Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Ausstellung in Frankfurt: Surrealismus in trockenen Tüchern
> Spurensuche im Schatten von Buñuel und Dalí: „Bewusste Halluzinationen.
> Der filmische Surrealismus“, eine Schau im Frankfurter Filmmuseum.
Bild: Die Ausstellungsmöblierung ist fantastisch. Hier die Vitrine zum tschech…
Wenn es überhaupt nur zwei Filme gibt, die man mit Sicherheit als
„surrealistisch“ bezeichnen kann, und beide sind französisch, dann ist die
Basis für eine globale Verortung natürlich etwas schmal. Eine riesige
schwarze Wandtafel, betitelt „Verbreitungswege des surrealistischen Films“,
platziert Paris im Zentrum wie eine fette Spinne in ihrem gewaltigen Netz,
deren längster Faden bis in den letzten Winkel reicht.
Tatsächlich versucht sich die Ausstellung „Bewusste Halluzinationen. Der
filmische Surrealismus“ im Frankfurter Filmmuseum an einer Inventarisierung
der surrealistischen Bewegung, die hier als gewaltige, rumorende,
palavernde, flackernde Weltgemeinschaft im Dunkel einer Museumsetage
dargestellt wird, und die Ausstellungsmöblierung ist (für die Ephemera)
geradezu fantastisch geraten.
Der kleine amerikanische Beitrag zum Thema wird dargestellt auf einbeinigen
Schildern, wie sie in den USA Demonstranten im Kreis tragen. Eine
tschechische Vitrine ruht, Allen-Jones-mäßig, auf einer Gruppe weißer Arme
und Beine, die in einer Tanzbewegung eingefroren sind. Buenos Aires wird
metaphorisiert durch eine Gruppe von zwölf hölzernen Bilderrahmen, deren
oberste und unterste Reihe um neunzig Grad angewinkelt in den Raum zeigt,
so dass die Vorstellungen von Bild und Vitrine miteinander verschmelzen.
## Letzter Winkel Buenos Aires
Der letzte Winkel der surrealistischen Bewegung war übrigens Buenos Aires,
weil nämlich Benjamin Fondane 1936 eine Reise nach Argentinien machte und
dort mit einem Team von sieben Männern „Tararira“ drehte. Dieser Mann,
geboren 1898 in Rumänien unter dem Namen Benjamin Wechsler, wird später in
Paris verhaftet, nach Auschwitz deportiert und dort ermordet.
Diese biografische Notiz ist versteckt unter einem gelbem Helm, der, wie
alle anderen Kurzbios, so im Saal aufgehängt ist, dass man sich leicht den
Kopf daran stößt, und man muss sich ganz gut verrenken, um den
illuminierten Text von unten zu lesen. Ein gewitzter Einfall, um die
Relativität surrealistischer „Köpfe“ vor dem Gesamtkunstwerk der Gruppe
herauszustreichen.
Die Ausstellung widmet sich der surrealistischen Bewegung und ihren Filmen
nur bis 1939, und im Zentrum steht natürlich „Ein andalusischer Hund“,
jener mondnachttrunken-hundsgemeine Film von 1929 nach dem Drehbuch von
Buñuel und Dalí. Diesen hat man, als Hauptwerk, in der Ausstellung räumlich
dargestellt, nämlich auf fünf schwebenden Gazetüchern, die das Filmbild
jeweils darstellen, aber auch durchlassen. Und auf der Rückwand des letzten
Bildträgers findet sich dann jene Weltreisekarte der surrealistischen
Filmer, die allein grafisch darzustellen nur möglich ist, bis zu dem
Moment, als man anfing, transkontinental zu fliegen.
Für den Katalog aber ist das Epochenlimit, bedingt durch den deutschen
Überfall auf Frankreich, nicht entscheidend. Im Gegenteil, die
„Auswahlfilmografie“ reicht von Louis Feuillades „Fantômas“-Serie (191…
bis zu Jan Svankmajers „Alice im Wunderland“-Adaption von 1987. So
katalogisieren die Beiträge die surrealistischen Gruppen, Vorläufer,
Antriebe, Motive und deren Wiederbelebung nach 1945 in dreizehn Ländern
(oder auch auf ganzen Kontinenten), was eine ziemlich kleinteilige
Textproduktion zur Folge hat.
## Kämpfe und Bissigkeiten
All diese Männer! Ihre Freundschaften, Rivalitäten, Kooperationen,
Missionsreisen, begeisterte Aufnahmen in die Gruppe, gefolgt von
Ausschlüssen, dieser entnervende Briefmarkensammlerkomplex künstlerischer
Vereinigungen im Allgemeinen und speziell der Surrealisten, deren Kämpfe
und Bissigkeiten denen der psychoanalytischen Vereinigungen ähnelten.
