Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Kommentar Deutschlandspiele: Wo wir Schland gucken
> Public Viewing ist schwer angesagt. Aber sind der deutsche Jubel und das
> Fahnengewedel überhaupt zu ertragen? Vier Einschätzungen.
Bild: Möchten Sie mit diesem Mann gemeinsam Fußball gucken?
## Wo Schland okay ist
Alleine Fußballgucken ist langweilig. Ich mag es, schlaue und dumme
Kommentare zu hören, die gemeinsamen Aaaaahs! und Neiiiins!, das Stöhnen
und Jubeln. Was ich nicht mag: besoffene
„Super-Deutschland-olé-olé“-Brüller neben, hinter oder vor mir, rhythmis…
„Sieg!“-Rufe, bei denen ich nicht umhin kann, das „Heil!“ mitzuhören,
Rassisten und Schwulenfeinde um mich rum. Ich kann es nicht ändern, dass es
solche Leute gibt, aber ich will mit ihnen keine Freizeit verbringen und
kann auch nicht jedes Mal eine Schlägerei beginnen.
Ich wohne im Stadtteil Karlshorst im Berliner Osten. Nix Szene, nix
Multikulti. Ja, die Leute kommen im DFB-Shirt, manche schwarz-rot-golden
angemalt, gern Frauen und Kinder, manche mit diesen albernen Girlanden um
den Hals. Aber niemand müsste Angst haben, wenn er heute im Brasilientrikot
käme.
2006, beim Spiel gegen Argentinien, war ich mit meinen Kindern beim Public
Viewing auf dem Gelände der Trabrennbahn Karlshorst, mit rund 2.000
Schlandisten. Ich war argentinisch gekleidet.
Nach Pekermans Wechselfehlern und dem deutschen Sieg herrschte allgemeine
Begeisterung, und direkt vor dem Herrenklo stand ein betrunkener
Schlandist, der alle Pinkelnden auf den Sieg abklatschte. Ich deutete auf
meine argentinischen Socken. Er legte mir den Arm auf die Schulter, sagte:
„Jut jespielt, nimmet nich so schwer und komm jut nach Hause!“ So ist
Schland okay. Bernd Pickert
## Fußball für alle
Jetzt, da Deutschland im Halbfinale ist, wollen plötzlich auch die
Fußballfaulen Fußball gucken, und zwar unter vielen. Aber wo? Beim Public
Viewing? Nein, denn – da ist man sich sicher – hier dient der Fußball nur
als Vorwand, damit Deutschland-Deppen die Patriotistensau rauslassen
können. Hier werden Fahnen geschwenkt und rassistische Beleidigungen
gebrüllt.
Dieses Urteil ist vorschnell und etwas überheblich – viele Public Viewings
sind besser als ihr Ruf. Zum Beispiel in Kreuzberg. Auch in Bars mit
überwiegend Deutschen trägt kaum jemand Schwarz-Rot-Gold. Man jubelt, ja,
wenn die deutsche Mannschaft ein Tor schießt, aber die Freude ist
entspannt, nicht prahlerisch.
Fußball ist nur dann chauvinistisch, wenn man ihn so deutet. Die
Weltmeisterschaft aufzugeben, weil Fußballfans schon rassistische Überfälle
verübten, hieße, sich dieser Vereinnahmung zu beugen. Vielerorts ist man da
weiter. Wenn in einer Bar Türken, Deutsche, Spanier und Kolumbianer
gemeinsam stöhnen und jubeln, dann merkt man, was Fußball kann.
Eine gemeinschaftliche Identität schaffen, die den Einzelnen verortet und
gerade dadurch Offenheit möglich macht. Da kann man für Deutschland sein –
oder eben nicht. Wie neulich: Als ich einer spanischen Freundin vorschlug,
ins Kino zu gehen, schrieb die fast empört zurück: „Das soll jetzt nicht
komisch klingen, aber Deutschland spielt heute. Ich bin Fußball gucken.“
Julia Ley
## Blödes Gequatsche
Massiver Aggressionsstau, wenn der aufgeschwemmte Blonde auf der Bierbank
vor einem zum zigsten Mal ansetzt, „Wir ham immer wieder festgestellt:
Deutschland ist der geilste Club der Welt“ zu leiern und sich, wie immer,
zwei, drei mitblökende Armleuchter finden. Nee, das ist kein
Mickie-Krause-Konzert, kein Sommerfest eines Dorfvereins, das ist
Viertelfinale, die Schlussviertelstunde zwischen Deutschland und
Frankreich.
