# taz.de -- Fußballverein lehnt 100.000 Euro ab: „Das braucht kein Mensch“ | |
> Obwohl sie es gebrauchen könnten, nehmen die Mitglieder des FC Germania | |
> Bleckenstedt kein Geld von der Atomwirtschaft – um den Protest gegen | |
> Schacht Konrad nicht zu verraten. | |
Bild: Wollen kein Endlager im Schacht Konrad unterstützen: Die Vereinsmitglied… | |
SALZGITTER-BLECKENSTEDT taz | Ute Geyer sitzt vorm Clubhaus des FC Germania | |
Bleckenstedt. Sie hat die Beine übergeschlagen und blickt auf den | |
Fußballplatz ihres Vereins. Hin und wieder zieht eine Zigarrettenrauchfahne | |
vorüber. Deren Produzenten sind Thomas Köhler und Mathias Geyer. Die Sonne | |
bricht durch dichte Wolken. Und das, obwohl es regnen sollte. | |
Prognosen bleiben eben Prognosen. Hinterm Platz ragt ein Förderturm in die | |
Höhe: Schacht Konrad. Hier soll ab 2020 Atommüll rein. Endlich ein Endlager | |
und vor allem ist es vollkommen sicher – so die Prognose. In Bleckenstedt | |
glauben da nicht alle dran. Und deswegen wäre der Fußballplatz fast zum | |
Problem geworden. | |
Ute Geyer, ihr Mann Mathias und Thomas Köhler gehören zusammen mit sechs | |
anderen zum Vorstand des [1][FC Germania Bleckenstedt]. Sie wollten das | |
Gute und schafften fast das Böse. „Unser Dorf hätte sich gespalten“, sagt | |
Ute Geyer. | |
Weil der Rasen häufig Wasser zieht, braucht er dringend ein Drainage und | |
muss begradigt werden. Dafür hatte der Verein Gelder beantragt – beim | |
Konradfonds. Das Problem: Der Fonds speist sich aus Mitteln des Bundes und | |
der Atomwirtschaft. | |
Bleckenstedt ist ein Ortsteil von Salzgitter. Rund 700 Menschen leben hier. | |
Weil sie so nah dran sind am Schacht Konrad, ist das Endlager ein besonders | |
großes Thema. Auf dem Fußballplatz fanden bereits Protestcamps der | |
Arbeitsgemeinschaft Schacht Konrad statt, einer Bürgerinitiative, die sich | |
seit 1987 gegen das Endlager stemmt. | |
Und ausgerechnet hier wollten sie nun die Gelder des Konradfonds anzapfen. | |
Er soll „die gesamtgesellschaftliche Verantwortung, die die Region mit dem | |
Endlager Schacht Konrad übernimmt“ ausgleichen, schreibt das Bundesamt für | |
Reaktorsicherheit. Die Kritiker sprechen von „Blutgeld“, das die Bewohner | |
der Region ruhig stellen solle. | |
250.000 Euro braucht der FC Germania Bleckenstedt. „Das würden wir nie | |
hinkriegen, wenn es diesen Fonds nicht geben würde“, sagt Thomas Köhler. | |
Und tatsächlich war die Stiftungsgesellschaft bereit, 100.000 Euro | |
auszuspucken. | |
Das stand dann auch gleich in der Lokalzeitung – und es wußte nun wirklich | |
jeder Bescheid. „Vielleicht waren wir ein bisschen blauäugig“, sinniert | |
Thomas Köhler und kramt eine frische Zigarette raus, klopft mit ihrem | |
Filter zweimal auf ein Elektrofeuerzeug, das flach in seiner anderen Hand | |
liegt. | |
Ende Juli gab es dann Stress in Bleckenstedt. In der „Sportwoche“ spielen | |
die Fußballer der Region ein Vorbereitungsturnier auf dem Fußballplatz. Und | |
„die Dorfbewohner kommen dann auf ein Bier und Bratwürstchen“, sagt Mathias | |
Geyer. | |
Kritische Stimmen warnten: „Macht das nicht, nehmt das Geld nicht an!“ Und: | |
„Wie stehen wir denn da, wir machen schließlich jedes Jahr einen | |
Fackelumzug und eine Lichterkette, damit wir die Scheiße hier nicht | |
kriegen.“ Vereinsmitglieder drohten mit dem Austritt. | |
Etwa 20 der 200 Mitglieder seien bei der AG Schacht Konrad engagiert, sagt | |
Geyer. Sogar der Landwirt, der sich derzeit noch als Letzter vor dem | |
Europäischen Gerichtshof gegen das Endlager wehrt, wohnt in Bleckenstedt | |
und ist Mitglied im FC. „Das hat uns dann zu denken gegeben“, merkt | |
Matthias Geyer an. | |
Es gibt diese Geschichte von einer Hühnermastanlage im Nachbardorf. Vor | |
deren Bau hatte es auch Proteste gegeben. Doch der Bauer baute trotzdem. Da | |
gebe es jetzt Leute, „die wechseln die Straßenseite, wenn der ihnen | |
