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# taz.de -- Seyfried über den Ersten Weltkrieg: „Dann schlagen wir dich tot�…
> Wie bringt man den Menschen den Ersten Weltkrieg näher? Ein Gespräch mit
> dem Zeichner und Autor Gerhard Seyfried über Seeschlachten und Opium.
Bild: Der Untergang eines deutschen U-Boots im Ersten Weltkrieg.
Am 9. August 1914 erfolgte der erste Verlust eines deutschen U-Boots (U15)
im Ersten Weltkrieg. Alle 25 Besatzungsmitglieder starben.
taz: Herr Seyfried, wenn Sie eine kurze Bildgeschichte des Ersten
Weltkriegs zeichnen sollten – wie würden Sie da vorgehen?
Gerhard Seyfried: Ein Abriss ist schwierig. Es wimmelt halt von
herausragenden Ereignissen. Es dominiert Verdun wegen der Opferzahlen; dann
das Marne-Wunder, die Kapitulation von Russland – und da ist die
Skagerrakschlacht, die größte Seeschlacht der Weltgeschichte. Man weiß gar
nicht, wo man anfangen soll. Am besten chronologisch.
Aber ein Comic könnte das leisten?
Vor allem kann ich mir kein Comic leisten. Comics lassen sich in
Deutschland nicht verkaufen, das geht nur als Hobby.
Sie erwähnten die Skagerrakschlacht. Die war völlig sinnlos, oder?
Ja. Musste halt mal sein. Aber sie fasziniert mich schon immer. Ich bin eh
so ein bisschen marinelastig.
Das merkt man Ihrem 2013 erschienenen Spionage-Roman „Verdammte Deutsche“
noch an – obwohl der bei Kriegsausbruch 1914 endet.
Stimmt, ich hatte ursprünglich was ganz anders vor. Es ging mir um den
Seekrieg und vor allem um die Entwicklung der U-Boote – und dann habe ich
diese Geschichte entdeckt mit der Deutschenangst in England vor 1914. Da
habe ich die Geschichte des MI5 gelesen, des britischen Geheimdienstes. Und
während ich da rumlese, veröffentlicht der MI5 plötzlich alle seine Akten!
Da war dann plötzlich Material da, das hat mich eingesogen.
Und deswegen sind Sie nicht bis zur Skagerrakschlacht gekommen?
Das könnte ein zweiter Band sein. Aber mein Verleger ist nicht so
begeistert. Da kommen keine Frauen vor.
Ihr junger deutscher Protagonist, der Marineoffizier Adrian Seiler, wirkt
sehr heutig. Er ist zwar in England aufgewachsen. Trotzdem fand ich das für
jemanden, der in der Kriegsmaschinerie des preußischen Militarismus dient,
unrealistisch.
Es gab solche Leute, wenn auch nicht viele. Kapitän Alfred Tapken etwa, der
Leiter des Marinegeheimdienstes, hat viele Jahre in England gelebt und eine
Engländerin geheiratet. Die Royal Navy war das große und bewunderte Vorbild
für die deutschen Marineoffiziere. Und dann: In der U-Boot-Röhre, da
konnten die Offiziere nicht die Feudalherren geben. Jeder ist verdreckt,
jeder schwitzt, jeder ist nass.
Das U-Boot als Äquivalent zum Grabenkrieg, der alle gleichmacht, wie Jünger
es beschrieb?
Ja. Aber die Marine war grundsätzlich anders, jung und modern. Wegen ihrer
Techniklastigkeit stand sie dem Bürgertum offen. Der Dünkel war da, aber
nur auf den großen Schiffen. Ein U-Boot mit einem Klo an Bord – da musste
der Kapitän auch drauf.
Wenn er nicht die von Ihnen beschriebenen Opiumkügelchen schluckt – die
stopfen.
Das ist auch historisch. Das war schwierig herauszukriegen. Ich dachte,
sind die da nicht bedröhnt oder so was? Die Wirkung ist aber genau so, wie
ich sie beschrieben habe.
Opium kühlt ja auch.
Und macht wach, wenn man es oral zu sich nimmt.
Im Zweiten Weltkrieg war der deutsche Soldat auf Benzedrin, im Ersten auf
Opium!
Alle auf Speed, ja. Im Ersten Weltkrieg war das Opium aber die Ausnahme für
die U-Boot-Fahrer und für die Luftschiffer. Sonst natürlich als
Schmerzmittel. Kokain konnte man in der Apotheke kaufen. Das war ein
bisschen verbreitet im Offizierskorps, aber nicht sehr. Was auffällt, ist
der ungeheure Kaffeeverbrauch.
Das sind Details, die uns die Menschen, die in diesem fernen Krieg waren,
näher bringen.
Was auch anrührt, sind Briefe und Tagebücher aus der Zeit. Die Menschen
drücken ihre Gefühle ganz wundervoll aus. Mit Rosenranken verziert,
goetheanisch – und die Geliebte bekommt den Brief vielleicht erst in einem
Vierteljahr! Auch daher kommt mein sensibler Protagonist. Und dazu passt
dann wieder, dass in allen am Krieg beteiligten Ländern sich die Menschen
über das geregelte, moderne Leben beklagen, die Fabriken und so weiter. Der
Krieg sollte das zerschlagen.