Dass der Aufgeschwemmte im durchnässten Podolski-Shirt – was vor Jahren von
einem Deo-Hersteller massenhaft unter die Schlandisten gebracht wurde –
nicht sangesmüde wird und alle fünf Minuten aufsteht, um sein Feuerzeug aus
der Hosentasche zu fingern, ist weitaus weniger belastend als der für Fans
wie ihn typische Kommentarismus.
Seit der fünften Minute fordert er vehement diverse Ein- und Auswechslungen
(Poldi!, natürlich); auf frei stehende Außenspieler pflegt er lautstark –
rechts raus, Mann! – hinzuweisen. Zu jeder Szene ein Spruch von solider
Dämlichkeit. Als würde Steffen Simon allein nicht genügen.
Wer public viewt, ist verlässlich umzingelt von Scharen von Dummschwätzern,
umnebelt von Wolken ihres sinnleeren Geraunes. Wer Deutschland hingegen in
nobler Stille auf dem Sofa schaut, hat alle Freiheiten, selbst Löw
anzufahren und taktische Feinheiten brüllend anzutragen, ohne dabei
irgendwessen Aggressionen auf sich zu ziehen. Christoph Farkas
## Besser zu Hause
Große Spiele – fußballweltmeisterliche, olympische oder eurovisionäre –
sind unnütz, was den Geselligkeitsfaktor angeht. Wer das sportliche
Geschehen in Ruhe, vor allem konzentriert sehen und mitbeurteilen will,
guckt allein oder höchstens mit jemandem, der nicht etwa nach Abseitsfallen
fragt.
Doch, okay, libertär, wie man bitte zu sein hat, ist Public Viewing ein zu
respektierendes Ding. Warum nicht? Wer im Kreise von vielen, vor allem
vielen Unkundigen, sehen möchte – sei’s drum. Da geht’s dann weder im
Allgemeinen um Fußball noch im Speziellen um die Kunst des
Jogi-Löw-Fußballs.
Was aber unerträglich ist – und hier macht Deutschland eine Ausnahme im
globalen Durchschnitt –, das ist das
Deutschland-Deutschland-über-alles-Gegröle. Dieses
Halb-verdruckst-jedoch-faktisch-dann-doch-Nazistische der Kommentare beim
gemeinsamen Gucken. Giftiges über Özil („der lahme Türke“), über schwar…
Spieler, übert das Andere, besser: das Nichtweiße schlechthin. Und dann
kampfhundbissige Laune, wenn die eigenen Leute alles in allem dann doch
verdient verlieren.
Interessanterweise sind Bekundungen dieser Art gern auch in Vierteln
arabisch-türkischer Prägung zu hören. Besser ist es zu Hause, wenn
Deutschland spielt. Wenn klar ist: Da geht es um mehr als die Lust am
gemeinsamen Gucken. Nämlich um Sieg oder Niederlage. Also um Ernstes. Das
ist in nichtöffentlicher Atmosphäre am besten auszuhalten. Jan Feddersen
8 Jul 2014
## TAGS
Schland
Public Viewing
Schwerpunkt Rassismus
Fußball
Deutschland
Nationalismus
WM 2014
WM 2014
WM 2014
WM 2014
WM-Teil
Fußball
Schwerpunkt Rassismus
## ARTIKEL ZUM THEMA
Taktik der deutschen Nationalmannschaft: Variabel mit hohem Risiko
Einige aus dem DFB-Kader sind unverzichtbar – sonst hat der Trainer viele
Möglichkeiten. Doch die taktische Flexibilität ist nicht ungefährlich.
Die Mannschaft von Jogi Löw: Deutsche Tugenden? Gibt’s nicht!
Die Brasilianer können besser kämpfen, rennen und foulen. Trotzdem soll
Deutschland wieder das alte sein. Die DFB-Elf braucht Jogi-Fußball.
Ticket-Skandal bei der WM: Manager von Fifa-Partner verhaftet
Die „Operation Jules Rimet“ soll den illegalen Verkauf von WM-Tickets
aufklären. Jetzt gab es eine spektakuläre Festnahme.
Das WM-Teil XIX: Der Schland-Baum
Es wird immer schlimmer. Die Aktivisten kennen keine Gnade. Auch die
wehrlosesten Geschöpfe müssen für die WM-Hysterie der Deutschen herhalten.
DFB-Elf vor dem Halbfinale: Kampf, Wille, Moral
Die Siegermentalität der deutschen Mannschaft speist sich aus der Erfahrung
des Scheiterns. Das Team hat aus Niederlagen gelernt.
ARD-Dokumentation: Eine neue Fan-Kultur
Der Rassismus in deutschen Fußballstadien wird nicht weniger. Die Einen
stört das mehr, die Anderen weniger, wie eine ARD-Doku zeigt.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.