# taz.de -- Brasilien nach dem Desaster: Felipão wird Felipinho | |
> Trainer Luiz Felipe Scolari konnte die historische Pleite nicht | |
> verhindern. Die Folgen für Brasiliens Fußball werden gravierend sein. | |
Bild: Erlebte den „schlimmsten Moment“ seiner Trainerlaufbahn: Luiz Felipe … | |
BELO HORIZONTE taz | „Felipão“, so nannten sie ihn bis zum Dienstag in | |
Brasilien. Mit „großer Felipe“ wird Scolari wahrscheinlich hier nicht mehr | |
so schnell angeredet werden. Nach der verheerenden 1:7-Niederlage gegen die | |
Deutschen klänge das zu sehr nach Spott. Und das wird lange so bleiben. | |
Dieses WM-Halbfinalresultat wird sich tief in das Gedächtnis aller | |
eingraben. Dessen war sich auch Scolari sofort bewusst. Er sagte: „Ich bin | |
verantwortlich für dieses katastrophale Ergebnis, ich werde vielleicht in | |
die Geschichte eingehen als der Trainer, der für die schlimmste Niederlage | |
aller Zeiten verantwortlich ist.“ So gesehen ist der Verlust eines | |
Beinamens eher eine Petitesse. | |
Geholt hatte man Scolari vor zwei Jahren als Weltmeistertrainer von 2002, | |
weil es um die Seleção nicht gut bestellt war. In ihm suchte man nicht | |
zuletzt eine Art Vaterfigur. Er sollte die leicht verunsicherbaren Jungs | |
auf den rechten Weg bringen bis zum großen Turnier im eigenen Lande. Und | |
bis zum Viertelfinale hat das ja auch ganz gut geklappt. Wie schwer die | |
Mannschaft mit der nervlichen Belastung zu kämpfen hatte, sah man zwar | |
schon gegen Chile, als viele nach dem Erfolg im Elfmeterschießen mit den | |
Tränen zu kämpfen hatten. Aber letztlich hatte man Erfolg und versprach | |
sich davon heilende Wirkung. | |
Nach Neymars Ausfall vor dem Halbfinale nahm die Ausnahmesituation ganz | |
besondere Züge an. Mit der kämpferischen Stärke seines Teams wollte Scolari | |
der Schwächung begegnen. Und schon via Körpersprache das erste Duell | |
gewinnen. Sie sangen ihre Nationalhymnen nicht, sie brüllten sie. Sie | |
machten sich gegenseitig heiß, dass einem von außen Angst und Bange werden | |
konnte. Sie spielten Fußball mit rasendem Herz, aber völlig ohne Verstand. | |
## „Der schlimmste Moment“ | |
Auf engstem Raum standen sie beim ersten Tor im Strafraum gedrängt, als der | |
Eckball von Toni Kroos kam, nur nicht bei dem bis dahin erfolgreichsten | |
Torschützen im Fünfmeterraum. Thomas Müller traf. Und damit hatte der | |
Irrsinn erst seinen Anfang genommen. Es folgten die schlimmsten sieben | |
Minuten der brasilianischen Fußballgeschichte. Klose, zwei mal Kroos und | |
Khedira entschieden die Partie, als sie noch nicht einmal eine halbe Stunde | |
alt war. | |
Noch nie hatte man in einem WM-Halbfinale ein Team gesehen, das so | |
überfordert wirkte. Auf der Suche nach Erklärungen wollte Scolari aber | |
zumindest von einer emotionalen Überforderung nichts wissen: „Nein, die | |
haben es immer gewusst, dass sie zuhause spielen. Sie waren emotional nicht | |
unvorbereitet.“ | |
Er konnte an diesem Abend nur ausschließen, woran es aus seiner Sicht nicht | |
gelegen hatte. Erklärlich waren für ihn die Vorgänge in Belo Horizonte auch | |
nicht. „Das war der schlimmste Moment in meinen Leben als Trainer“, so | |
lautete seine bittere Bilanz. Über mögliche persönliche Konsequenzen wollte | |
er an diesem Abend noch nicht sprechen. Die Folgen für den brasilianischen | |
Fußball werden tiefgreifender Natur sein. | |
## Ein unvergesslicher Zusammenbruch | |
Bedenkt man, dass in diesem Lande die WM-Finalniederlage von 1950 im | |
Maracanã-Stadion von Rio de Janeiro gegen Uruguay (1:2) noch immer nicht | |
verarbeitet wurde, dann hat man eine Vorstellung davon, welche | |
Langzeitwirkung die 1:7-Demütigung in Belo Horizonte haben wird. | |
Die Fans der Seleção haben sich zuletzt schon schwer genug damit getan, zu | |
akzeptieren, dass der schönere Fußball mittlerweile von anderen Nationen | |
zelebriert wird. Diesen Zusammenbruch gegen Deutschland werden sie jedoch | |
ihrem Team nicht vergessen. Nach dem Abpfiff wollte Felipão noch einmal | |
Größe beweisen und forderte das Gleiche von seinem Team ein. | |
Er rief seine Spieler dazu auf, sich zum Abschied noch einmal beim Publikum | |
zu bedanken. Doch die enttäuschten Zuschauer waren schon längst ins andere | |
Lager übergewechselt. Böse pfiffen sie ihre Beifall klatschenden | |
Nationalspieler aus und beklatschten selbst das deutsche Team. | |
9 Jul 2014 | |
## AUTOREN | |
Johannes Kopp | |
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