# taz.de -- Bildungsforscher Seukwa über Paternalismus: „Die Sichtweise der … | |
> Hamburg will seine Kolonialgeschichte aufarbeiten. Die Perspektive der | |
> Leidtragenden werde aber ausgeblendet - beschämend, sagt Louis Henri | |
> Seukwa. | |
Bild: "Einzige Barbarei": Das umstrittene Askari-Denkmal in Hamburg. | |
taz: Herr Seukwa, Sie nennen Hamburgs Umgang mit dem Kolonialismus | |
unsensibel. Warum? | |
Louis Henri Seukwa: Wenn etwa in einem neuen Stadtteil wie der Hafencity | |
Straßennamen und Häuser nach Kolonialwaren benannt sind, setzt Hamburg | |
Zeichen kolonialer Nostalgie. Dieser Umgang mit Afrika-bezogener Geschichte | |
ist aber nicht verwunderlich, sondern üblich. Das ist eine Art von | |
Paternalismus und Arroganz, die dazu führt, dass man über Menschen und die | |
Dinge, die sie etwas angehen, redet – aber nicht mit ihnen. | |
Woran machen Sie das fest? | |
Es wird unter Missachtung der migrationsbedingten Vielfalt in dieser Stadt | |
die Sichtweise der Ewiggestrigen, der Kolonialnostalgiker privilegiert. | |
Dies ist sehr problematisch, denn quasi die Hälfte aller Jugendlichen in | |
Hamburg haben eine Migrationsgeschichte – ergo sind sie kulturell Hybride | |
und fühlen sich gleichzeitig mehreren Kontexten und Ländern zugehörig. Dazu | |
gehören nicht selten ehemalige Kolonien. Sie können sich die Irritation | |
solcher Jugendlichen vorstellen, wenn sie mit der Verehrung einer moralisch | |
und ethisch höchst verwerflichen geschichtlichen Episode ihrer Heimatstadt | |
Hamburg konfrontiert sind. Es geht also um moralische Glaubwürdigkeit und | |
unsere normative Kohärenz. | |
Nun hat der Hamburger Senat beschlossen, das „koloniale Erbe“ | |
aufzuarbeiten. Aber postkoloniale Gruppen und Initiativen schwarzer | |
Menschen haben der Stadt vorgeworfen, die Nachfahren der Opfer des | |
Kolonialismus nicht rechtzeitig an der Ausgestaltung des Konzepts zu | |
beteiligen. | |
Ich glaube, die Kritik ist berechtigt. Das Senatspapier stellt von meinem | |
Konzeptverständnis her noch kein Konzept dar. Zu bemängeln ist jedoch nicht | |
nur der Inhalt, sondern auch und vor allem der Prozess, bei dem Menschen, | |
die sich jahrelang mit dem Thema auseinandergesetzt haben, ausgeschlossen | |
wurden. Das Problem der Aufarbeitung des kolonialen Erbes in Hamburg ist | |
nicht neu. Am Anfang dieses Jahrhunderts hatten wir schon eine große | |
Auseinandersetzung um die Tafel am Michel für deutsche Soldaten aus | |
Hamburg, die „für Kaiser und Reich in China und in Afrika“ starben. | |
Mit welchem Ergebnis? | |
Danach ist erst einmal nichts passiert. Später setzten sich Initiativen | |
dafür ein, das Bewusstsein der Öffentlichkeit über das Thema zu vergrößern. | |
Und es wurde klar: So kann es nicht weitergehen. Es ist also in erste Linie | |
der jahrelange Druck durch Sensibilisierung und politische Arbeit der am | |
Thema interessierten Initiativen sowie der Unterstützung einzelner | |
politischer Akteure wie Frau Goetsch, der kulturpolitischen Sprecherin der | |
Grünen-Fraktion, zu verdanken, dass überhaupt ein parlamentarischer | |
Beschluss des hamburgischen Senats zu diesem Thema zustande gekommen ist. | |
Leider ist das Papier auch wegen der erwähnten Nicht-Einbindung dieser | |
zivilgesellschaftlichen Gruppen im Ergebnis enttäuschend. | |
Die Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland (ISD) sprach gar von einem | |
