# taz.de -- Kunstblumenfertigung in Sachsen: Verblühende Landschaften | |
> In Sebnitz blümeln die letzten Facharbeiterinnen des Kunstblumenhandwerks | |
> gegen den Untergang ihres Handwerks an. | |
Bild: All die schönen Blumen, handgefertigt und mit Liebe gemacht. | |
Am Anfang ist die Rose noch ein Stück Draht im Wattemantel. Leimgeruch | |
zieht durch die Etage, er sticht in der Nase. Brigitte Zimmermann verteilt | |
Holzstäbchen an die Besucher vom Betreuten Wohnen in Dresden. „Den | |
Wattekörper müssen Sie mit dem Kleber einmal rundum bestreichen“, sagt sie | |
laut, und es klingt wie „Kläber“ und „bestreischen“. | |
Gäste der Schaumanufaktur „Deutsche Kunstblume“ in Sebnitz dürfen für 6 | |
Euro probeweise „blümeln“. Eine Rose oder zwei Margeriten, das sind die | |
einfachsten. „Moment, Moment, halten Sie, halten Sie“, ruft Brigitte | |
Zimmermann. Sie muss korrigieren, zügeln, eingreifen. „Jetzt können Sie die | |
beiden hochkleben. Die werden alle schön. Ich zeige Ihnen das hier.“ Mit | |
Daumen und Zeigefinger drückt sie zwei Laschen ans dicke Ende des | |
Wattekörpers, „das muss wie ein S aussehen. Ja, ich kleb’s Ihnen fest. | |
Jetzt kleben Sie’s oben auf Lücke. Warten Sie. Da haben Sie zu wenig Kleber | |
dran. Gut, gut, gut, nicht so viel. Oben versetzt. Jetzt ist schön.“ | |
Brigitte Zimmermann ist Kunstblumenfacharbeiterin, seit 1973. Und sie ist | |
eine der Letzten ihrer Art, denn ihr Beruf stirbt aus. Wenn sie | |
übernächstes Jahr in Rente geht, sind nur noch neun Kolleginnen übrig, die | |
jüngste ist 50. Mit der DDR verschwand auch die Ausbildung, keine | |
überregionale Bedeutung, sagte die Treuhand. | |
Dabei exportierte die „Seidenblumenstadt“ Sebnitz einst bis in die USA und | |
war jahrzehntelang ein Zentrum des Kunstblumenhandwerks – eines Handwerks, | |
das man zumindest streckenweise auch als Emanzipationsgeschichte lesen | |
kann. Denn Blümeln war größtenteils Frauenarbeit. Die dampfbetriebene | |
Webmaschine hatte im frühen 19. Jahrhundert reihenweise die Jobs der | |
Leinenweber vernichtet. Nun füllten Frauen die Lücke mit Kunstblumen – | |
meist vom Küchentisch aus. „Kunstblumen waren aber keine Sebnitzer | |
Erfindung“, erzählt Robert Rösler, der Leiter des Heimatmuseums. | |
Erst als Sachsen 1834 dem Deutschen Zollverein beitrat, verlegten die | |
böhmischen Fabrikanten ihre Manufakturen über die Grenze und schickten ihre | |
Arbeiterinnen gleich hinterher. „Böhmisches Blumenmädchen“ war in Sebnitz | |
eine Zeit lang ein Schimpfwort – „sie waren katholisch und verdienten ihr | |
eigenes Geld“, sagt Rösler. Schnell aber avancierten sie zur guten Partie. | |
## „Gehste auch in die Blume?“ | |
Nach dem Deutsch-Französischen Krieg 1871 kappte das Deutsche Reich den | |
Nachschub von Seidenblumen aus Paris, die die preußische Dame von Welt gern | |
auf dem Hut oder im Knopfloch trug. So stieg die Nachfrage nach Sebnitzer | |
Kunstblumen rasant an, erst im Reich, dann weltweit. Im Jahr 1906 machten | |
Kunstblumen 20 Prozent des Gesamtexports des Königreichs Sachsen aus, jeder | |
zweite Sebnitzer arbeitete im Kunstblumengewerbe. | |
Die Weltwirtschaftskrise aber setzte den Betrieben zu, die Nazis stellten | |
sie auf Kriegsproduktion um und zwangen sie, Tarndecken zu nähen. | |
Die DDR fasste nach dem Krieg die wiedereröffneten Manufakturen nach und | |
nach zum „VEB Kunstblume“ zusammen. Dort hat auch Brigitte Zimmermann | |
gelernt. Eigentlich wollte sie ja Schneiderin werden, aber dafür gab es | |
nicht genug Lehrstellen. „Dann wurde gesagt, na, gehste auch in die Blume“, | |
erzählt sie. „In der Blume haben sie immer Leute gesucht.“ | |
Schon ihre Eltern hatten geblümelt, von zu Hause, „meine Mutti bis weit in | |
die Rente rein“, ihr Bruder machte Blumeneisen, mit denen man Blüten und | |
Blätter stanzt und prägt. Sie selbst ging in die Dekoration, band | |
Kirschblütenzweige, Apfelzweige und Schwertlilien. | |
Die Wende machte Brigitte Zimmermann und ihre Kolleginnen schlagartig | |
arbeitslos. Die Kunden, meist aus dem Westen, stornierten die Bestellungen, | |
weil die Blumen plötzlich Westpreise kosteten, „vorher hatten wir die | |
Stützung drauf“. Einige Betriebe versuchten es auf eigene Faust, heute ist | |
nur noch die Schaumanufaktur übrig, eine Mischung aus Fabrik, Laden und | |
Museum. 1992 eingerichtet, residiert der städtische Betrieb jetzt in einer | |