Man kann sie nur deshalb nicht als „stalinistisch“ bezeichnen, weil der
Surrealismus eine Denkanordnung gesucht hat, die als oberstes
Wahrnehmungsprinzip gemeint und insofern, obwohl selbst doktrinär, gegen
andere Doktrinen auf geradezu märchenhafte Weise abgeschottet war. Allzu
sehr kämpfen die AutorInnen des Katalogs mit der Dogmatik einerseits, also
der Frage, was als surrealistisch etikettiert werden darf, und was
andererseits eine surrealistische Affinität sein könnte, die zweifelsfrei
in die Gegenwart reicht. Die Spanne ist zu groß und die zentralen Thesen
fehlen.
Ein Autor im Katalog, allerdings, kommt gänzlich unbekümmert und
fußnotenfrei kulturhistorisch zur Sache: ein experimenteller englischer
Filmemacher, dessen 8-mm-Agenda 1956 in Paris begann. Er heißt Robert
Short. Zwei berühmte Sackgassen riegelt er methodisch ab. Erstens, der
surrealistische Film könne sich beim Traum einloggen. Kam er als Traum
daher, bot er „Kritikern und dem Publikum die einfache Möglichkeit, [den
Film] als reines Produkt der Phantasie abzutun.“
## Mitten hinein in den Mainstream
Zweitens die Sackgasse, den surrealistischen Film als Kunstsparte zu
sortieren. Im Gegenteil, die Surrealisten träumten von einem radikalen,
populären Mainstream-Kino, zentriert „auf zwei von Sigmund Freud eifrig
kultivierte Bereiche psychischer Aktivität: den Humor und den Sex“. Deshalb
ist der andere Buñuel/Dalí, „L’âge d’or“, der zweite große, unumstr…
surrealistische Film, gerichtet gegen „soziale Ungerechtigkeit,
Militarismus und Religion“. Short wundert sich gar nicht, dass dieser Film
„für Aufruhr sorgte und die nächsten fünfzig Jahre verboten war“.
Der Katalog, wertvoll durch seine minutiöse Listung, ist also kein
Schlüssel zur Ausstellung, so wie die Ausstellung selbst gewiss nur den
Subtext webt für das enorme Programm an surrealismusverdächtigen Filmen,
die in den nächsten Monaten in Frankfurt zu sehen sein werden. Die Schau im
dritten Stockwerk des Filmmuseums, als globaler Kontakthof, ist so
pittoresk wie gelungen und kann mit einigen wirklich raren Leihgaben
punkten.
Dennoch ist ein erheblicher Teil der Exponate – Notizen, Einladungskarten,
Illustrationen und Fotografien aus allen möglichen Ländern der Welt – doch
nur in Reproduktionen vorhanden, dem ausgekochten Museumsbesucher eine
schmerzliche Erinnerung an den Umstand, letztendlich Fetischist zu sein.
Was aber zum Thema gehört.
7 Jul 2014
## AUTOREN
Ulf Erdmann Ziegler
## TAGS
Surrealismus
Surrealismus
Ausstellung
## ARTIKEL ZUM THEMA
Dalí, Freud und der Faschismus: Essen und gegessen werden
Faschismus ist, wenn das Verdrängte ausgelebt wird: Salvador Dalís Kochbuch
„Die Diners mit Gala“ als Kommentar zu 2016.
Ausstellung „Film und Games“: Daddeln als Teilzeitjob
Zocken wir, weil wir unterfordert sind? Eine Ausstellung im Deutschen
Filmmuseum Frankfurt fragt nach dem Verhältnis von Spiel und Film.
Wie sich die Biennale änderte: Noch einmal die Sanduhr umgedreht
Vor über 20 Jahren war unser Autor zum ersten Mal auf der Biennale. Nun ist
er noch einmal hingefahren und kämpft gegen das Gefühl, alles niederbrennen
zu wollen.
Neues Berliner Surrealismus-Museum: Der alte Aberglaube
Gespenster zur rechten Zeit: Berlin hat ein neues Museum für den
Surrealismus, dank der Stiftung der Sammlung Scharf-Gerstenberg.
Buñuel-Retrospektive auf der Berlinale: Der Jahrhundertmann
Surrealismus, Kommunismus, Flucht, neue Medien, Kulturindustrie - Luis
Buñuel hatte mit allen wichtigen Konstellationen des 20. Jahrhunderts zu
tun.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.