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# taz.de -- Verbürgerlichung der Rap-Kultur: Marginalisiert mit Gemüseabo
> Was wurde nur aus den bösen Buben und Vielrednern am Mikrofon? Es ist
> Zeit für ein anständiges Hip-Hop-Battle.
Bild: Auch so ein weicher Rapper: Cro im Juni letzten Jahres in Nürnberg beim …
Jens-Christian Rabe glaubt noch an die gute alte Zeit. An die Zeit, in der
sich das Feuilleton lesende Bürgertum abschrecken ließ von dem Wort
„Fotzen“. Mit denen begann Rabe kürzlich einen Artikel in der Süddeutschen
Zeitung zu Bushido, dem Schrecken von: ja, wem eigentlich? Eigentlich ist
das Gegenteil der Fall: HipHop ist seit Jahren fest in der Hand der
bürgerlichen Mittelschicht.
Die alten Grenzen sind brüchig geworden, man könnte gar meinen,
Standesdünkel spielten im modernen Pop insgesamt keine Rolle mehr.
Eigentlich aber geht es hierbei um eine feindliche Übernahme, um
Imperialismus. Besonders eindrucksvoll ist dieser, weil er mit dem HipHop
in gesellschaftliche Sphären vorgedrungen ist, die früher
identitätsstiftend und haltgebend für die gesellschaftlichen
Ausgeschlossenen und Abgehängten wirken konnten.
Immer geht es bei der Ausbildung von Stilen, von Klamotten, Musik, Sprech-
und Verhaltensweisen um soziale Kämpfe, um Identitätsbildungen und
Distinktionen, das können wir von Pierre Bourdieus Soziologie seit den
Sechzigern lernen.
Genau diese Ausschlüsse jedoch, das Insiderwissen und die eigenen Codes
werden der „Community“ nach und nach entwendet, wenn HipHop es mit
Trojanischen Pferden wie Cro, Casper und Prinz Pi in die Feuilletons
schafft. Da sind sie, die Rapper der Generation Praktikum. Die Rapper, die
quasi alle Werte des traditionellen HipHop umgewertet haben.
## Die wuchtigen Klischees
Die wuchtigen Klischees, die wohl die meisten von uns tatsächlich nur aus
dem Fernsehen kennen, werden hier nicht zurechtgestutzt, sie werden nicht
dekonstruiert: Sie werden völlig verdrängt. Gern wird das gelesen als Ende
des Gangsta-Rap, und es stimmt ja, selbst die altbekannten Härtner wie Sido
oder Kool Savas predigen längst die Leistungsideologie: Streng dich an, es
liegt an dir.
Bei Casper, bei Prinz Pi, bei Cro sind die persönlichen Kämpfe am unteren
Ende der Gesellschaft, die ganz sicher nicht den Leerlauf nach dem
Germanistikstudium meinen, die offene Gewalt und deren Affektkontrolle, die
Gangsta-Attitüde, die Zurschaustellung des neu erworbenen Reichtums
(brennende Geldscheine, verschütteter Champagner und so weiter), längst
vollständig ausradiert.
Ist die Tradition, ist der harte Gangsta-Rap tot? Für die kreuzbraven
Stipendienrapper war er überhaupt nie existent. Casper, der „Emorapper“,
wirkt denn auch bloß wie eine Fortsetzung von Thees Uhlmann mit anderen
Mitteln.
Hier werden Kettcar statt Ice-T zitiert, der Pathos des „Ich gegen den Rest
der Welt“ des traditionellen HipHop wird plattgemacht vom
Befindlichkeitsrap, der das Zerdenken und die Einordnung auf dem
Pop-Zeitstrahl selbst mitliefert.
## Mit netten Jobs und Gemüseabo
Marteria, der auch mal bei der „Kulturzeit“ von 3sat interviewt wird, geht
noch weiter: Bei ihm bestimmen nicht mal mehr Selbstzweifel und
Zukunftsängste einer ziemlich satten Bürgerlichkeit das Szenario, er singt
stattdessen von der Langeweile mit den ganzen jungen Eltern mit netten Jobs
und einem Gemüseabo, er singt von der Langeweile zweiter Ordnung. Von „den
wilden Zeiten früher“ und den Soziologiestudenten, die es längst aus dem
Praktikum rausgeschafft haben.
Selbst der perverse Thrill, die politisierende Spannung, die womöglich noch
aus dem Status des Unsicheren und Unfertigen zu ziehen wäre, sie ist
erloschen. So sieht die Welt nach der Angst aus, die Welt des grünen
Bürgertums. Und so klingt sie auch. Bei Marteria und bei Cro dominieren
allerorten auffällig poppige Beats, mal ein bisschen Reggae, mal ein
Feature mit Campino, mal mit Peter Fox.
Bloß keine klare Szenezugehörigkeit mehr, das ist die Strategie. Dann
erzählen die Künstler und die Plattenfirmen etwas von „über den Tellerrand
schauen“, und deswegen können ihre Songs auch auf den Studentenpartys
hinter Franz Ferdinand und vor den Editors laufen.