ehemaligen Lampenfabrik. | |
## Schläge mit dem „Büffel“ | |
Brigitte Zimmermann schlug sich durch. Mal arbeitete sie für die Gemeinde, | |
mal in einem Berggasthaus, mal lebte sie von Hartz IV. Ein Zufall brachte | |
ihr 2009 ihren Beruf zurück – die Gastrosaison war vorbei, das Arbeitsamt | |
drängelte, weil sie Bewerbungen nachweisen sollte. Sie holte sich den | |
Stempel bei Günter Hartig ab, dem Werkstattleiter der Manufaktur. Wie jedes | |
Jahr. Diesmal stand ein größerer Auftrag ins Haus: weiße Rosen für Dresden, | |
für die Demo am 13. Februar, dem Jahrestag der Bombardierung. „Könntest du | |
dir vorstellen, wieder einzusteigen?“, fragte er. „Mensch, Günter“, rief | |
sie, „aber immer!“ Drei Wochen später rief er an. | |
Eine Rose ist für sie Routine. Mit allem drum und dran brauchen sie und | |
ihre Kolleginnen 15 Minuten dafür. Netto. | |
Zuerst reffen sie den Stoff auf große Bahnen und tunken sie für einen | |
halben Tag in Wannen mit Kartoffelstärke, Gelatine und Farbe. Jede Blüte | |
hat ein eigenes Farbrezept. Blätter, die bunt werden müssen, Herbstlaub zum | |
Beispiel, pinseln sie später von Hand ein. Dann geht Brigitte Zimmermann in | |
den „Eisenkeller“ zu den Blumeneisen. Mehrere zehntausend der faustgroßen | |
Metallformen lagern hier unten, alle zusammen wiegen mehrere Tonnen. | |
Deshalb bewahren sie sie auch nicht auf dem Dachboden auf. Die Stadt hat | |
sie nach der Wende bei den abgewickelten Betrieben eingesammelt und in der | |
Manufaktur zusammengetragen. | |
Brigitte Zimmermann spannt ein Blumeneisen in eine schnaufende eiserne | |
Maschine ein und zieht darunter Stoffbahnen glatt. Samt fasst sie doppelt, | |
Baumwolle 8-fach, Seide 16-fach. Die Maschine soll jetzt die Blattformen | |
ausschlagen. So heißt der Stanzvorgang, weil man dafür früher einen Hammer | |
benutzte, den „Büffel“. Dreieinhalb Kilo wog der und war mit Büffelleder | |
bespannt. Es sieht ein bisschen aus, als würde sie Keksteig ausstechen – | |
nur dass sie die Reste nicht zu einem neuen Teig kneten kann. Was | |
übrigbleibt, wird weggeschmissen. | |
Die meisten Blumen produzieren sie heute für den Laden. Der Renner sind | |
Wiesenblumen: Margerite, Kamille, Storchschnabel, Bartnelke, Löwenzahn, | |
Spitzwegerich. Die seltenen Aufträge kommen meist von Museen oder Theatern. | |
Einmal hat ein Kunde schwarze Lilien für eine Beerdigung bestellt. Das war | |
ihr unheimlich, gemacht hat sie sie trotzdem. | |
## Auch Flüchtlingsfrauen dabei | |
Gerade hat sie erst wieder 400 Mainelken geblümelt. Mainelken sind ein | |
DDR-Relikt: Am 1. Mai steckte sich fast jeder eine an. Der Stiel ist wie | |
damals aus Plaste, die Blüte aus Polyesterseide – das macht eigentlich nur | |
die Konkurrenz aus Fernost, die längst den globalen Kunstblumenmarkt | |
beherrscht. „Die können die Blumen waschen“, sagt Brigitte Zimmermann. „… | |
haben Polyester, wo wir Naturstoffe haben.“ Kunstblumen aus Fernost sehen | |
nicht natürlich aus, findet sie. Steckverbindungen, steife Stiele. „Unser | |
Zeug kann man biegen.“ Dafür ist es halt nicht wasserfest. | |
Seit Jahren bemühen sich die Sebnitzer bei IHK und Politik, die Ausbildung | |
zurückzubekommen. Oder wenigstens einen zertifizierten Lehrgang. Sie haben | |
ein Fotobuch aufgelegt, das Blümeltechniken zeigt. Aber das allein wird | |
nicht reichen. Ohne Ausbildung fängt heute niemand das Blümeln an – wer | |
will schon ungelernt dastehen, wenn er den Job verliert oder umzieht? | |
In einem Raum neben dem Büro des Chefs lassen sie jetzt probeweise drei | |
geflüchtete Syrerinnen Laub stielen. Zwei Stunden täglich kleben sie | |
Blätter auf Drahtstücke, erst mal bis Ende November, nicht vor Publikum und | |
auch nicht vor der Presse. Weil sie „die Kleidung entsprechend haben und | |
bei Besuchern eventuell Anstoß erregen könnten“, heißt es. Man fürchtet | |
Ressentiments, „wenn man deutsche Mädels nicht anlernen darf, und dann | |
kommen Fremde und machen das“. Ein bisschen Deutsch könnten sie aber schon, | |
erzählt Brigitte Zimmermann, „und das Laubstielen klappt.“ | |
Wenn sie sich gut machen, so die Hoffnung, liefern sie vielleicht später | |
mal das Argument, um die Ausbildung wieder einzuführen. | |
26 Dec 2015 | |
## AUTOREN | |
Daniel Kastner | |
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