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# taz.de -- Literatur von Eduardo Halfon: Rettender Zufall
> Zehn autobiografische Kurzgeschichten über den jüdischen Großvater, die
> zu einem Roman werden: Eduardo Halfons „Der polnische Boxer“.
Bild: Kam in der hier angestrahlten Guatemala-Stadt zur Welt: Eduardo Halfon.
Im Jahr 1945 erreicht Eduardo Halfons Großvater Guatemala – auf dem Arm
eintätowiert eine Nummer. Nie wieder wird er ein Wort Polnisch sprechen.
Sein Enkel, der Schriftsteller Eduardo Halfon, kommt 1971 in
Guatemala-Stadt zur Welt. Doch 1981, auf dem Höhepunkt der Gewalt im
Bürgerkrieg zwischen Militär und Guerilla, in dem bis 1996 schätzungsweise
200.000 Menschen vor allem aus der indigenen Bevölkerung Guatemalas
sterben, beschließen seine Eltern, mit ihren Kindern in die USA zu gehen.
Nach einem Studium der Ingenieurwissenschaften in North Carolina beginnt
Eduardo Halfon zu schreiben. Im Jahr 2003 erscheinen seine ersten
Kurzgeschichten auf Spanisch. Auf dem kolumbianischen HAY-Festival wird er
2007 als einer der besten jungen lateinamerikanischen Schriftsteller
ausgezeichnet. Einige Jahre lebt er wieder in Guatemala und unterrichtet
dort Literatur an der Universität Francisco Marroquín. Mit einer
autobiografischen Episode aus jener Zeit beginnt auch sein soeben erstmals
auf Deutsch erschienenes Buch „Der polnische Boxer“: Dort, in einem
Literaturseminar, inmitten einer Schar gelangweilter und verwöhnter
Studenten, trifft der Erzähler auf den jungen Juan Kalel aus der Provinz
Chimaltenango.
Ein Vollstipendium ermöglicht dem das Studium der
Wirtschaftswissenschaften. Viel mehr interessiert ihn jedoch die Literatur,
und er schreibt Gedichte – mal auf Spanisch, mal auf Cakchiquel. In dieser
Sprache der Maya bedeutet Dichtung Wortgeflecht – „Pach’un tzij“, über…
Kalel seinem Lehrer. Als der junge Student eines Tages nicht mehr zum
Unterricht erscheint, macht sich Halfon auf nach Tecpán, zum Haus der
Familie Kalel – in eine andere Welt.
Daran schließen sich neun weitere Kurzgeschichten an: über die Teilnahme
des Autors an einer Mark-Twain-Tagung auf dem Gelände eines Golfklubs in
North Carolina, die Bekanntschaft mit einem serbischen Pianisten in einer
Bar in Antigua, Guatemala, oder die vergebliche Suche des Ich-Erzählers
nach jenem Musiker in Belgrad.
Miteinander verbunden werden sie durch den erzählenden Halfon ebenso wie
durch dessen immer anwesende und unvermittelt aufblitzende Erinnerung an
die Geschichte seines jüdischen Großvaters und dessen Anekdote vom
polnischen Boxer. So verdichten sich die Erzählungen zu einer Art Roman.
## Auschwitz, Sachsenhausen, die schwarze Wand
Tatsächlich hatte Eduardo Halfon 2001 seinen Großvater nach seiner
Vergangenheit und der Nummer auf seinem Arm befragt. Woraufhin dieser dem
Enkel zum ersten Mal berichtete – von Sachsenhausen, von Auschwitz, der
schwarzen Wand, der drohenden Exekution. Auch erzählte er von der
zufälligen Begegnung mit einem polnischen Boxer, dessen Worte ihm das Leben
gerettet hatten. Was er ihm gesagt hatte, dazu gab der alte Mann keine
Auskunft.
In einem Interview 2009 für das guatemaltekische Fernsehen erzählte Halfon
davon, wie er sehr lange mit einer Mischung aus Furcht und Respekt vor der
Aufgabe zurückgeschreckt war, über diese Erfahrungen des Großvaters zu
schreiben. Doch erkannte er auch, dass der Großvater in gewisser Weise
selbst mit seiner Anekdote vom polnischen Boxer die Wirklichkeit in etwas
Literarisches verwandelt hatte. Angetrieben von diesem Ringen um die
angemessene literarische Form, ist Halfon mit „Der polnische Boxer“ ein
komprimierter, zugleich aber inhaltlich ziemlich verzweigter,
vielschichtiger Roman gelungen, der die verschiedenen Welten schreibend
miteinander verknüpft – und das nicht nur, weil es Teil seiner eigenen
Biografie zu sein scheint.
19 Sep 2014
## AUTOREN
Eva-Christina Meier
## TAGS
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