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# taz.de -- Gaucho-Tanz auf der WM-Party: Das war nicht die echte Mannschaft
> Wir sind betrogen worden auf der Fanmeile. Eine Polemik gegen die
> Inszenierung der Weltmeister – und einige Anmerkungen zur
> taz-Berichterstattung.
Bild: So gingen die Deutschen schon 2008: die Torhüter Lehmann, Adler, Enke. A…
Eigentlich ist alles gesagt. Nein, es ist alles gesagt. Mehrfach sogar,
bloß nicht in der nötigen Schärfe.
Also: Wir sind schamlos betrogen worden, von ARD und DFB. [1][Was uns da
auf dem Laufsteg der sogenannten Fanmeile in Berlin präsentiert wurde] als
„deutsche Fußball-Nationalelf“, als Jogi Löws DFB-Team 2014, war gar nicht
das Team, das gerade in Rio de Janeiro nach großem Spiel dem DFB zum
vierten Weltmeisterschaftsstern verholfen hatte.
Es war die Werkself von Mercedes Benz aus Untertürkheim auf
Betriebsausflug. Schwäbische Scherzkekse, die sich die Pappnasenmasken von
Nationalspielern aufgesetzt hatten und die nun das dreifarbige Publikum
(das sich allzu gern täuschen ließ) mit Karnevals- und Oktoberfestmusik,
allerlei betriebsausflugstypischem Geblödel und ein paar unters Volk
gekickten Fußbällen leidlich unterhielt. Eine Menge, die sich selbst
feierte und sich wenig daran störte, was auf dem Laufsteg (beziehungsweise
auf den Großleinwänden) vor sich ging. Alles gute Alt-Olympier: „Dabeisein
ist alles“, besonders wenn man sieben Stunden gewartet hat auf das Ereignis
und entsprechend blau ist (vierte Farbe).
Nein, das waren nicht Mario Götze, der Schüchterne, und Miroslav Klose, der
Bescheidene, die da, Mikrofone in der Hand und in affenartigem Gang,
argentinische „Gauchos“ verhöhnten und gleich danach in deutscher,
aufrechter, nordischer Haltung das Deutsch-Sein, vielmehr den
homo-sapiens-mäßigen Deutsch-Gang bejubelten.
Nein, die machen so was nicht. Die lassen sich auch nicht, wie all die
andern da oben, das Team, die Trainer, die Betreuer, die therapeutischen
Kräfte, in ein dunkles Mercedes-Trikot stecken; mit einer großen fetten „1�…
auf jeder Brust (einer besonderen Sorte Brustnummer) und einem großen
Mercedes-Stern daneben; auf dem Rücken aber ohne Nummern, dafür mit dem
Schriftzug „Mercedes Benz“: nein, so was machen Müller & Co doch nicht; so
was machen Löws leichtfüßige Löwen nicht. So was macht vor allem der Jogi
Löw nicht (mit); so was machen nur Mercedes-Benz-Angestellte auf
Betriebsausflug.
Und da haben wir sie. Der in der Hummels-Maske lädt ein zum Humba Täterä.
Der Hummels doch nicht, der kluge Junge. Aber eine kluge Idee haben die
Betriebsausflügler doch: Sie sind 23 Mann stark und treten in vier Gruppen
auf; drei Sechser- und eine à fünf. Das lehnt sich an die Hausbelegungen
unseres WM-Teams in seinem Quartier in Bahia an. Wer dort mit wem
zusammenwohnte, erfahren wir nun endlich.
## Nummer 1 der ganzen Welt
In der ersten Gruppe kommen „Kedhira“, „Özil“ und „Boateng“, sehr …
womit die etwas Farbigeren schon mal unter sich waren. Die zweite Gruppe
wird angeführt von der Maske Neuer. Man erkennt so langsam die große „1“
auf jeder Brust, und denkt nun – ich Idiot jedenfalls –, das wird sich auf
die Torwartnummer beziehen: Manuel Neuer, Nr. 1 (der Welt). Und
tatsächlich: Die Gruppe hüpft vor und singt: „Wir sind die 1, die Nr. 1,
die Nr. 1 der ganzen Welt.“ Also nicht nur der Keeper, nein, sie alle.
Der ganze Haufen im Mercedes-Outfit besingt die Nr. 1; und das kann nur
heißen: die Nr. 1 der Autobauer. Das sind die mit dem Stern, bekanntlich.
Dem Stern, der in keiner Sekunde dieser Show nicht im Bild ist; in der
dreistündigen kostenlosen Werbesendung für die Sternschenker aus
Untertürkheim. (Wahrscheinlich haben sie die Bockwürste gestiftet, die die
Werksmannschaft Daimler-Benz verzehren durfte, bevor sie auf den Laufsteg
kam.)
Nein: Jogi Löws WM-Team wäre doch mit dem neuen Vier-Sterne-Hemd auf die
Bühne gekommen; zwar auch mit einem Firmennamen, aber wenigstens dem eines
Sportartikelherstellers.
Das Lied von der Nr. 1 singen sie zur Melodie von „Oh, When the Saints (Go
Marching in)“; das schafft jeder (Heilige); Fußballer oder nicht. Die Menge
klatscht mit; Betonung auf der „1“; nicht auf der „2“, „back beat“ …
Rest der Welt tun würde); womit die 450.000 sich ausweisen, wie überall in
D’land, wo mitgeklatscht wird, als unbelehrte Emotions-Faschisten.
