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# taz.de -- Pflege und Bürokratie: Die Betreuerin
> Wenn in der Familie jemand zum Pflegefall wird, haben Angehörige nicht
> nur mit Krankheit zu kämpfen. Sondern vor allem mit den Behörden.
Bild: Die Behörden nehmen einem die Zeit für die eigentlich Pflege.
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Meine Mutter hat einen Schlaganfall. Ungefähr eine Stunde liegt sie auf den
kalten Küchenfliesen des Bauernhauses in der Schorfheide in Brandenburg.
Dort verbringen meine Eltern viel Zeit, seit sie Rentner sind. Eigentlich
wohnen sie in Berlin. Ein Rettungswagen bringt meine Mutter ins nächste
brandenburgische Krankenhaus.
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Meine Mutter ist fast am gesamten Körper gelähmt, sie kann kaum schlucken,
nicht sprechen. Es ist unklar, was sie wahrnimmt. Weil meine Mutter nicht
mehr sagen kann, was mit ihr geschehen soll, stellt das Krankenhaus beim
örtlichen Amtsgericht einen Antrag auf Eilbetreuung. Damit soll gerichtlich
festgelegt werden, dass die Ärzte in allen medizinischen Fragen für meine
Mutter entscheiden dürfen.
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Die Ärzte stellen fest, dass meine Mutter eine „ausgeprägte Aphasie und
Apraxie“ hat, sie wird nie wieder sprechen können und halbseitig gelähmt
bleiben. Damit ist klar, dass sich meine Mutter nie wieder um sich selbst
kümmern kann. Das müssen jetzt andere für sie tun.
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Meine Mutter hat Geburtstag, sie wird 77 Jahre alt.
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Meine Mutter wird in eine Reha-Klinik verlegt, in ein Haus mitten im
Brandenburger Wald. Dort erhält sie Sprach- und Ergotherapien,
Krankengymnastik.
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Meine Mutter hat nie eine sogenannte Vorsorgevollmacht ausgefüllt. Damit
hätte sie in „gesunden Zeiten“ festlegen können, wer darüber bestimmt, w…
mit ihr passiert, wenn sie selbst keine einzige Entscheidung mehr fällen
kann: Heim oder Pflege zu Hause? Welche Therapien? Welcher Rollstuhl? Was
wird aus dem Wochenendgrundstück in der Schorfheide? Was aus ihren
Sparkonten? Mein Vater, meine Schwester und ich gehen davon aus, dass auch
ohne Vorsorgevollmacht mein Vater automatisch über alles entscheiden darf.
Schließlich ist er der Ehemann meiner Mutter. Aber das ist ein Trugschluss.
„Nur“ miteinander verheiratet zu sein, reicht in einem solchen Fall nicht.
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Ich stelle bei der sogenannten Betreuungsbehörde beim zuständigen Sozialamt
einen Antrag auf dauerhafte Betreuung. Früher hieß so etwas Vormundschaft.
Unser Familienrat hat das so beschlossen. Mein Vater ist selbst ein
Pflegefall und muss demnächst ins Krankenhaus, Papierkram und Behörden
überfordern ihn. Meine Schwester hat ein kleines Kind.
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Unterdessen wird der Antrag auf Eilbetreuung, der für die Ärzte wichtig
ist, von einem Amtsgericht zum nächsten geschickt: Das in Berlin, wo meine
Mutter polizeilich gemeldet ist, fühlt sich nicht zuständig, weil sie
gerade in einer Klinik in Brandenburg ist. Das Gericht in Brandenburg lehnt
aber auch ab, weil meine Mutter in Berlin ihren Hauptwohnsitz hat.
Zwischendurch wird meine Mutter immer mal von verschiedenen Beamtinnen
„angehört“.
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Meine Schwester und ich suchen schon mal einen Heimplatz für meine Mutter.
In den nächsten Wochen schauen wir uns in ganz Berlin Pflegeheime an. Wir
betreten saubere und freundliche Häuser, aber auch welche, in denen es
merkwürdig riecht und die Alten regungslos in einer Ecke hocken. Ein
Heimplatz kostet zwischen 2.800 und 8.000 Euro.