Bei diesen brav tanzbaren Joy-Division-Verwässerern ist es ja ähnlich: Wo
sich mal Abgründe auftaten, ist jetzt: höchstens Nostalgie. Casper und
Prinz Pi ziehen auf ihren neuen Alben den logischen Schluss, sie gehen
insgesamt über die Idee von Beats und Samples hinweg, sie laden sich eine
ganze Rockband ins Studio.
## Scheußlich pathetischer Indierock
Casper holt sich Hilfe vom Popakademieabsolventen Konstantin Gropper, der
mit Get Well Soon ziemlich strebsam einen scheußlich pathetischen Indierock
produziert. Die Ergebnisse sind, natürlich, höchst professionell
produziert, sie klingen warm, organisch, einnehmend.
Während Casper dann – ironischerweise? – gleich eine Anleitung mitliefert,
an welche Band der jeweilige Song auf „Hinterland“ angelehnt ist, beteuert
Prinz Pi, er habe so viel Beatles gehört und eifere deren Sound nach. Na
prima, das gefällt auch seinen Eltern.
Ja, es gibt den Gangsta-Rap noch, natürlich. Haftbefehl zum Beispiel, den
mit den Chabos, die wissen, wer der Babo ist. Oder Kollegah, der
„Steroidrapper“. Aber deren Gangsta-Rap hat längst den Radikalismus und die
Wut eingebüßt. Musikalisch, weil seine Vertreter immer wieder über ihre
austauschbar überproduzierten Sozialdarwinisten-Beats rappen. Klar, soll es
mal dramatisch werden, dann werden die Synthiestreicher drübergekleistert –
oder Glashaus singt die Hook. Das ist eigentlich kein echtes Problem, denn
entscheidend ist gerade das Spiel mit den Stereotypen. Nicht erst seit dem
studierten Kommunikationswissenschaftler Moneyboy hat der Gangsta-Rap die
Satire für sich entdeckt.
## Die vordergründig Harten
Haftbefehl wie Kollegah machen gar keinen Hehl aus ihrer Ironie, ihrer
Persiflage des Ultrabrutalen, Starken, Machomäßigen. Ja, selbst die
vordergründig ganz Harten, die gar nicht lassen können von den ganzen
Mutterficker-Schrotflinten-Reimen, ja, selbst die rappen dann fürs ZDF den
„Erlkönig“ ein. Deswegen ist das Feuilleton entzückt: Weil selbst die
Gangsta sich über das Gehabe sehr gekonnt und smart lustig machen.
Die Logik dahinter ist eindeutig: Wenn schon Pathos, wenn schon Stimme
eines Zeitgeists, dann Casper. Und wenn schon Gangsta, dann bitte ironisch
bis zur völligen Zersetzung. Fraglos, man kann das witzig und smart finden.
Aber beide Weisen gehen letztlich maximal herablassend mit denen um, die
Kollegah nicht wegen der Ironie hören – sondern weil sein Gebaren Stärke,
Souveränität, materielle Sicherheit suggeriert.
HipHop war in der Übertreibung immer eine radikale Form der
Selbstermächtigung. Ganz ohne Ironie. Aber beide Modelle können so
erfolgreich koexistieren, weil die Gangsta mittlerweile eben auch so
schrecklich abgeklärt und wohlerzogen daherkommen. Die Wut, die Lust an der
Zerstörung, ja, das Außeralltägliche führen auch die Brutalos rein als
Schauspiel auf.
Deswegen geht das, Casper kaufen und die neue Haftbefehl dazu. So radikal
unterschiedlich beide Milieus in ihren Vermarktungsstrategien und dem Image
der Künstler auch erscheinen mögen, der Gangsta-Rap ist längst nicht mehr
der Hort der Unterschichtenmusik, die man aus der Ferne verachten durfte.
Man könnte das als lobenswerte Entwicklung sehen.
Yeah, auch die Unterschichtsrapper machen jetzt Abitur. Es ist aber
umgekehrt: Diejenigen, die Abi machen, machen jetzt eben auch Rap. Und
erlangen im Schulterschluss mit uns Schreiberinnern nach und nach eine
Deutungshoheit über ein Terrain, das mal als identitätsstiftendes Moment
derjenigen gedacht war, die sich das Recht zur Schwäche, Innerlichkeit,
„Unmännlichkeit“ nicht ohne Weiteres nehmen konnten. Die Folge ist
eindeutig. Die Marginalisierten, die in den Geschichten und den Gesten
größtmöglicher Souveränität mal eine Stimme erhalten haben, sie werden ein
zweites Mal: marginalisiert.
7 Aug 2014
## AUTOREN
Nicklas Baschek
## TAGS
HipHop
Rap
HipHop
Schiller
Schwerpunkt Urheberrecht
HipHop
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