Aber unser Blick auf den Ersten Weltkrieg bleibt doch vom Ausgang des
Zweiten Weltkriegs bestimmt: Wir schauen immer von nach 1945, nach Hitler,
nach dem Holocaust.
Man kann diese Zeit nur verstehen, wenn man sich reinvertieft, wenn man
lernt, wie die Leute gedacht haben, wie sie drauf waren. Es ist völlig
sinnlos, wenn man sich heute hinstellt und sagt, ihr Idioten – das ist nur
unser heutiges Wissen, wir bauen genauso viel Scheiße jetzt, und jeder
macht mit, und der Widerstand dagegen schafft’s nicht oder ist zu gering.
Das ist mir auch in der Auseinandersetzung mit meiner Elterngeneration
klargeworden. Zu sagen, ihr Faschos – das tut denen nur weh, also denen,
die jetzt nicht fanatische Nazis waren.
Hätten Sie das vor 20 Jahren so auch schon gesagt?
Ich denke schon. Als 68er waren wir zwar in ständiger Auseinandersetzung
mit den Nazis in der Regierung, Kiesinger und so weiter. Aber ich hatte
auch viele Gespräche mit meinem Vater. Der war bei Kriegsschluss Hauptmann.
Als sie die Bundeswehr aufgebaut haben, haben sie ihm angeboten, als Major
einzutreten, mit Dienstwagen, Eigenheim usw. – ein fürstliches Angebot. Wir
waren alle arm damals. Und dann hat er diesen fantastischen Brief
geschrieben ans Verteidigungsministerium, Sehr geehrte Herren, bezugnehmend
blabla: „Lecken Sie mich am Arsch!“, mit vorzüglicher Hochachtung. Fritz
Seyfried. Das hat er immerhin gelernt aus dem Krieg.
Und Ihre Faszination durch den Krieg, auch die technische – wo kommt die
dann her?
Das fing an in den Ruinen, wo ich gespielt habe. In Nürnberg bei der
Familie meiner Mutter war der Krieg noch sehr gegenwärtig. Alle Häuser
waren schwarz, Löschbecken, Luftschutzräume. Meist wurden die Amerikaner
verflucht wegen der Bombenangriffe. Bei den Onkels und Tanten wurde ständig
über den Krieg geredet. Und wenn ich als Bub sagte, dass ich zur Marine
wollte, dann haben sie mich verflucht: „Dann schlogn ma dich tot!“
So sind Sie dann zu Bundeswehr?
Unfreiwillig. Ich hatte mich mit den Semestern verschätzt, die man auf der
Akademie fürs graphische Gewerbe – die ich 1967 besuchte – sein musste, um
nicht eingezogen zu werden. Ich brauchte drei Monate, um wieder vom Bund
loszukommen: Ein Arzt hat mir bescheinigt, dass ich keine Kopfbedeckung
tragen kann – also auch keinen Helm.
Und im Westberliner Alternativmilieu, wo Sie ab den 1970er Jahren lebten,
hat man diese Faszination dann für sich behalten müssen?
Ich konnte mit niemandem darüber reden. Ich war aber auch voll in der Szene
drin, es hat mich damals nicht so interessiert.
Haben Sie mal geschossen?
Ja, klar. Auf dem Schießplatz beim Militär. Grundausbildung. Hat mich auch
fasziniert.
Die Linien von der Brutalität und der Verrohung der Kolonialkriege und des
Ersten Weltkriegs zu der von SA und SS – gibt es die für Sie?
Das ist nicht mein Konzept. Eines meiner grundlegenden Motive ist: Was
passiert, wenn ein ganz normaler Mensch in solche Ereignisse hineingezogen
wird? Und mir ist es wichtig, das aus der Sicht der damaligen Personen zu
schreiben – und zwar ohne Vorwissen. Ich will, dass es dem Leser ähnlich
geht wie den Leuten damals. Ich will keinen moralischen Zeigefinger. Meine
Bücher sind der Versuch, mir zu erklären, was ist Krieg eigentlich, wo
kommt die Faszination her?
Und deswegen sind alle Ihre Bücher Kriegsbücher?
Mehr oder weniger, ja. Das ist ein Päckchen, was mir mitgegeben worden ist.
Wir sollten ja auch die Wächtergeneration sein vor neuem Krieg und
Faschismus.
Was sagt uns der Erste Weltkrieg?
Warum hören die mit der Scheiße nicht auf? Es geht auch anders.
Mit dem Kaiserreich sind Sie jetzt durch – wenn Sie nicht doch Ihr
Skagerrakschlacht-Buch schreiben. Und jetzt?
Ich hab ein bisschen die Schnauze voll vom Krieg. Auf die Dauer geht’s aufs
Gemüt. Lieber was Modernes. Aber es gibt so viel Auswahl an interessanten
Stoffen, dass ich am besten erst mal gar nichts mache.
9 Aug 2014
## AUTOREN
Ambros Waibel
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