# taz.de -- Weltkriegsgedenken in Großbritannien: Als die Lichter ausgingen | |
> Der Rückblick auf den Ausbruch des Ersten Weltkrieges vor 100 Jahren | |
> lässt die Deutschen kalt. In Großbritannien ergreift das Gedenken alle. | |
Bild: 888.246 Kunstblumen in London: für jeden Toten aus dem Commonwealth eine. | |
„In ganz Europa gehen die Lichter aus; wir werden sie in unserem Leben nie | |
wieder leuchten sehen.“ Dieser Satz des britischen Außenministers Edward | |
Grey, gesprochen am 3. August 1914 beim Blick aus seinem | |
Ministeriumsfenster in London in der Abenddämmerung, ist in die Geschichte | |
eingegangen. Am Tag danach erklärte Großbritannien Deutschland den Krieg, | |
weil Deutschland im neutralen Belgien einmarschiert war. | |
Am 4. August 2014 sind die Ereignisse vor 100 Jahren in der britischen | |
Öffentlichkeit präsent wie selten. Zeitungen bringen Sondertitel, | |
Liveticker über 1914 und vergilbte Fotos der Mobilmachung. Landesweit | |
sammelten sich nach dem 4. August 1914 die jungen Männer, um nach Europa zu | |
ziehen, in den Krieg. | |
Über zwei Millionen gingen. 888.246 kamen nicht mehr zurück. Schon im | |
September 1914 schrieb der Dichter Laurence Binyon sein Gedicht „Für die | |
Gefallenen“, dessen vierter Vers bis heute auf vielen Kriegerdenkmälern | |
prangt: At the going down of the sun and in the morning / We will remember | |
them. | |
Der Erste Weltkrieg hat sich tief ins kollektive britische Gedächtnis | |
eingegraben, auch ins belgische und französische. Nur Deutschland bleibt | |
vom Weltkriegsgedenken im Sommer 2014 merkwürdig unberührt, so als sei | |
unterhalb von Hitler nichts mehr der Erinnerung würdig. Andere wissen es | |
besser. „Die Botschaft dieses Tages ist, dass wir nicht einfach Kustoden | |
des Friedens sein können; wir müssen auch unsere Verantwortung übernehmen“, | |
sagt Frankreichs François Hollande. | |
Großbritanniens David Cameron: „Es ist richtig, des Kriegsausbruchs zu | |
gedenken, weil so viele junge Briten dachten, dass sie sich für die | |
Verteidigung des Existenzrechts eines kleinen Landes – Belgien – | |
einsetzten, gegen die Dominanz einer einzigen Macht in Europa. Es gab | |
damals Prinzipien und Gedanken, an die es sich heute lohnt zu erinnern.“ | |
## Für Deutschland ist Krieg kein Verbrechen | |
Cameron erwähnte die Ukraine nicht direkt. Aber die Mischung aus | |
Verrücktheit und Unausweichlichkeit im Sommer 1914 ist auch 2014 aktuell. | |
Damals schrieb der konservative Spectator: „Der große Krieg ist gekommen, | |
und er kam genau so, wie es alle vernünftigen Leute wussten: sehr | |
plötzlich, ohne offensichtlichen Grund oder zumindest ohne offensichtlichen | |
Grund in irgendeinem Verhältnis zu den Ereignissen.“ | |
Eine Woche zuvor hatte das Blatt über Deutschland geschrieben, was viele | |
heute über Russland denken: „Deutschland hält Krieg nicht für ein | |
Verbrechen, höchstens für ein Unglück und zudem für ein Mittel der Politik. | |
Sollten die Deutschen siegen, wird es keinen Platz für kleine unabhängige | |
Nationen geben.“ | |
All dies heute in Erinnerung zu rufen folgt keinem politischen Ziel. Nur | |
die Folgen werden jedem vor Augen geführt. Um den Tower of London entsteht | |
gerade ein hinreißendes und bedrückendes Mahnmal von 888.246 Kunstblumen – | |
rote Mohnblüten, wie sie jedes Jahr in Großbritannien zum 11. November im | |
Gedenken an den Ersten Weltkrieg getragen werden, verwandeln sich in ein | |
Meer von Rot, das sich aus einem Fenster über den Rasen ergießt, eine Blume | |
für jeden Gefallenen. | |
Den Höhepunkt sollte das Gedenken am Montagabend erreichen. Ab 22 Uhr war | |
ganz Großbritannien aufgerufen, eine Stunde lang die Lichter auszumachen | |
oder zu reduzieren. In der Westminster Abbey sollte eine brennende Kerze | |
nach der anderen verlöschen, bis eine einzige übrig ist: am Grab des | |
unbekannten Soldaten. Um 23 Uhr, genau 100 Jahre nach Kriegserklärung, | |
erlischt auch sie. | |
4 Aug 2014 | |
## AUTOREN | |
Dominic Johnson | |
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