# taz.de -- Abschluss der Frankfurter Buchmesse: Gott ist gesund und munter | |
> Weniger Aussteller, mehr Veranstaltungen und ein Experiment von Janne | |
> Teller mit begrenztem Wert: Die Frankfurter Buchmesse geht zu Ende. | |
Bild: Ziemlich voll war's, aber nicht so voll wie früher | |
Gewusel auf den Gängen, Besuchertrauben vor Ständen mit Autorengesprächen, | |
Lesungen fast überall: Die Frankfurter Buchmesse schien auch in diesem Jahr | |
ihren gewohnten Gang zu gehen. Von den Umwälzungen, die der Buchmarkt | |
erlebt, war auf den ersten Blick nicht sonderlich viel zu sehen im | |
Geschehen auf dem Messegelände. | |
Vereinzelt fielen einem aber bald die Lücken auf, die in den Gängen | |
klafften. An den Wänden eines ungenutzten Stands hingen Fotografien von | |
Frankfurt bei Nacht, in Halle 8 mit internationalen Verlagen gab es manche | |
nackte Fläche ganz ohne behelfsmäßige Dekoration. | |
Einen Rückgang von 3 Prozent hatte die Buchmesse bei den Ausstellern im | |
Vorfeld angekündigt – und im Gegenzug ein Rekordprogramm mit 4.000 | |
Veranstaltungen versprochen, da die Inszenierung der Autoren vor Publikum | |
wichtiger werde. | |
Die konkurrierten dann schon mal miteinander: Ein Autor sah sich bei seiner | |
Lesung sogar gezwungen, laut gegen die wie aus dem Nichts aufheulenden | |
Gitarren von einem benachbarten Comicstand anzusprechen, wo ein Musiker | |
gerade einen Kurzauftritt absolvierte. | |
Zum exklusiveren, da unter Ausschluss des Publikums laufenden Programm, | |
zählte das Projekt „Frankfurt Undercover“: Rund 25 Autoren aus 17 Ländern, | |
darunter der irakische Schriftsteller Najem Wali, die deutsche Autorin | |
Vanessa F. Fogel und der russische Journalist und Autor Michail Schischkin, | |
durften auf Einladung der dänischen Schriftstellerin Janne Teller drei Tage | |
lang in der Autorenlounge unbeobachtet über politische Fragen diskutieren. | |
Die Ergebnisse gab Teller am Freitag in einer Pressekonferenz bekannt. | |
Man habe einander in den Diskussionen „an der Grenze der eigenen geistigen | |
Kapazität“ die Möglichkeit einräumen wollen, bei heiklen Themen auch mal | |
„Fehler zu machen“, begründete Teller die konspirative Vorgehensweise. Nur | |
so könne man im Denken ernsthaft weiterkommen. Ziel der Bemühungen sei kein | |
Manifest gewesen, sondern ein Kompendium, das in dieser Woche online | |
gestellt werden soll. Eine gedruckte Fassung folgt in den nächsten Monaten. | |
## Ein Dollar für den Frieden | |
Die kontroverseste Position gab Teller gleich zu Anfang bekannt. Es sei ein | |
Mythos, dass Gott tot ist. Gott sei vielmehr gesund und munter. Man müsse | |
ihm seinen Platz lassen, da Menschen nicht ausschließlich rational seien. | |
Leute, die an ihn glaubten, sollte man daher nicht lächerlich machen. Diese | |
postsäkulare Forderung flankierten die Autoren mit dem Hinweis, dass die | |
Zukunft dem Pluralismus gehöre. „Die Grundlage einer stabilen Gesellschaft | |
ist der Pluralismus“, sagte Teller – was als Hypothese stimmen mag, mit der | |
politischen Perspektive vieler Staaten jedoch recht wenig zu tun hat: Ob in | |
den Diktaturen jetzt umgedacht wird? | |
Ein bisschen wohlfeil klang denn auch das rhetorisch eingängige Plädoyer | |
für ein Friedensministerium – für jeden Dollar, der in Rüstung gesteckt | |
werde, solle ein Dollar in „den Frieden“ investiert werden. | |
Unwesentlich konkreter wurde Teller mit der Forderung, dass Europa die | |
Immigration ernst nehmen müsse: „Es muss unmöglich gemacht werden, dass | |
Menschen an unsere Strände kommen und ertrinken.“ An das westliche | |
Demokratieverständnis appellierte sie mit dem Hinweis, dass wir selbst die | |
Demokratie seien, die Politik daher in unserer eigenen Verantwortung liege. | |
Genauere Handreichungen für die Praxis hatte sie keine parat, dafür ein | |
passendes Ethikverständnis als Grundlage: „Freiheit ist Disziplin“, | |
postulierte sie und plädierte für die „ethische Integrität“ unserer | |
gesamten Existenz. | |
Der Philosoph Immanuel Kant wäre von dieser rigoristischen Pflichtethik | |
bestimmt angetan gewesen. Vorsichtigen Widerspruch wagte hingegen der | |
Schriftsteller Stefan Weidner – bei ethischer Integrität müsse man | |
aufpassen, dass man sich darüber nicht radikalisiere. | |
12 Oct 2014 | |
## AUTOREN | |
Tim Caspar Boehme | |
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