# taz.de -- Magazinmacher-Treffen Indiecon: Independence ist kein Programm | |
> Schön, dass so viele Magazine jenseits der Großverlage erscheinen – | |
> schade, dass die meisten nur wenig zu sagen haben. | |
Bild: Finde die Indies: auch nicht immer gehaltvoller als die Großen. | |
Wenn Teenager heutzutage Gleichaltrige als Indie bezeichen, dann ist das | |
nicht als Lob gemeint. Stattdessen wird da jemand für sein Streben | |
bestraft, sich von der Masse abzusetzen. Das mehr oder weniger ostentative | |
Ausscheren aus der Masse wird als unauthentisch, als Masche begriffen. | |
Dieses Verdikt trifft beileibe nicht nur Gleichaltrige – als noch unechter | |
gelten die vielen Berufsjugendlichen, die mit Turnschuhen, Facebook-Account | |
und lustigen Anglizismen ihr Alter verschleiern. | |
Oder die trendigen Einzelhändler, die es mit einer besonders individuellen | |
Ansprache der Kunden versuchen – wie der Buchladen in Berlin Mitte, an | |
dessen Fassade nicht nur der Name steht, sondern auch verheißungsvoll: „Not | |
just another bookstore.“ Und der tatsächlich mit seinem großen Holztisch | |
und der zischenden Espressomaschine eher an eine Starbucksfiliale erinnert | |
als an ein Buchgeschäft. Der Laden wird von vielen Unter-20-Jährigen | |
gemieden. | |
Nun steht im Magazingeschäft das Wort Indie nicht für Individualität | |
sondern für Independence, also für Unabhängigkeit, und dennoch wird dieses | |
Etikett mit demselben wohligen Gefühl vor sich hergetragen, auf der | |
richtigen Seite zu stehen. Zum Beispiel auf keinen Großverlag angewiesen zu | |
sein, auf die Marktforschung zu pfeifen und nach Bauchgefühl zu agieren. | |
Das sind für Herausgeber und Kleinverleger hehre Voraussetzungen, aber wenn | |
auf der anderen Seite nur ein analoges Abbild der narzisstischen Moden des | |
Internets steht, dann bleibt ein blödes Gefühl. Kurz gesagt: Ein Magazin, | |
das sich vor allem mit kleinen Whiskey-Brennereien und lustigen | |
Einrichtungsideen fürs Wohnzimmer beschäftigt,wird ja nicht deshalb | |
gehaltvoller, weil es nicht bei Gruner + Jahr oder im Burda-Verlag | |
erscheint. | |
So wie das Stricken eine Renaissance erlebt, das Kochen bei Freunden und | |
das mittlerweile omnipräsente Wort „Manufaktur“ – als Chiffre für das | |
bessere Produzieren – so erleben derzeit auch gedruckte Magazine ein | |
Comeback. Dabei lohnt sich ein wenig Trennschärfe und ein wenig Demut auch. | |
Denn was da so unter der Flagge Independent-Magazin durchs Meer der | |
Zeitschriften segelt, ist bei näherem Hinsehen auch nicht werthaltiger als | |
viele Seiten im Internet oder mancher Titel der bösen Großverlage. | |
Man möge doch mal die Probe aufs Exempel machen und im Weihetempel der | |
Indie-Magazine nach Lesestoff suchen. Also im Berliner Laden „Do you read | |
me“, der schon vor Jahren die Sehnsucht mancher Menschen nach Journalismus | |
jenseits der Konfektionsware am Kiosk entdeckt hat und erfolgreich zu | |
befriedigen weiß. | |
Die Regale sind voll kunstvoller Zeitschriften aus aller Welt, und es | |
werden immer mehr. Wunderbare Fotografie glänzt auf den Covern von | |
Magazinen, deren geheimnisvolle Namen wenig bis gar nichts Layouts, für die | |
man sich ein begleitendes Booklet wünscht, um sie dechiffrieren zu können. | |
Man geht durch die Reihen, blättert und staunt über die vielen Hefte | |
vornehmlich zu den Themen Mode, schwuler Sex und individuelle Interieurs. | |
