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# taz.de -- Investigativjournalismus in den USA: Operation Risen
> US-Journalist James Risen muss seine Quellen preisgeben – sonst kommt er
> ins Gefängnis. Was ist nur aus dem Land der freien Presse geworden?
Bild: Muss geschützt werden, sonst versiegt sie: Quelle.
WASHINGTON taz | Waterboarding, Massenvernichtungswaffen, geheime
Kommandoaktionen. Ohne Menschen wie James Risen wäre weniger von dem
bekannt, was die US-Regierungen im Verborgenen treiben. Risen gehört zu dem
kleinen Kreis von investigativen Reportern in den USA, die auf
Sicherheitsthemen spezialisiert sind.
Bei seiner Recherche ist er auf Quellen in Militär, Geheimdiensten und
US-Behörden angewiesen, die nur dann mit ihm sprechen, wenn er ihnen
Vertraulichkeit zusichert. Dieses Grundprinzip seiner Arbeit ist jetzt
gefährdet. Die US-Justiz hat Risen letztinstanzlich dazu verurteilt, den
Namen einer bestimmten Quelle zu nennen. Da er ablehnt, droht dem
59-jährigen Journalisten der New York Times eine Gefängnisstrafe.
Niemand wirft Risen vor, dass er unsauber gearbeitet, gegen ein Gesetz
verstoßen oder eine falsche Geschichte erzählt hätte. Im Gegenteil: Risen
war übervorsichtig. Als er vor elf Jahren von den Details einer
gescheiterten CIA-Operation im Iran erfuhr, wartete er lange, bevor er sie
öffentlich machte. Da die Enthüllung – laut dem damaligen CIA-Direktor
George Tenet und der Weiße-Haus-Beraterin für Nationale Sicherheit,
Condoleezza Rice – das Leben einer CIA-Kontaktperson sowie die nationale
Sicherheit der USA gefährden würde, verzichtete die New York Times auf den
Scoop.
Erst 2006, drei Jahre später, veröffentlichte Risen die Geschichte als
Kapitel in seinem Buch: „State of War: The Secret History of the CIA and
the Bush Administration“.
## „Operation Merlin“
Risen beschreibt darin das folgenschwere Scheitern einer
CIA-Undercover-Operation im Jahr 2000. „Operation Merlin“ sollte – mit
Zustimmung von Expräsident Clinton und Präsident Bush II – das iranische
Atomprogramm mithilfe von falschen Bauplänen für Atomsprengköpfe sabotieren
oder zumindest verzögern. Doch die CIA wählte den falschen Überbringer für
ihre Baupläne – einen Doppelagenten, der die Sache auffliegen ließ. Statt
das iranische Atomprogramm zu schwächen, löste der US-Geheimdienst damit
eine Beschleunigung des Programms aus, schrieb Risen.
Der Reporter hat ausgezeichnete Kontakte, gilt in Sicherheitsfragen als
einer der bestinformierten Journalisten des Landes. Und er genießt bei
Quellen den Ruf, dass auf sein Wort unbedingt Verlass ist. Die Anwältin
Jesselyn Radack, die sieben Whistleblower vertritt – darunter auch Edward
Snowden –, bezeichnet den Journalisten als einen von höchstens zehn in den
USA, denen Leute mit gefährlichen Geheimnissen vertrauen.
Nach dem Erscheinen von Risens Buch versucht die US-Regierung, den für die
undichte Stelle Verantwortlichen zu finden. Und kommt bald auf den Namen
eines ehemaligen CIA-Mitarbeiters, Jeffrey Sterling. Der ehemalige Agent
wusste von der „Operation Merlin“ und hat Dutzende von Telefonaten mit dem
Journalisten geführt. Doch er bestreitet, dass er dem Journalisten die
Information gegeben hat. Im letzten Amtsjahr der Bush-Regierung versucht
die Justiz erstmals, Risen zur Preisgabe seiner Quelle zu zwingen.
Seither sind sechs Jahre vergangen. Im Weißen Haus sitzt längst der
Präsident, der bei seinem Amtsantritt verkündet hat, er werde die größte
Transparenz in der US-Geschichte einführen. Der bei Fensterreden das Recht
von Journalisten verteidigt, ihre Arbeit ungestört von der Justiz zu tun.
## Acht Spionageverfahren gegen Whistleblower
In der realen Politik wurden unter Barack Obama acht Spionageverfahren
gegen Whistleblower eröffnet. Gegen Menschen wie Chelsea Manning, der
Hunderttausende von Geheimdepeschen sowie Videos über tödliche Schüsse von
US-Soldaten auf Zivilisten in Bagdad veröffentlicht hat und jetzt für 35
Jahre im Gefängnis sitzt. Gegen Edward Snowden, der über die massive
Schnüffelpraxis der USA und ihrer Alliierten aufgeklärt hat und sich ins
russische Exil flüchten musste. Und: gegen Sterling. Die Regierung unter
Obama hat das Antispionagegesetz von 1917 häufiger angewandt als alle
vorangegangenen US-Präsidenten zusammen.
„Ich habe zwei Möglichkeiten: Entweder ich gebe alles auf, woran ich
glaube, oder ich gehe ins Gefängnis“, sagt Risen.
