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# taz.de -- Debatte Justiz in Österreich: Der Rechtsstaat als Spucknapf
> Die Farce wird von Bürokraten besser beherrscht als von Literaten. In
> Österreich etwa wird das Absurde von der Justiz emsig gepflegt – siehe
> Josef S.
Bild: Die demokratische Einstellung österreichischer Polizisten wird selbst vo…
Die Farce ist bekanntlich ein schwieriges Genre, wird sie doch von
Literaten weniger gut beherrscht als von Bürokraten, vor allem von
Justizbeamten.
Wer sich mit dem real existierenden Wahnsinn vertraut machen will, der muss
nur die Urteile der Legestheniker (Latein: jene, die Schwierigkeiten haben,
das Alphabet der Gerechtigkeit zu entziffern) studieren. Zum Beispiel jene
des Obersten Gerichtshofes der USA, die zum Beispiel die oligarchische
Zerstörung demokratischer Strukturen durch Konzerne unter
„Meinungsfreiheit“ subsumieren. Mit anderen Worten: Zur Meinungsfreiheit
gehört auch, dass man sich die passende Meinung kaufen kann. „Die Gedanken
sind frei, wer kann sie ersteigern“, pfeifen die Spatzen von den Kuppeln
Washingtons.
Aber warum denn in die Ferne schweifen, wenn das Absurde in unseren
Gefilden ebenso emsig gepflegt wird? Wie schwierig es sein kann, in
Österreich zu leben, kann nur ermessen, wer in Österreich lebt. Gemütlich
sitzt man im Schanigarten, alles scheint lebensbejahend kommod zu sein, da
greift der eigene Bürgersinn nach der Zeitung, schlägt sie auf, und man
gerät stante pede in eine Schockstarre. Oder bekommt einen Tobsuchtsanfall.
Denn der Staatsapparat der Alpenrepublik offenbart immer öfter, dass er mit
Idealen wie Recht und Freiheit auf dem Kriegsfuß steht. Der Rechtsstaat,
oft ohnehin nur ein Feigenblatt, ist inzwischen zu einem Spucknapf
verkommen, in den die Richter ihre Urteile speien.
So erst letzte Woche eine Richterin am Wiener Landesgericht für
Zivilrechtssachen, die über folgenden Fall zu urteilen hatte: Martin
Balluch, hochgeschätzter Philosoph und Tierschutzaktivist, wurde zusammen
mit einigen anderen Mitgliedern des Vereins gegen Tierfabriken von 2008 an
mit einer auf dem Papier lächerlichen, in ihrer Wirkung aber brutalen Klage
terrorisiert. Die Justiz wollte mit einem neuen Paragrafen (§ 278a StGB),
der gegen mafiöse und terroristische Gruppen zum Einsatz kommen sollte, auf
Spritztour gehen, und da es Felix Austria offensichtlich sowohl an Mafiosi
wie auch an Terroristen mangelt, mussten die Veganer herhalten.
## Auftritt: die Präventivklage
Der Prozess endete, wie er enden musste (jede Farce hat ihr Ablaufdatum),
die Angeklagten wurden freigesprochen, und Martin Balluch klagte danach auf
Schadenersatz (100 Tage U-Haft, mehrere Jahre berufliche Paralysierung,
etwa 1 Million Euro Rechtsanwaltskosten – derart gesalzen und gepfeffert
sind die Kosten einer Groteske). Nun urteilte das hohe Gericht, die Klage
sei verjährt (anschnallen bitte, es folgt Monty Python auf Speed), weil
Martin Balluch ja gewusst habe, dass er unschuldig sei und daher schon zum
Zeitpunkt seiner Verhaftung diese Klage auf Schadenersatz für eventuelles
Fehlverhalten von Polizei und Justiz hätte einreichen müssen.