Atmosphäre eher wie beim European Song Contest, hat ein Kommentator
angemerkt; ja: Das war übrigens auch der Grundton eines Teils der
WM-Berichte aus Brasilien in der taz. Wären da nicht [2][Peter Unfrieds
locker fachliche Artikel] gewesen zur Beschreibung des Löw-Fußballs (und zu
dessen Lob), das Brazil-Team der taz hätte mich ebenfalls an den Rand der
Wahrnehmung gebracht: „Das sind nicht sie selber, sondern ihre Masken auf
Betriebsausflug in Belo Horizonte.“
Großer Dank (in dem Zusammenhang) an Ulrike Herrmann für ihren
[3][Debattenbeitrag zu Frank Schirrmacher] (das den Herrn auf die
angemessene Mittelgröße zurückstufte; wo einige ihrer Kollegen sich in
Lobgesängen ergossen hatten. Peinlich!) Hintergrund: die schleichende
Diekmannisierung der taz; und, auf das Fanmeilen-Wesen erweitert: die grob
vorangetriebene Boulevardisierung des öffentlichen Raums. Das ist kein
Klacks. Das Wörtchen Bild mit dem Zusatz „-Zeitung“ zu versehen, ist schon
ein Verbrechen.
Das Peinlichste am Gaucho-Gehopse von Weidenfeller, Schürrle, Kroos,
Mustafi, Götze und Klose ist aber nicht, dass „die Argentinier“ beleidigt
sein könnten; was sie natürlich sind; aber argentinischen Zeitungen, die
anmerken, Weltmeister im Beleidigen anderer seien sicher die Argentinier,
darf man glauben.
Peinlich ist das Selbstzitat, und noch peinlicher, dass [4][nur wenige
Journalisten] dies bemerkt haben: EM 2008, 30.6., „Deutschland Elf Empfang
auf der Fanmeile“. Die deutschen Spieler werden aufgerufen nach Gruppen;
zuerst die drei Torhüter: Lehmann, Adler, Enke. [5][Sie tragen weiße
Trikots; und was steht da groß auf der Brust:] [6][So gehen die Deutschen].
Auch alle folgenden tragen das. Und sie springen hoch dazu, als
Homo-sapiens-Ausweis, wie jetzt die Deppen in Berlin. Der „Affengang“
(damals) wird den Spaniern angehängt (obwohl die ja die Sieger waren,
2008); und auch noch einigen anderen Nationen, unter tönender Mithilfe des
unsäglichen Knallkopfs Oliver Pocher. Und siehe, wer steht da, 2008: Miro
Klose; auf der Brust: „So gehen die Deutschen“.
## Ein spontaner Einfall?
Und nun der Clou. DFB-Chef Niersbach, seine Feiermasken in Schutz nehmend,
teilt der Presse mit, der Gaucho-Walk am Dienstag in Berlin sei ja nur ein
ganz spontan entstandener harmloser Feierspaß. Spontan! Das war die
Wiederholung einer Inszenierung von 2008. Die alle doch gesehen haben. Mit
dem offiziellen DFB-Slogan: „So gehen die Deutschen!“
Ich hab das damals ausgeschaltet (wegen krassem Feier-Rassismus); und jetzt
wieder angeschaut auf YouTube. Alles zu sehen. Aber keiner „erinnert“ sich.
Jetzt versteh ich den Klose, wie er den Animator macht, jetzt, 2014, am
Brandenburger Tor: „Und jetzt alle!“, spielt er den Mick Jagger. Klar, weil
er damals dabei war, 2008, und die andern nicht. Und nun das Deutsch-Fest
als Sieger will.
Ganz spontan, Herr Niersbach! Präsidenten, wenn sie den Mund aufmachen,
lügen; andere Kanzler auch. Aber Journalisten „erinnern“ nichts. Und Herr
Deniz Yücel, sonst ja eine scharfe Zunge,
[7][http://taz.de/Kommentar-Weltmeister-Deutschland-/!142416/][8][entdeckt
gar, dass es vielleicht „Merkel-Deutschland“ sei], das Weltmeister geworden
ist. „Wenn man will, kann man darin eine Allegorie dafür entdecken, wie das
Merkel-Deutschland in Europa den Takt vorgibt.“
„Wenn man will“! Ich will nicht. Und Leser Bill Räther, mit Leserbrief vom
Donnerstag, ebenfalls nicht. In meinen Augen spielt dieses Löw-Team das
Gegenteil des Merkel-Polit-Spiels; denn: Einen Ball kann man nicht ins Tor
lügen (außer Maradona, der auch sonst alles kann; speziell beleidigen).
Keine Fragen „der Moral“ also und des „Bilds der Deutschen im Ausland“;
nein, eine innerdeutsche Angelegenheit; was für Zeitungen heißt, eine
innerredaktionelle.
Song: „So gehn Journalisten“; besonders tief gebückt.
19 Jul 2014
## LINKS
[1] http://www.youtube.com/watch?v=lfhCnYAVz8M
[2] /Artikel-Suche/!s=unfried+WM/
[3] /Debatte-Frank-Schirrmacher/!141533/
[4] http://www.stefan-niggemeier.de/blog/18417/torresgate-so-gingen-die-deutsch…
[5] http://www.youtube.com/watch?v=KBr0AQJkOXg
[6] http://www.youtube.com/watch?v=KBr0AQJkOXg
[7] /Kommentar-Weltmeister-Deutschland-/!142416/
[8] /Kommentar-Weltmeister-Deutschland-/!142416/
## AUTOREN
Klaus Theweleit
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