Am Ende geht man womöglich lieber mit einer Brandeins oder der Zeit aus dem | |
Laden, die man dort Gott sei Dank auch noch kaufen kann. | |
## Kein Hirnfutter | |
Vielleicht, weil die Besitzer vom „Do you read me“ wissen, dass die meisten | |
der angebotenen Zeitschriften eher Augen-, statt Hirnfutter sind. | |
Coffeetablebücher im Magazinformat. Blätter, die man nicht lesen kann, über | |
Wohneinrichtungen, die man nicht kaufen kann. | |
Ganz im Ernst: Wer etwas zu lesen, qualitätsvolle Recherche, | |
gesellschaftlich wichtige Geschichten sucht, der ist inmitten all der | |
Neugründungen womöglich am falschen Ort. Es dominiert die Form in Gestalt | |
jener Selbstverliebtheit, die man aus sozialen Netzwerken kennt. Statt | |
Reflexion gibt es Dekoration. | |
Dass ein Großteil der neuen Magazine grafik- und nicht inhaltsgetrieben | |
ist, wundert nicht. Oft werden sie heute von Artdirektoren gegründet und | |
nicht von Journalisten. Das überbevölkerte Grafikdesign wartet nicht länger | |
auf Engagements, es schafft sich seine eigenen Auftritte, und die sind | |
oftmals gekennzeichnet von einer Feier des eigenen Lifestyles. So wie sich | |
mancher dieser neuen Magazinmacher selbst gern mit Tätowierungen, Vollbart | |
und einem trendigen Fixie komplettiert, so strotzen diese Hefte von einer | |
Reduzierung auf Äußerlichkeiten. | |
So wie Websites wie „Freunde von Freunden“, auf denen man sich gegenseitig | |
für seine Einrichtungsideen feiert, im Internet reüssieren, so sehr sind | |
viele Grafiker eher daran interessiert, ihren Freunden aus dem | |
Designstudium zu gefallen als dem Leser zu dienen. Schön, dass es so wenig | |
Text gibt und wenn, dann wird der nach allen Regeln der Kunst | |
dekonstruiert. Das sieht dann so aus, dass die Paginierung größer ist als | |
die Überschrift, die manchmal kleiner ist als die Subline. | |
## Eine Zumutung | |
Manchmal rücken die Texte ganz nah an die Bilder, das kann man dann nicht | |
so gut lesen, macht man aber jetzt so, weil es vorher noch keiner gemacht | |
hat. Eine besonders hässliche Schrift wiederum ist oft ein Querverweis auf | |
Typodiskurse in der Szene, die feinen Linien, die sich durch den Text | |
ziehen, sehen einfach schick aus. Für Menschen, die lesen und nicht nur | |
gucken wollen, ist das oft eine Zumutung. | |
Nichts gegen ein neues Selbstbewusstsein der Artdirektoren, aber gute | |
Magazine entstehen nur dann, wenn Grafiker und Journalisten eine | |
Kollaboration eingehen. Denn das ist ja auch klar: Magazine von | |
Journalisten, die den Artdirektor nur als Dienstleister sehen, der die | |
Bleiwüsten irgendwie parzelliert, sind genauso öde. Es spricht ja nichts | |
dagegen, dass heute Magazine von gelangweilten Grafikern gegründet werden, | |
aber es spräche einiges dafür, dass sich diese Grafiker mit Journalisten | |
zusammentun, die nicht nur den Workshop Modejournalismus besucht haben. | |
Solange diese Art Zusammenarbeit aber eher in den USA oder den Niederlanden | |
vorkommt als in Deutschland, ist das Label Independent-Magazin genauso | |
marktschreierisch wie der Untertitel „Zeitgenössische Pizza“ für ein | |
italienisches Restaurant in Prenzlauer Berg. Unabhängig? Leider nicht von | |
den Moden dieser selbstverliebten Zeit. | |
4 Sep 2014 | |
## AUTOREN | |
Oliver Gehrs | |
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