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# taz.de -- Trauerseiten im Internet: Verzweiflung klickt sich
> Viele Facebook-Seiten für Verstorbene sind gefälscht. Von
> „Trauertrittbrettfahrern“ spricht eine Wissenschaftlerin, die das
> Phänomen erforscht.
Bild: Digitaler Friedhof Facebook?
STOCKHOLM taz | Ende Juli wurde im dänischen Südjütland die Leiche einer
jungen Frau gefunden. In den Medien begann umgehend eine Spekulation
darüber, ob es einen Zusammenhang mit der einige Wochen zuvor in dieser
Gegend vermissten 21-jährigen Kamilla H. geben könnte.
Wenige Stunden nach den ersten Berichten wurde auf Facebook eine
Community-Seite geschaltet: „R.I.P. Kamilla H.“ (Rest in Peace) –
allerdings weder von der Familie noch den Freunden der Toten. Die
Angehörigen baten den Urheber, die Seite umgehend zu löschen, er ignorierte
die Bitte. Die unerwünschte „R.I.P.“-Seite gibt es bis heute. Sie hat
mittlerweile über 6.400 „Likes“.
Es sind Fälle wie diese, die Lisbeth Klastrup, IT-Professorin an der
Universität Kopenhagen, neugierig gemacht haben. „Trauertrittbrettfahrer“
nennt sie die, die solche Seiten entwerfen, obwohl sie zu den Opfern keine
Verbindung haben. Im Gegensatz zu „echten“ Trauerseiten, kreiert von
Angehörigen und Freunden der Verstorbenen, fand Klastrup für die
gefälschten R.I.P.-Seiten immer wiederkehrende Muster: Meist entstehen sie
nach Unfällen, Vermisstenmeldungen oder anderen Begebenheiten, über die
Medien berichten.
Manchmal gedenken sie auch verstorbenen Prominenten. Die Seiten haben
anonyme Verfasser, enthalten wenig Information, meist gibt es offenbar
keine Inhaltskontrolle, auch verleumderische und geschmacklose Kommentare
werden nicht entfernt. Das Ungewöhnliche: Ab einem gewissen Zeitpunkt
tauchen Links zu Webseiten und Hinweise auf andere Facebook-Seiten auf, mit
der Bitte, diese zu „liken“ – selbst wenn der oder die Verstorbene keinen
Bezug zu der Seite hatte.
Einer dieser Trauertrittbrettfahrer, dem Klastrup auf die Spur kam,
erstellte mindestens 15 Gedenkseiten mit zusammen 60.000 „Likes“, die dann
jeweils zu seinen anderen „R.I.P.“-Seiten und von ihm gestaltete Fanseiten
verlinken. „Die User werden veranlasst, sich kreuz und quer in dem von
einem Urheber geschaffenen Seiten-Netzwerk zu bewegen“, meint die
IT-Professorin.
Kontakt zu den Trittbrettfahrern hat Klastrup bislang nicht bekommen. Über
deren Motive kann sie daher nur spekulieren: finanzielle Interessen
womöglich, vielleicht aber auch einfacher Geltungstrieb – Klicks für das
Ego.
## Zynisches Spiel mit der Trauer
Abgesehen von ihrem Forschungsinteresse findet Klastrup die gefälschten
„R.I.P-Seiten“ problematisch. Zum einen nutzten die Urheber in zynischer
Weise die Trauer von Mitmenschen aus. Zum anderen existierten diese Seiten
oft gegen den Willen von Angehörigen. Die Seiten aus dem Netz nehmen zu
lassen ist offenbar fast unmöglich.
Der skandinavische Facebook-Sprecher Jan Fredriksson sagt zwar, jeder könne
solche falschen Seiten melden und diese würden auch geschlossen werden –
aber eben nur dann, wenn sie gegen die Facebook-Nutzungsbestimmungen
verstoßen.
Klastrup fordert daher, die Nutzungsbestimmungen für solche R.I.P.-Seiten
zu verschärfen. Beispielsweise könnten der Name des Urhebers und ein Link
zu dessen Profil obligatorisch werden. Aber Klastrup appelliert auch an die
Medien, kritischer auf solche Seiten zu schauen. Schlagzeilen wie „20.000
sagen X auf Wiedersehen“, „Tausende gedenken Y“ seien mit ihren
Forschungsergebnissen nicht zu vereinbaren.
Journalisten reagierten überrascht auf Klastrups Studie. „Das hat uns die
Augen geöffnet“, sagt Peter Brüchmann, zuständig für digitale Medien bei
TV2. Karen Bro, Chefredakteurin von Ekstra Bladet, gibt zu: „Dass es eine
solche heimliche Agenda geben könnte, war neu für mich.“ In Zukunft wolle
man das in der Berichterstattung berücksichtigen.
19 Aug 2014
## AUTOREN
Reinhard Wolff
## TAGS
Schwerpunkt Meta
Medien
Gedenken
Trauer
Irak
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Fotografie
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