entgegenkommt“, sagt Mathias Geyer: „Das braucht kein Mensch.“ | |
Aber genau das hätte ihnen auch geblüht, glaubt Ute Geyer. „Mit uns hätten | |
einige nicht mehr gesprochen, vorher waren es gute Freunde und dann kennt | |
man sich nicht mehr.“ | |
Helge Konradt schreibt sich mit „dt“ – der Unterschied ist in einer Region | |
wie dieser an Wichtigkeit nicht zu unterschätzen. Auch er sitzt im Vorstand | |
des Vereins. Mit einem Traktor zieht er gerade eine schwere Walze über den | |
Fußballplatz. Die Grasnarbe muss gepflegt werden, auch wenn eigentlich ein | |
neue her müsste. | |
Irgendwann ist der Platz platt genug. Helge Konradt springt aus dem | |
Traktor. Am Führerhäuschen sind zwei gelb-rote Fähnchen aufgepflanzt. Von | |
denen lachen einem lustige Sonnen an: „Atomkraft? Nein Danke!“, ist darauf | |
zu lesen. Konradt hat Verständnis für die Reaktionen im Dorf. „Für die | |
hätte das so ausgesehen: Nach außen protestieren wir dagegen, aber hinten | |
rum halten wir die Hand auf.“ | |
Der Geschäftsführer des Konradfonds, Rainer Dworog, kann diese Sorgen nicht | |
verstehen. Er bestreitet, dass die Stadt mit dem Geld ruhig gestellt werde. | |
Überhaupt ist die Debatte für ihn kalter Kaffee: „Die Auseinandersetzung um | |
Schacht Konrad haben wir bereits geführt“, sagt er. | |
Das Lager werde kommen, das sei richterlich festgestellt worden. Bei dem | |
Geld handele es sich nun um einen Ausgleich für entgangene Gewerbesteuer. | |
Die hätte die Stadt eingenommen, wenn Schacht Konrad nicht von der | |
öffentlichen Hand, sondern von der Privatwirtschaft betrieben würde. | |
„Das ist Geld, das der Stadt zusteht“, ist Rainer Dworog überzeugt. Dass | |
der FC Bleckenstedt es nun doch nicht will, verwundert ihn. Es sei aber | |
auch nicht schlimm, der Konradfonds kriege immer mehr Anträge. In diesem | |
Jahr hat der Fonds Dworog zufolge Anträge über vier Millionen Euro | |
vorliegen gehabt, doch nur knapp eine Million Euro ausschütten können. | |
Der FC Germania Bleckenstedt ist aber nicht der einzige Verein, der das | |
Geld aus dem Konradfonds lieber nicht haben will. Gut zwölf Kilometer | |
entfernt hat die Alevitische Gemeinde Salzgitter ihr Haus. Unten spielen | |
ein paar Leute Brettspiele und trinken Tee. Der Saal hat ein Theke und | |
einen großen Fernseher zum Fußballgucken. | |
Darüber, im Obergeschoss, findet regelmäßig der Cem statt, der alevitische | |
Gottesdienst. In den großen Raum führt eine schmale geflieste Treppe. Für | |
Menschen, die nicht gut zu Fuß sind, ist sie ein Hindernis. Ein Fahrstuhl | |
könnte das Problem lösen, dachte sich der Vorstand und beantragte ebenfalls | |
Geld beim Konradfonds – knapp 30.000 der benötigten 90.000 Euro. | |
Bektas Balci-Baskan steht der Gemeinde vor. Beim schwarzen Tee mit Zucker | |
erklärt er, dass der Antrag noch vom alten Vorstand gestellt wurde. Dem sei | |
offenbar nicht klar gewesen, woher genau das Geld kommt, sagt Sahin | |
Caliskan, der Presseprecher der Gemeinde. „Wir halten Schacht Konrad nicht | |
für sicher“, sagt er. | |
Nach einem Wechsel im Vorstand stimmten die Aleviten in einer | |
Hauptversammlung ab, ob sie das Geld annehmen wollen. Sie wollten nicht, | |
zogen den Antrag zurück. „Wir hätten das ethisch und moralisch nicht | |
verantworten können“, sagt Balci-Baskan. | |
Wenn man das Geld annehme und nur ein Mensch käme durch das Endlager zu | |
Schaden, mache man sich mitschuldig. Zur alevitischen Philosophie gehöre es | |
schließlich, Mensch und Natur zu achten. | |
Die Aleviten verzichten nun vorerst auf einen richtigen Fahrstuhl. Sie | |
werden wohl einen Treppenlift aus eigener Tasche kaufen, erklärt Bektas | |
Balci-Baskan. Auch die Fußballer gucken sich inzwischen nach anderen | |
Geldgebern um. | |
21 Sep 2014 | |
## LINKS | |
[1] http://www.fc-germania-bleckenstedt.de/ | |
## AUTOREN | |
Jakob Epler | |
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