
verlässt. Erst ein Sabbatjahr, dann eine gut ausgestattete
Professorenstelle – so sah es ein Vertrag vor, den Wende noch im Amt der
Präsidentin durchsetzte, als sie bereits für den Ministerposten designiert
war. Ministerpräsident Albig hielt es grundsätzlich für normal, wenn sich
jemand beim Wechsel aus einem unbefristeten Job in ein unsicheres
Politik-Amt Gedanken um die Zukunft macht. Er verteidigte Wende gegen die
Angriffe der Opposition.
Doch eigentlich besitzt die Ministerin formal gar keinen Anspruch auf ein
Rückkehr-Ticket: Sie ist nämlich nie ordentliche Professorin in Flensburg
gewesen, sondern als Präsidentin berufen worden, als sie in den
Niederlanden lehrte.
Inzwischen gab Wende bekannt, dass sie auf den Vertrag verzichten werde –
die Angriffe der Opposition haben damit aber nicht aufgehört. Wendes
Rücktritt wird ebenso gefordert wie ein Neustart des ganzen
Gesetzesprojekts.
Beides lehnt die Regierung ab. Bereits im Juli will die Koalition den
Entwurf im Landtag beschließen.
Vor wenigen Tagen kam es im Bildungsausschuss zu einem weiteren
Schlagabtausch. Zahlreiche externe Fachleute meldeten sich zu Wort. Dabei
mussten Wende und ihr Ministerium erneut Kritik einstecken. Unter anderem
geht es um die Doppelstrukturen, die entstehen, wenn Fächer in Kiel und
Flensburg parallel studiert werden können: „Dieser Gesetzentwurf ist weder
ordnungsgemäß noch wirtschaftlich“, sagte Ulrich Eggeling vom
Landesrechnungshof. Die Doppelstruktur sorge für ein Finanzierungsdefizit
der Hochschulen von 20 Millionen Euro – jährlich.
## Gymnasiallehrern droht Gehaltskürzung
Kritik kommt auch am Konzept des „Einheitslehrers“. Lutz Kipp, neuer
Präsident der Kieler Universität, erklärte: „Nicht jeder Lehrer kann alles
machen.“ Das Ergebnis sei „Mittelmaß“.
Ähnlich sieht es der Philologenverband, der Gymnasiallehrkräfte vertritt:
„Die fähigsten jungen Lehramtsaspiranten werden Schleswig-Holstein den
Rücken kehren“, befürchtet der Landesvorsitzende Helmut Siegmon. Das Gesetz
plane zudem am Bedarf vorbei, da die meisten Gemeinschaftsschulen keine
Oberstufe hätten und daher Studierende auf Unterricht vorbereitet würden,
den sie vermutlich nie erteilen werden.
Die Gewerkschaft GEW lobt das Gesetz dagegen: „Es liegt auf der Hand, die
Lehrerinnen und Lehrer einheitlich auszubilden“, sagte der
GEW-Landesvorsitzende Matthias Heidn vor dem Landtagsausschuss. Das Gesetz
sei „notwendig und im Kern gelungen“. Auch die Studierenden sind auf Wendes
Seite. Die Kieler Asta-Vorsitzende Sophia Schiebe begrüßt, dass im neuen
Studium ein Praxissemester vorgesehen ist.
Doch schon droht der nächste Ärger. Nicht nur die Ausbildung, auch die
Entlohnung der Lehrkräfte soll einheitlicher werden. Hunderte von
Gymnasiallehrern sollen um eine Besoldungsstufe herabgestuft werden, eine
Einbuße von etwa 200 Euro monatlich. Aus dem Bildungsministerium heißt es
zwar, es stehe noch nichts fest. Doch die Opposition schießt sich schon mal
ein. Die CDU-Landtagsabgeordnete Heike Franzen schimpft: „Der
Einheitslehrerausbildung folgt die Einheitsbesoldung.“
3 Jul 2014
## AUTOREN
Esther Geißlinger
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Schleswig-Holstein
Lehrerausbildung
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