| # taz.de -- Vertriebenenlager im Südsudan: Im stinkenden Sumpf | |
| > Im UN-Lager im Südsudan versinken 45.000 Menschen im Schlamm. Trinkwasser | |
| > ist knapp, die Holzsuche gefährlich und Krankheiten sind verbreitet. | |
| Bild: Frauen mit mangelernährten Kindern im Vertriebenenlager in Bentiu. | |
| BENTIU taz | Der Brustkorb des neun Monate alten Thijin Dach hebt und senkt | |
| sich in schnellem Rhythmus. Die Atmung fällt dem südsudanesischen Jungen | |
| schwer. „Er wiegt weniger als fünf Pfund, er hat etwas mehr Gewicht als bei | |
| einer normalen Geburt. Seine Lebenschancen sind gering“, prognostiziert die | |
| Niederländerin Nora Echaibi von Ärzte ohne Grenzen. Thijin Dach liegt | |
| zusammen mit anderen unterernährten Kindern in einem improvisierten | |
| Krankenhaus in einem Zelt im Flüchtlingslager nahe der Stadt Bentiu im | |
| Norden des Landes. Er und ein weiteres Baby sterben noch am selben Tag. | |
| Die Zustände im Lager sind dramatisch. Die heftigen Güsse während der | |
| Regenzeit verwandeln das Camp in einen stinkenden Sumpf; das Wasser dringt | |
| regelmäßig in die armseligen Unterkünfte ein. Es gibt nicht genug sauberes | |
| Trinkwasser, es mangelt an Latrinen. Kinder schwimmen in Seen, die sich aus | |
| Lecks der Kanalisation speisen. Hier waschen auch Frauen Kleider und | |
| Geschirr. Das Lager wird von der UNMiss betrieben, der UN-Mission im | |
| Südsudan. Durchfall, Malaria, Lungenentzündung und Unterernährung sind weit | |
| verbreitet. Cholera kann jederzeit ausbrechen. | |
| Für die etwa 45.000 Menschen ist das Lager viel zu klein. Es ist von | |
| Lehmwällen umgeben und wird von Blauhelmen bewacht. Im Dezember vergangenen | |
| Jahres suchten die Flüchtlinge hier nach einem sicheren Ort. Zuvor war ein | |
| Machtkampf zwischen Präsident Salva Kiir und seinem ehemaligen | |
| Stellvertreter Riek Machar in einen ethnischen Konflikt zwischen den beiden | |
| größten Völkern im Land ausgeartet. Kiir ist ein Dinka und Machar ein Nuer. | |
| Im Bundesstaat Unity mit der Hauptstadt Bentiu leben überwiegend Nuer. Die | |
| Stadt wird zwar kontrolliert von der Regierungsarmee, die hauptsächlich aus | |
| Dinka-Soldaten besteht, aber in der Umgebung sind Nuer-Rebellen von Machar | |
| aktiv. Trotz offizieller Waffenruhe kommt es regelmäßig zu Kämpfen. | |
| Friedensgespräche im Nachbarland Äthiopien ziehen sich hin. | |
| ## Die Gräber stehen unter Wasser | |
| Ärzte ohne Grenzen sorgt nicht nur für die Kranken im Lager, sondern | |
| arrangiert auch Beerdigungen. Nicht nur für Patienten, sondern auch für | |
| Vertriebene, die im Lager gestorben sind. „Wir bitten sie, uns ihre Toten | |
| zu bringen. So versuchen wir, zu verhindern, dass die Toten innerhalb des | |
| Lagers beerdigt werden“, berichtet Echaibi, während sie in einer | |
| Leichenhalle aus Schilf vier Kinderkörper für ihr Begräbnis vorbereitet. | |
| Sie schneidet Leichensäcke für Erwachsene in der Mitte durch und wickelt | |
| die toten Kinder ein. | |
| Etwas später bringt ein Auto der Hilfsorganisation die vier Mütter und ihre | |
| Kinder auf den Friedhof. Der Wagen kämpft sich durch kniehohes Wasser und | |
| dicke Schlammschichten. Ein Dutzend tiefe Gruben sind schon für | |
| Beerdigungen ausgehoben. Die meisten stehen aber unter Wasser. Schließlich | |
| werden die Kinder zu zweit begraben. Die Mütter machen Kreuze aus | |
| Sorghum-Stielen und stecken sie in die Gräber. | |
| Im Lager dann ist Nyabuath Machar dabei, vor ihrer kleinen Unterkunft, die | |
| sie mit ihren acht Kindern teilt, ein Feuer zu entfachen. Sie weiß, was es | |
| heißt, ein Kind zu verlieren. Ein Sohn und ihr Ehemann kamen im Dezember | |
| bei den ersten Kämpfen in Bentiu ums Leben. „Ich bemühe mich, meine Kinder | |
| zu ernähren und gesund zu halten. Ich stehe allein vor dieser | |
| Riesenaufgabe.“ | |
| ## „Ich fühle mich nirgendwo sicher“ | |
| Auch wenn es Frieden gäbe, hätte sie keinen Ort, an den sie zurückkehren | |
| könnte. Ihr Haus wurde wie viele Gebäude in Bentiu während der Kämpfe | |
| zerstört. Über die Zukunft will und kann sie nicht nachdenken. Sie braucht | |
| all ihre Energie für das Überleben. Während sie das Feuer anzündet, mahlt | |
| eine Tochter Sorghum-Kerne zu einer braunen Paste, dem Hauptbestandteil des | |
| Abendessens. | |
| Bei dem Nuer-Volk ist das Sammeln von Holz Aufgabe der Frauen. Für Männer | |
| wäre es ohnehin zu gefährlich, denn Dinka-Soldaten könnten sie für Rebellen | |
| halten. Aber auch für Frauen ist es ein riskantes Unternehmen. Sie wollen | |
| zwar nicht offen darüber sprechen, aber es gibt reichlich Anzeichen dafür, | |
| dass Frauen vergewaltigt werden. „In der Regel verlassen wir das Lager in | |
| Gruppen, um Holz zu suchen. So fühlen wir uns sicherer“, sagt die Witwe. | |
| „Aber auch im Lager passieren schlimme Dinge. Ich fühle mich nie und | |
| nirgendwo sicher.“ | |
| 3 Jul 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Ilona Eveleens | |
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