Seit 2008 verurteilt ihn eine Gerichtsinstanz nach der anderen dazu, den
Namen seines Informanten zu nennen. Nur einmal will ihm ein Bezirksgericht
Quellenschutz gewähren. Doch das Justizministerium ficht die Entscheidung
erfolgreich an. Risens letzter gerichtlicher Anlauf scheitert im Juni, als
er versucht, das Oberste Gericht einzuschalten, damit es den Quellenschutz
als Teil der in der Verfassung garantierten Pressefreiheit definiert. Zwar
gibt es in 40 Bundesstaaten Gesetze, die Journalisten einen gewissen
Quellenschutz geben, aber auf Bundesebene ist ein solches Gesetz immer
wieder an den Mehrheiten im Kongress gescheitert. Seit das Oberste Gericht
die Befassung mit Risens Fall abgelehnt hat, steht er mit einem Fuß im
Gefängnis.
## Angriff auf die Pressefreiheit
An einem schwülen Nachmittag im August liefert die Gruppe Roots Action
einen halben Meter hohen Stapel Papier mit etwas mehr als 100.000
Unterschriften am Hintereingang des Justizministeriums in Washington ab.
Die Petition verlangt die sofortige Einstellung der Maßnahmen gegen Risen.
Nennt sie einen „Angriff auf die Pressefreiheit“. Auch 21
Pulitzerpreisträger haben unterschrieben. Sie erleben täglich, welchen
abschreckenden Effekt die Anklagen, Verurteilungen und andere Versuche der
Einschüchterung von Whistleblowern und Journalisten schon jetzt haben.
„Vertraute Kontaktpersonen in Washington sind eingeschüchtert“, beschreibt
Reporter David Barstow von der New York Times, „sie trauen sich nicht mehr,
am Telefon oder per E-Mail zu kommunizieren oder sich auf einen Kaffee zu
treffen. Wir müssen wie Drogendealer handeln und extreme Vorsichtsmaßnahmen
ergreifen.“ Dana Priest, investigative Reporterin bei der Washington Post,
begründet ihre Unterschrift so: „Reporter wie Risen informieren die
Amerikaner und hinterfragen, ob eine gigantische Regierung im Schatten eine
gute Idee ist.“
Risen gehört zur Aristokratie des US-Journalismus: Er hat zwei
Pulitzerpreise gewonnen und vier Bücher veröffentlicht. Dass die Justiz
selbst vor einem wie ihm nicht zurückschreckt, empfinden Journalisten, die
für weniger starke Medien arbeiten, als bedrohlich. Zumal sich die
Zwangsmaßnahmen gegen Risen in eine größer werdende Kampagne der
US-Regierung einreihen.
## „Helfer, Anstifter und/oder Koverschwörer“
Im Jahr 2012, als Associated Press Informationen über einen vom CIA
vereitelten Flugzeuganschlag im Jemen veröffentlichte, hörte die
US-Regierung – auf Grundlage eines geheim gehaltenen Gerichtsentscheids –
zwei Monate lang Telefone der Nachrichtenagentur ab. 100 Journalisten waren
betroffen. Im vergangenen Jahr überwachte die US-Regierung Telefone,
E-Mails und Bewegungen eines Journalisten des Fernsehsenders Fox. Weil er
Informationen über das nordkoreanische Atomprogramm veröffentlich hat, die
aus dem Sicherheitsapparat der USA kommen, nennt das US-Justizministerium
den Journalisten in einem Dokument einen „Helfer, Anstifter und/oder
Koverschwörer“.
Auch Berufsorganisationen von Journalisten sind zunehmend beunruhigt über
den Überwachungsdrang der Obama-Regierung. Das Komitee zum Schutz von
Journalisten (CPJ), das sich in den 80ern gegründet hat, um
US-Korrespondenten in Krisengebieten zu helfen, hat eine Studie über die
Lage im eigenen Land veröffentlicht. Vor dem Justizministerium mahnt
Courtney Radsch vom CPJ: „Wenn wir wie Kuba Journalisten ins Gefängnis
bringen, weil sie ihre Arbeit tun, untergräbt das auch unsere
Möglichkeiten, in Ländern wie Äthiopien und Vietnam zu arbeiten.“
Risen hat den Rechtsstreit allein mit seinen Anwälten geführt. Er ist weder
Aktivist, noch sucht er das Rampenlicht. Bei der Konferenz in Washington
errötet er nach der Übergabe der Petition, als jemand sein Alter nennt.
Aber er ist bereit, ins Gefängnis zu gehen: „Weil es keine Demokratie ohne
Pressefreiheit gibt. Und weil es keine Pressefreiheit ohne aggressive
investigative Recherche gibt, die wiederum nur mit Vertraulichkeit möglich
ist.“ Die Obama-Regierung nennt er „den größten Gegner der Pressefreiheit
seit einer Generation“. Und er charakterisiert das historische Umfeld mit
der Frage: „Ist Pressefreiheit nach 9/11 möglich?“
31 Aug 2014
## AUTOREN
Dorothea Hahn
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Whistleblower
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Schwerpunkt Überwachung
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Edward Snowden
Thomas Drake
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