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# taz.de -- Staffelstart von „Mord mit Aussicht“: Das Kaff zieht
> Die ARD-Serie „Mord mit Aussicht“ ist das Gegenteil der amerikanischen
> Erfolgsserien. Zuschauer und Kritiker lieben sie trotzdem. Warum?
Bild: Immer etwas chaotisch, immer hektisch: Kommissarin Haas (Caroline Peters).
Die Polizei ist ihr dicht auf den Fersen. Ein Blick zurück, dann biegt die
Verbrecherin um die Ecke. Die Verfolger verlieren ihre Spur. Die
Kriminaloberkommissarin ordnet eine Großfahndung an: „Wir brauchen
Straßensperren. Wir brauchen Hundestaffeln, Killerdrohnen …“ Moment mal. Es
ist nicht so, dass die gesuchte Frau eine Terroristin wäre. Und überhaupt:
Wo sollte sie sich hier schon groß verstecken?
Haben sich die Protagonisten nicht gerade durch nahezu menschenleere
Straßen gejagt? Ist nicht ein Traktor durchs Bild getuckert und eine Oma
mit Rollator im Zeitlupentempo durchs Bild geschlurft? Auf Nachfrage des
Kollegen löst die Kommissarin ihre Anweisung trocken auf: „Nein, das ist
nicht mein Ernst.“ Sie ermittelt schließlich in Hengasch.
Hengasch ist ein fiktives Dorf in der Eifel und der Schauplatz der
ARD-Krimiserie „Mord mit Aussicht“, die nun mit 13 neuen Folgen in der
dritten Staffel ausgestrahlt wird. Im Presseheft freut sich
Programmdirektor Volker Herres über zuletzt „durchschnittlich 6,06
Millionen Zuschauer“, die das Format am Dienstag zur besten Sendezeit
erreicht hat.
Dort gehört es neben den Nonnen von „Um Himmels Willen“, der Belegschaft
der Sachsenklinik von „In aller Freundschaft“ und der im Leipziger Zoo
praktizierenden „Tierärztin Dr. Mertens“, zu den Quotenrennern im Ersten.
## Kritikerliebling
Doch „Mord mit Aussicht“ ist anders als seine bräsigen Mitstreiter, die bei
Kritikern höchstens als abschreckendes Beispiel genannt werden, wenn
Vergleiche zum internationalen Serienniveau gezogen werden. Die Story um
die ehrgeizige Kommissarin Sophie Haas, die von Köln aufs Land versetzt
wird und am langweiligen Dorfleben zu verzweifeln droht, überzeugt auch
Zuschauer, die bei Kategorien wie „Regional-“ oder „Schmunzelkrimi“
normalerweise abschalten.
So kommt es, dass Caroline Peters, die seit 2007 Kommissarin Haas spielt,
in Interviews immer wieder erklären soll, was das Besondere der Serie
ausmache. „Das wüsste ich selbst gerne, damit ich es auf andere Formate
übertragen könnte“, antwortet sie und schiebt nach: „Wir haben viel darü…
nachgedacht, was im Fernsehen gemacht wird, und haben versucht, einen
eigenen Geschmack dagegenzusetzen.“
Mit „wir“ meint sie das Ensemble und die Regisseure von „Mord mit
Aussicht“. „Das fällt im deutschen Fernsehen auf, wenn nicht alles nach
irgendeiner Idee weichgespült ist, die sich danach richtet, was die Leute
angeblich sehen wollen.“
Dass die Originalität nicht allein auf den Drehbüchern der Serienerfinderin
Marie Reiners beruht, die bis 2010 die Vorlagen lieferte, wird deutlich,
wenn man sie mit den Produktionen der Regionalkrimi-Reihe „Heiter bis
tödlich“ für den ARD-Vorabend vergleicht. Denn hier wirken Reiners
Geschichten eher fad. Selbst Volker Herres weist im Presseheft darauf hin,
dass die Bücher „am Ende nur eine Steilvorlage und einen Spielplatz
abgeben“.
Produzent Peter Güde konkretisiert: „Bei ’Mord mit Aussicht‘ kommen viele
Einfälle von den Schauspielern selbst, und dadurch entsteht tatsächlich am
Set noch viel Zusätzliches zur Buchvorlage.“
## Schauspielerin am Burgtheater
Caroline Peters, die abseits der Serie selten im Fernsehen, dafür
regelmäßig am Burgtheater in Wien zu sehen ist, legt großen Wert darauf,
mit dem Ensemble an Texten zu arbeiten. „In deutschen Fernsehdrehbüchern
stehen viele Dinge für Schnell- und Querleser, weil sie im
öffentlich-rechtlichen Fernsehen zig Gremien durchlaufen müssen und von
vielen Leuten gelesen werden“, sagt sie.
„Da stehen oft Sätze in Dialogen, die man nicht wirklich sagen muss, weil
die Auflösung im Bild eine andere ist als im Buch. Wir waren uns einig,
dass wir solche Dinge herausstreichen, wenn wir sie entdecken. Sätze wie
’Ich gehe jetzt ans Telefon‘ muss man nicht aussprechen, wenn die Figur
dabei ans Telefon geht.“
Es ist die Leidenschaft fürs Detail, der Wunsch nach exaktem
Schauspielhandwerk, den sämtliche Darsteller von „Mord mit Aussicht“
teilen. Neben ihr schaffen es auch Kollegen wie Bjarne Mädel und Meike
Droste, die Schrulligkeit ihrer Figuren nicht spöttisch zu überzeichnen,
sondern ernst zu nehmen und mit einem feinen Gespür für Ambivalenzen
sorgfältig zu verdichten.
Auch sonst hebt sich die Serie mit ihrem schwarzen Humor von gewohnten
Darstellungen im TV ab. „Wenn das deutsche Fernsehen aufs Land geht, endet
es immer sehr schnell im Märchen; beim Bergdoktor oder beim Landarzt“, sagt
Produzent Güde. „Ich finde es schön, dass Dorf und Land hier auch einmal
negativ dargestellt werden können, dieses Nervige, das Öde. Dadurch wird es
dann auch lustig.“
## Unbewegliches Privatleben
Es sind die Gegensätze der oft unerträglich-sturen Gemächlichkeit des
Landlebens und der wachen und ungeduldigen Stadtfrau, die Zigaretten
rauchend in ihrem roten BMW-Cabrio die dösige Dorfgemeinschaft aufmischt,
dabei aber auch die Achillesferse ihres modernen Lebensentwurfs offenbart –
ein recht unausgeglichenes Privatleben. So schafft es „Mord mit Aussicht“,
eben nicht zur billigen Provinzposse zu verkommen.
Auch weil es sich abseits der Fälle Zeit nimmt, von den kleinen und
größeren Dramen seiner schrägen Figuren zu erzählen. Tatsächlich
durchströmt den Ort dadurch sogar ein Hauch der legendären US-Serie „Twin
Peaks“.
9 Sep 2014
## AUTOREN
Jens Mayer
## TAGS
Serie
ARD
Krimi
Comedy
Bjarne Mädel
Krimiserie
ARD
Landlust
Paare
US-Serie
Sat.1
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Krimiserie
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