Skandal. | |
Es gab außerdem auch verschiedene Arbeitskreise wie Freedom Roads und | |
Hamburg Postkolonial, die das Thema in die Öffentlichkeit und in die | |
Politik gebracht haben. Das ist ein langer und zäher Kampf gewesen – und es | |
scheint mir sachlich logisch, politisch klug und ethisch gerecht, dass | |
diese Menschen, die ein unschätzbares Community Knowledge – also ein | |
zivilgesellschaftliches Wissen – über das Thema haben, involviert werden. | |
Was schlagen Sie vor? | |
Dass eine „mixed“ Kommission mit Beteiligung der am Thema interessierten | |
und qualifizierten Zivilgesellschaft gegründet wird, mit dem Auftrag, ein | |
umfassendes Konzept zur Aufarbeitung der kolonialen Vergangenheit Hamburgs | |
zu erstellen. Diese Kommission sollte über den Inhalt, also die | |
thematischen Schwerpunkte des Konzepts, die Zuständigkeiten über die | |
Kompetenzen und Akteure, die Meilensteine und über die Finanzierung | |
entscheiden. | |
Was genau fehlt Ihnen beim Vorstoß des Hamburger Senats? | |
Der Beschluss zur Aufarbeitung der Kolonialgeschichte stellt einen kuriosen | |
Kurzschluss dar, in dem alles auf die Partnerschaft zwischen Hamburg und | |
Tansania verengt wird. Aber die deutsche Kolonialgeschichte ist viel | |
breiter und vielfältiger, als dass man sie nur auf Tansania reduzieren | |
kann. Etwa die verschiedenen Formen und Funktionen der Kolonien lassen sich | |
unmöglich durch diese Verengung abbilden. | |
Was fehlt? | |
Da sind etwa die deutschen Beherrschungskolonien wie Kamerun und Togo, die | |
primär zur wirtschaftlichen Ausbeutung von Ressourcen, Erhebung von Steuern | |
oder als Absatzmarkt für Güter der Kolonialmacht angelegt waren und meist | |
durch eine relativ kleine Zahl europäischer Beamter und Militärs verwaltet | |
wurden. Oder Siedlungskolonien wie Namibia, die dagegen durch den | |
massenhaften Zuzug europäischer Einwanderer geprägt waren. Diese hatten | |
sich auch mittels ethnischer Säuberungen und Genozid de facto das Land zu | |
eigen gemacht. | |
Warum versteht die Stadt diese Kritik nicht? | |
Der partnerschaftliche Umgang mit Afrika-bezogenen Themen und Problemen ist | |
nicht üblich. Und wenn im Zusammenhang mit Afrika der Begriff | |
„Partnerschaft“ verwendet wird, meint man eigentlich so etwas wie „Hilfe�… | |
Es gibt also diejenigen, die sagen, wohin die Reise geht, und die anderen | |
müssen für die Wegweisung dankbar sein. | |
Also wiederholt sich in dem Senatskonzept das Muster, das durchbrochen | |
werden sollte? | |
Genau. Denn es geht nicht nur um den Inhalt, sondern auch und vor allem um | |
die partizipative und partnerschaftliche Prozessgestaltung, die wiederum | |
Einfluss auf den Inhalt des Konzepts haben wird. Es ist fast eine Ironie | |
der Geschichte, dass durch den Ausschluss der Betroffenen in einem Prozess, | |
dessen Ziel die Aufarbeitung der Kolonialvergangenheit war, also auch ein | |
Prozess der Heilung und Versöhnung war, symbolische Gewalt reproduziert | |
wird. Das ist es, was diese Menschen empört. | |
Die Stadt sagt, das Konzept soll zunächst wissenschaftlich sein. Sie | |
forschen zu diesem Thema, wurden aber nicht einbezogen. | |
Ich habe kein Problem damit, denn es geht primär um die Sache und nicht um | |
meine Person. Ich bin zwar kein Historiker, wäre jedoch, wenn nötig bereit, | |
aus meiner fachspezifischen Perspektive einen Beitrag zu leisten. | |