Wenn Sie also, liebe Leserin, lieber Leser, in Österreich in
Untersuchungshaft sitzen sollten, reichen Sie sofort prophylaktisch Ihre
Schadenersatzklage ein. So unwahrscheinlich sich das anhört, ist es nicht.
Das kann der Student Josef S. bezeugen. Der 23-Jährige lebt in Jena, hatte
aber die Unverfrorenheit, in Wien gegen den Akademikerball einer
rechtsextremen Burschenschaft protestieren zu wollen.
Solcher „Krawalltourismus“ ist den einheimischen Polizisten höchst
verdächtig, die allerdings beim Prozess unisono bestätigten, eine
Identifizierung von gewalttätigen Demonstranten sei unmöglich, weil diese
„alles tun, um eine Identifizierung zu verhindern“ (schwarze Bekleidung,
Vermummung etc.). Ein bei der Beweisaufnahme vorgelegtes Foto des
Angeklagten beweist somit eher, dass er nicht zu den gewalttätigen
Teilnehmern gehörte. Keiner der insgesamt 2.500 anwesenden Polizisten hat
den Angeklagten (obwohl dieser konspirativ ungeschickt einen auffälligen
Pullover und eine reflektierende Hose trug) bei einer strafbaren Handlung
beobachtet.
Aber solche erkennungsdienstlichen Details können geübte Legestheniker
nicht aufhalten. Weil es den Paragrafen des Landfriedensbruchs gibt (ein
Relikt aus Zeiten des Feudalismus und Absolutismus), konnte der
Staatsanwalt munter fabulieren, es sei zu bestrafen, wer „in einer
Menschenmenge verharrt und daraus heraus entsprechende Straftaten begeht“.
## Sippenhaft mal anders
Gemeint war eher: Wenn aus einer Menge heraus eine Straftat begangen wird,
sind all jene, die sich in der Menge aufhalten, schuldig. So wurde der
deutsche Student zu einem Jahr teilbedingter Haft verurteilt und gleich
entlassen, weil er zuvor knapp sechs Monate in Untersuchungshaft gesessen
hatte. Selber schuld, oder wie der Wiener Polizeipräsident im Fernsehen von
sich gab: „Wer sich mit Hunden ins Bett legt, darf sich nicht wundern, wenn
er mit Flöhen aufwacht.“
Eine Woche später räumten unzählige – manche Quellen sprechen von 1.700 –
Polizisten ein besetztes Haus im Wiener Bezirk Leopoldstadt. Ausgerüstet
wie für einen Einsatz im Bürgerkrieg, überfiel diese Kampftruppe einige
anarchistisch gesinnte Hausbesetzer, um Recht und Ordnung (ergo:
Spekulation) wieder in Kraft zu setzen. Die demokratische Einstellung der
Beamten wird selbst von nüchternen Fachleuten infrage gestellt. „Es
herrscht eine Freund-Feind-Wagenburgmentalität“, erklärte Reinhard Kreissl,
Leiter des Instituts für Rechts- und Kriminalsoziologie, der Zeitung Der
Standard, „die Polizei rechnet immer mit dem Worst Case und ist nicht
imstande, Probleme anders zu sehen als einen Angriff von Feinden.“
Das Volk ist der Feind: Das klingt nicht gut, entspricht aber neuesten
Entwicklungen, auch auf EU-Ebene. Versteckt hinter dem Feuerwerk der
Fußball-WM fasste der EU-Ministerrat einen Beschluss, der den europaweiten
Einsatz von Polizei und Armee gegen aufmüpfige Bürgerinnen und Bürger eines
Landes ermöglicht (die Umsetzung des § 222 des Lissaboner Vertrags). Es
sieht so aus, als würden Protest und Widerstand, der Kampf für eine
gerechtere Gesellschaft, zunehmend kriminalisiert werden. Und Österreich
befindet sich, selten genug, an vorderster Front dieser Entwicklung.
7 Aug 2014
## AUTOREN
Ilija Trojanow
## TAGS
Österreich
Justiz
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