# taz.de -- Haus aus Naturmaterialien: Es ist Stroh, Mann | |
> In Niedersachsen wurde Europas größtes Haus aus Strohballen errichtet. | |
> Das Baumaterial wächst in der Region und dämmt gut. | |
Bild: Das Strohhaus ist stabil. Wirklich. | |
VERDEN taz | Gerade ist der erste Mieter im Strohballenhaus eingezogen, ein | |
Steuerberater. Er kann jetzt aus den dreifachverglasten Fenstern auf die | |
Artilleriestraße im niedersächsischen Verden schauen. Oder auf den | |
benachbarten Sportplatz, wo American Football gespielt wird und die | |
Feuerwehr an den Wochenenden oft zur Übung ihre Schläuche ausrollt. Hinten | |
wird noch am Eingang des fünfgeschossigen Hauptgebäudes gewerkelt, die | |
Beete und Grünflächen sind auch noch nicht ganz fertig. | |
Das Gebäudeensemble, weiß, gelb und rot angestrichen, sieht auf den ersten | |
Blick aus wie ein gewöhnliches Bürohaus. 1.800 Quadratmeter Nutzfläche, | |
große und teilweise bodentiefe Fenster mit anthrazitfarbenen schmalen | |
Rahmen, flache Dächer, glänzende Regenrinnen. Aber die Häuser strahlen auch | |
etwas Ruhiges und Zurückhaltendes aus, das nicht nur an den gedeckten | |
Farben des Kalkputzes liegt. Geht man näher ran, fallen die abgerundeten | |
Ecken auf. Dass das Gebäude nur aus Strohballen und Holz besteht, sieht man | |
nicht. | |
„Strohballenhäuser sind per se angenehme und hoch gedämmte Häuser“, sagt | |
der Bauingenieur Burkhard Rüger. Die Wände würden nicht kalt und | |
Schimmelgefahr bestehe bei der richtigen Verarbeitung auch keine. Rüger | |
sitzt im Vorstand des Fachverbands Strohballenbau Deutschland (Fasba), der | |
auch in das neue Strohballenhaus einziehen wird: in das Norddeutsche | |
Zentrum für Nachhaltiges Bauen. | |
Ein Projekt, das seit 2011 mit EU-Mitteln in Höhe von 4,4 Millionen Euro | |
gefördert wird und die Schnittstelle für nachhaltiges Bauen in | |
Norddeutschland sein will. Im Strohballenhaus werden Handwerker, | |
Architekten und Planer versammelt sein und auch Fachverbände wie der Fasba, | |
der Anfang der 2000er Jahre die erste bauaufsichtliche Zulassung für | |
Strohballen erstritten hat. Wer künftig aus Stroh oder auch Lehm ein Haus | |
bauen will, soll hier alle Kompetenzen gebündelt finden, so die Idee. | |
Träger ist das Ökologische Zentrum Verden. Ein Verein, der seit 1996 | |
besteht und dem das Gelände hier gehört. Die Nichtregierungsorganisationen | |
Campact und Attac sind die beiden bekanntesten Mieter. | |
Das Haus in Verden soll zeigen, dass man mit Stroh auch große Bürogebäude | |
bauen kann. Bisher gab es in Europa kein Strohballenhaus mit mehr als drei | |
Geschossen. Zugute kommt dem Bauherren nun, dass es seit Juli dieses Jahres | |
keine Sondergenehmigung mehr braucht, um die Strohballen direkt zu | |
verputzen. Jetzt kann der abschließende Lehm- oder Kalkputz einfach direkt | |
auf die Strohballen aufgetragen werden – auch zusätzliche Holzplanken sind | |
nun nicht mehr nötig. „Das macht die Strohballenhäuser noch günstiger“, | |
sagt Rüger. | |
## Idealer CO2-Speicher | |
Aber für ihn ist das Kostenargument ohnehin keines, das gegen Stroh | |
spricht. Denn ein Einfamilienhaus aus Stroh koste in der Herstellung auch | |
nicht mehr als eines aus Stein. Die graue Energie jedoch, also all jene | |
Energie zur Herstellung, Lagerung oder dem Transport des verwendeten | |
Materials, liege beim Strohballenhaus „um den Faktor 1.000 geringer als | |
beim herkömmlichen Haus“, sagt er. „Außerdem sind Holz und Stroh ideale | |
CO2-Speicher.“ | |
Das fünfstöckige Haus in Verden sei nur wegen der vielen Auflagen für ein | |
Bürogebäude etwas teurer als ein konventioneller Bau. Dafür wird es kaum | |
Verbrauchskosten geben, denn das Gebäude soll mit einer Fotovoltaikanlage | |
mehr Energie erzeugen, als es braucht. „Und so ein Haus aus Stroh ist mit | |
guten Fenstern und gekonnter Lüftung nah am Passivhaus“, sagt Rüger. Sollte | |
es einmal nicht mehr gebraucht werden, kann der Abrissschutt leicht | |
entsorgt werden. Auch bei einem Feuer schneidet das Strohballenhaus | |
überraschend gut ab. In Braunschweig haben sie in der Materialprüfanstalt | |
eine verputzte Strohballenwand angezündet. Eine halbe Stunde hielt sie | |
stand, genauso lang wie es Standard ist für ein herkömmliches | |
Einfamilienhaus. | |
Die Idee, aus Stroh Häuser zu bauen, kommt aus dem US-Bundesstaat Nebraska. | |
Dort pressten Wanderarbeiter Anfang des 19. Jahrhunderts Heu und Stroh zu | |
Blöcken zusammen und bauten Hütten draus. Mit der Ölkrise Mitte der 1970er | |
kam diese Technik wieder etwas in Mode, und heute stehen rund 14.000 | |
Strohballenhäuser in den USA. Deutschland nennt Rüger hingegen das | |
Aschenputtelland des Strohballenbaus. In Deutschland wisse er von etwa 250 | |
bis 300 Strohballenhäusern. In Frankreich etwa seien es schon mehr als | |
7.000. „Wir wollen, dass sich diese Bauweise bei uns verbreitet“, sagt er. | |
Das Strohballenhaus in Verden ist ihr Vorzeigeprojekt. Im Herbst 2013 haben | |
sie mit dem Aushub des Kellers begonnen. „Der Keller besteht natürlich aus | |
Ziegeln“, sagt Rüger. Aber der Rest ist aus Holz und Stroh, denn Stroh | |
wächst in der Region, ist günstig und dämmt sehr gut. „Die Bauweise ist | |
einfach und erinnert ein wenig an ein Fertighaus“, sagt Rügen. Die | |
Holzelemente werden in der Zimmerei vorgefertigt. In die fertigen Träger | |
wird das unbehandelte Stroh eingebettet und verputzt, innen mit Lehm, außen | |
mit Kalk. Wichtig sei, dass das Stroh gar nicht erst mit Wasser in | |
Verbindung komme, sagt Rüger. Das Strohballenhaus in Verden wurde während | |
der Bauphase darum zehn Monate mit einer Folie vor Regen geschützt. Dann | |
hält so ein Haus 100 Jahre und länger. | |
5 Oct 2014 | |
## AUTOREN | |
Ilka Kreutzträger | |
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