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# taz.de -- Filmemacherin über die WM: „Fifa hat mir die Freude genommen“
> Ein YouTube-Video machte Carla Toledo Dauden letztes Jahr zum Sprachrohr
> der brasilianischen Protestbewegung. Wie sieht ihre persönliche WM-Bilanz
> aus?
Bild: Fußballfest? Nicht für Carla Toledo Dauden.
taz: Frau Dauden, zu Beginn des letztjährigen Confederations Cups haben Sie
in einer Videobotschaft verkündet, dass Sie die Fußball-WM boykottieren
würden. Was gab den Impuls, [1][dieses Video] zu drehen?
Carla Toledo Dauden: Ursprünglich sollte es nur darum gehen, sich mit
US-amerikanischen Vorurteilen gegenüber Brasilien auseinanderzusetzen. Ich
habe in den Vereinigten Staaten Film studiert. Wann immer es um meine
Herkunft ging, fingen die Leute an, über die WM zu reden. Also fing ich an,
mich mit der damals noch bevorstehenden Weltmeisterschaft zu beschäftigen.
Je mehr ich darüber las, umso wütender wurde ich.
Ich habe nie bezweifelt, dass wir's nicht können. Jedes Jahr schaffen wir
es, den Karneval über die Bühne zu bringen. Was die Organisation angeht,
hatte ich also keine Bedenken. Ich dachte nur, es sei eine weitere Ausrede
für mehr Korruption. Dass das Video dann solche Runden ziehen würde, damit
habe ich natürlich nicht gerechnet. Ich war davon ausgegangen, dass es ein
paar hundert Leute anklicken würden, dann wurden es über vier Millionen.
Die Weltmeisterschaft steht nun kurz vor dem Finale. Vielerorts wird das
Turnier als voller Erfolg gefeiert. Wie ist Ihr Fazit? Hat sich Ihr letztes
Jahr gezeichnetes Bild von Zwangsräumungen und Polizeigewalt bestätigt?
Meine Meinung hat sich nicht geändert. Zwar höre ich von allen Seiten, dass
es eine großartige WM mit mitreißenden Spielen war. Ich habe allerdings
kein Spiel gesehen und bin viel gereist: Rio, Fortaleza, São Paulo,
Salvador. Dort habe ich eine Dokumentation über die WM gedreht. Das, was
außerhalb der Stadien passiert ist, hat mich in meiner Meinung bestärkt.
Was genau meinen Sie?
Die Polizei ging gewalttätiger denn je gegen Demonstranten vor. Die Fifa
zahlt keine Steuern. An der Privatisierung des Maracanã wurde trotz
Protesten festgehalten.
In einem [2][zweiten Video] forderten Sie im letzten Sommer, dass sich
genau diese eben erwähnten Punkte ändern müssten. Hat sich denn nichts
getan?
Doch, es gab eine große Kampagne gegen Kinderprostitution. Die
Straßenverkäufer wehrten sich zum Teil erfolgreich gegen die
Monopolisierung der Verkaufsstände in Stadionnähe. Und in Fortaleza konnte
eine Gemeinde erfolgreich die Zwangsräumung verhindern. Das war jedoch eine
Ausnahme.
Räumungen gab es noch etliche. Wenn es irgendwo Verbesserung gab, dann
deshalb, weil die Bewegungen dafür gesorgt haben, nicht die Regierung. Die
Regierung hat es nicht geschafft, eine Plattform für einen Dialog mit den
Comitês über deren Reformvorschläge einzurichten.
In der deutschen Wahrnehmung trat das ein, womit viele gerechnet hatten:
Mit dem Beginn des Turniers verebbten die Proteste. Stimmt diese
Wahrnehmung mit Ihrer überein? Und wenn ja, wie erklären Sie den Rückgang
der Protestbewegung?
Es stimmt: Die Proteste nahmen ab – aber nur auf der Straße. Sie
verlagerten sich in Diskussionsrunden und private Partys. Man suchte nach
anderen Aktionsformen, wie z.B. Protestvideos. Grund dafür war die extreme
Gewalt, mit der die brasilianische Polizei gegen Demonstranten vorging.
Viele haben Angst. Auch ich. Erst am Samstagmorgen sollen in Rio de Janeiro
60 Aktivisten ohne vorliegende Beweise aufs Polizeirevier gebracht worden
sein. Das sind für mich Anzeichen einer Diktatur. In einem brasilianischen
Protestsong heißt es: „Frieden ohne eine Stimme ist kein Frieden, sondern
Angst.“
Wie verhielten sich die brasilianischen Medien?
Im Fernsehen drehte sich alles um den Rücken von Neymar. Globo verhielt
sich wie ein Cheerleader. Es ging immer nur darum, wie toll diese WM ist.
Dass die beiden Demonstranten Fábio Hideki und Rafael Marques unter
fadenscheinigen Gründen gefangen gehalten werden, findet hier keine
Erwähnung. Auch das ist wohl ein Grund dafür, warum es scheint, dass die
Proteste abgenommen haben. Die Medien sind nicht präsent.
[Anm. d. Red.: Laut [3][Human Rights Watch] wurden Fábio Hideki Harano, 26,
und Rafael Marques Lusvarghi, 29, während größtenteils friedlicher Proteste
in São Paulo verhaftet. Harano soll selbstgebauten Sprengstoff bei sich
gehabt haben und Lusvarghi eine „Flasche Joghurt, die stark nach Gas roch“,
zitiert die NGO einen Polizeibericht. Zeugenaussagen und eine Videoaufnahme
würden diese Anschuldigen nicht stützen. Die Direktorin von Human Rights
Watch Brasilien spricht sich aufgrund mangelnder Beweise für eine
Freilassung der immer noch gefangen Gehaltenen aus. Laut
[4][Medienberichten] droht Harano eine 13-jährige Gefängnisstrafe,
Lusvarghi soll mit fünf Jahren rechnen.]
Die Bilder von den brasilianischen Fanmeilen vermittelten den TV-Zuschauern
den Eindruck einer großen, ausgelassenen, internationalen Party. Haben Sie
dies ebenso empfunden?
Ja, ich habe viele gut gelaunte, feiernde Menschen getroffen, was schön
war. Ich bin nur traurig, dass die Fifa und die Regierung mir diese Freude
genommen haben.
13 Jul 2014
## LINKS
[1] http://www.youtube.com/watch?v=ZApBgNQgKPU
[2] http://www.youtube.com/watch?v=-8Zrxr8r-fY
[3] http://www.hrw.org/news/2014/07/01/brazil-investigate-world-cup-protest-arr…
[4] http://cbn.globoradio.globo.com/sao-paulo/2014/07/11/MP-SP-DENUNCIA-FABIO-H…
## AUTOREN
Marco Wedig
## TAGS
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