Geschichte ist ja auch nur ein möglicher unter mehreren Zugängen zum Thema. | |
Welche zum Beispiel? | |
Zuerst wissen wir alle, dass die Geschichte immer abhängig von der | |
Historiografie ist – also von der Art, Geschichte zu schreiben. Je nachdem, | |
welche Fakten, Ereignisse und Zeitskalen ich auswähle, komme ich zu einem | |
anderen Ergebnis. Was das Thema Kolonialismus angeht, erfordert seine | |
seriöse wissenschaftliche Aufarbeitung den Einbezug mehrerer | |
wissenschaftlicher Disziplinen wie Literatur, Religion, Kunst, Politik, | |
Soziologie, Erziehungswissenschaft, Linguistik. Sie sehen, wenn man von | |
einer wissenschaftlichen Basis redet, muss diese breiter anlegt werden. | |
Dafür wäre wahrscheinlich eher ein Sonderforschungsbereich als Form | |
geeignet. Die vorgesehene historische Untersuchung im aktuellen | |
Senatspapier kann nur ein kleiner Anfang sein, der jedoch zu begrüßen ist. | |
Welcher Stellenwert müsste dabei den Nachfahren derer, die unter dem | |
Kolonialismus gelitten haben, eingeräumt werden? | |
Die meisten haben eine Menge Recherchearbeit gemacht und es sind oft die | |
Menschen aus den Communitys und die zivilgesellschaftlichen Initiativen, | |
die Studierende und etablierte ForscherInnen mit wertvollen Dokumentationen | |
und Informationen ausstatten. Deshalb ist der Ausschluss dieser Gruppen in | |
vielen Hinsichten nicht seriös. | |
Jetzt hat aber Hamburg sich als erste Stadt hervorgetan, die ein solches | |
Konzept zur Aufarbeitung des Kolonialismus angeschoben hat. Oder hat man es | |
hier nur besonders nötig? | |
Man kann sagen, dass Hamburg die Hauptstadt des kolonialen Unternehmens in | |
Deutschland war. Politisch war Berlin aktiv, aber diejenigen, die all diese | |
Dinge angestiftet haben, die Kaufmänner, die die ersten Schutzgebiete | |
erobert haben, das waren Hamburger. Deswegen kommt Hamburg eine besondere | |
Verantwortung zu. | |
In einem Senatspapier wird ein CDU-Abgeordneter mit den Worten zitiert, man | |
müsse auch die positiven Seiten des Kolonialismus hervorheben. | |
Kolonialismus an sich ist eine einzige Barbarei. Menschen sind wie Dinge | |
behandelt worden, sie waren im Grunde genommen „Ware“ und Instrument zur | |
Konstruktion der politischen, ökonomischen und symbolischen Dominanz der | |
Kolonialmächte. Er hat dementsprechend seit dem 15. Jahrhundert weltweit | |
Strukturen der Ungleichheit geschaffen, die bis heute existieren und weiter | |
gepflegt werden. Es ist interessant, dass eine solche Aussage in einem | |
Papier steht, das den Anspruch hat, die Kolonialvergangenheit Hamburgs | |
aufzuarbeiten. Ich sehe nicht, auch gemessen an normativen, selbst | |
formulierten Ansprüchen der westlichen Welt, was am Kolonialismus positiv | |
sein kann. | |
Wie erklären Sie sich die Passage dann? | |
Vielleich ist dieser Abgeordnete ein ehrlicher Mensch, der mit seiner | |
Aussage eher die „positiven Seiten“ des Kolonialismus für die | |
Kolonialmächte meint. Dass Kolonialismus sich für die Kolonisatoren gelohnt | |
hat, zeigt das auf verschiedenen Ebenen und Hinsichten heute noch | |
herrschende Ungleichgewicht in der Weltordnung zu Ungunsten der | |
Kolonisierten, das sich zweifelsohne kausal auf Kolonialismus zurückführen | |
lässt. | |
8 Oct 2014 | |
## AUTOREN | |
Lena Kaiser | |
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