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Meine Mutter ist noch in der Reha-Klinik.
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Eine Mitarbeiterin des Amtsgerichts in Berlin, eine sogenannte
Rechtspflegerin mit juristischer Sachkompetenz, überreicht mir meinen
„Betreuerausweis“. Damit darf ich jetzt über alles entscheiden, was meine
Mutter betrifft.
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Ich suche einen Notar, der ohne Anmeldung und wochenlanger Wartefrist vom
Betreuerausweis beglaubigte Kopien macht. Ohne die geht beispielsweise bei
Banken gar nichts. Ich telefoniere, suche im Internet. Am Ende des Tages
finde ich eine einzige Kanzlei in meiner Gegend.
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Meine Mutter ist „austherapiert“, wie es in der Fachsprache heißt: In der
Reha kann man nichts mehr für sie tun. Der Umzug ins Pflegeheim wird
vorbereitet.
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Ich lege mehrere Ordner an, einer heißt „Betreuung“, ein anderer
„Pflegeheim“, der nächste „Medizinisches“. Tagelang schreibe ich Antr�…
fülle Formulare aus, mache Kopien, sitze auf dem Bezirksamt und in der
Rentenstelle, telefoniere mit der Krankenkasse, mit der Rehaklinik.
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Meine Mutter wird in ein Pflegeheim nach Berlin verlegt.
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Jeden Tag bekomme ich drei bis fünf Briefe für meine Mutter: Rechnungen,
neue Anträge, neue Formulare. Es geht um Rentenanpassung, Pflegestufen,
Krankenkassenbeiträge. Die Banken brauchen immer neue Unterlagen und
Unterschriften, das Amtsgericht will irgendwelche Gutachten. Ich muss einen
Arzt besorgen, der ins Pflegeheim fährt, einen Neurologen suchen, der meine
Mutter untersucht, in einem Sanitätshaus einen Rollstuhl und eine
Spezialmatratze bestellen. Zwischendurch ruft das Heim an und sagt, meine
Mutter brauche Windeln.
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Das Amtsgericht erinnert mich daran, dass ich jedes Jahr einen Bericht
vorlegen muss, was ich so gemacht habe als Betreuerin. Mehrere Seiten: Wie
geht es meiner Mutter gesundheitlich? Wo wohnt sie? Wie funktioniert das
mit den Therapien? Was habe ich mit dem Geld meiner Mutter gemacht? Jeden
Cent, mit dem ich Pflegeheim, Medikamente, Friseur, Fußpflege, Logopädin
bezahle, muss ich detailliert nachweisen. Geht mehr Geld vom Konto ab,
gibt’s Ärger. Als Betreuerin stehen mir im Jahr 339 Euro
Aufwandsentschädigung zu. Die darf ich mir vom Konto meiner Mutter nehmen.
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Für jeden Cent, den ich von einem Konto abhebe, muss ich persönlich in der
Bank erscheinen. Ich muss meinen Personalausweis vorlegen und den
Betreuerausweis im Original. Warum wollten die Banken vom Betreuerausweis
eigentlich notariell beglaubigte Kopien haben, wenn ich sowieso für jede
kleine Bankbewegung persönlich erscheinen muss?
Eine Bank hat keine Filialen, das Stammhaus ist in Düsseldorf. Die
Bankangestellte sagt am Telefon, dass ich den Originalausweis schicken
soll. Ich weigere mich. Wenn der Ausweis weg ist, ist er weg und ich kann
gar nichts mehr machen. Ich weigere mich auch, nach Düssldorf zu fliegen.
Sie sagt, ich soll eine Vollmacht schicken, die finde ich ganz leicht im
Internet. So was hat die Bank aber längst.
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Es heißt, dass Betreuung so etwas ist wie ein Halbtagsjob. Ich arbeite
„nebenbei“ auch noch Vollzeit. An manchen Abenden schlafe ich schon bei den
Auslandsnachrichten der „Tagesschau“ auf dem Sofa ein.
6 Jul 2014
## AUTOREN
Simone Schmollack
## TAGS
Pflege
Betreuung
Bürokratie
Behörden
Familienministerin
Bürokratie
Pflege
Beitragssatz
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