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# taz.de -- Kunstausstellung in Istanbul: Warten auf den König
> Das Istanbuler Kunsthaus Arter zeigt mit „The Roving Eye“ museumsreife
> zeitgenössische Kunst aus Südostasien.
Bild: Heri Dono, Political Clowns, 1999, Electric, sound and kinetic installati…
Kann man an einem runden Tisch Pingpong spielen? Ungläubig bleiben auf
Istanbuls Einkaufsmeile Istiklal Caddesi in diesen Tagen Schaulustige vor
einem Schaufenster stehen. Im Ausstellungsraum des Kunstraums Arter steht
eine kreisrunde Installation aus grünen Tischtennisplatten. Wer hineingeht,
dem schieben freundliche Helfer das Plattenrund auseinander.
In seiner Mitte stehend, nehmen die Neugierigen plötzlich nicht mehr an
einem Zweikampf teil. Sondern beteiligen sich an einem Gruppenspiel, bei
dem man die Richtung des Spiels verändern kann – und eine ungewohnte
Verkehrung der Perspektive erlebt.
Von innen nach außen, permanenter Standortwechsel und die Lust am
Partizipativen. Was auf den ersten Blick wie ein Gag oder Eyecatcher
aussah, entpuppte sich als Charakteristikum der Kunst, die dort für drei
Monate zu sehen ist.
„The Roving Eye – Das umherschweifende Auge“ heißt die Schau von 40
Arbeiten und fast ebenso vielen Künstlern aus acht südostasiatischen
Ländern nicht umsonst. „Ping Pong Go Round“, die Arbeit des Singapurer
Künstlers Lee Wen, hat es nur sichtbar gemacht.
## Gewagtes Angebot ans Laufpublikum
Kunst aus Südostasien in der Türkei. Die jüngste Arter-Ausstellung ist ein
gewagtes Angebot an ein ultrakonsumistisch zerstreutes Laufpublikum, das
zwar alle angesagten Fashion-Brands, aber kaum die wichtigen Künstler des
eigenen Landes aufzählen kann. Und sie muss ganz unterschiedliche
Mentalitäten überbrücken.
Gehörte das Osmanische Reich, der Vorläufer der Türkei, zu den brutalen
Kolonisatoren der Weltpolitik, waren Länder wie die Philippinen, Vietnam
oder Malaysia ihr Opfer. Aber in einem Werk wie „Political Clowns“ dürfte
sich wohl jede Bevölkerung dieser Welt wiedererkennen. Der indonesische
Künstler Heri Dono hat grell bemalte Köpfe auf eine Stange gesteckt: eine
Mischung aus Pappkameraden und Schießbudenfiguren.
Iola Lensi, die Singapurer Kuratorin der Schau, versucht erst gar nicht,
dem fremden Publikum die Terra incognita der Weltkunst mit einem
langweiligen kunsthistorischen Abriss näherzubringen. Sie meidet
fernöstliche Klischeebilder von Wasserbüffeln und Tänzerinnen im Reisfeld.
So teilt sich das Verbindende der Kunst aus Fernost mit der Südosteuropas
ganz von selbst mit.
Ob es nun die Fantasieuniformen sind, mit denen der thailändische Künstler
Jakkai Siributr die Fetische seiner autoritätshörigen Gesellschaft aufs
Korn nimmt. Oder ob es die die Schuhe aus Gewehrpatronen sind. Mit den
ungewöhnlichen Bekleidungsstücken will die philippinische Performance- und
Installationskünstlerin Josephine Turalba den Boden der Gewalt sichtbar
machen, auf dem sich der Kolonisierte bewegt. Am Bosporus lässt sich ihre
Arbeit aber auch vor dem Hintergrund der Gezi-Kämpfe lesen. Noch vor einem
Jahr liefen die Istanbuler quasi auf den Tränengaskartuschen der türkischen
Polizei.
## Politisch imprägnierte zeitgenössiche Kunst
Dass die visuellen Künste derart zum Medium der Umbrüche werden, verwundert
nicht in einer Region, die die Teilung Vietnams 1954 und den nachfolgenden
Krieg darum, die blutige Kommunistenverfolgung der 1960er Jahre in
Indonesien oder die Diktatur der Khmer Rouge in Kambodscha gesehen hat. Und
in der die Kolonialmächte Geschichte schrieben. Doch so politisch
imprägniert zeitgenössische Kunst in Südostasien auch ist, so wenig
arbeitet sie mit dem Holzhammer.
Für Augen, die von der westlichen Konzeptkunst ermüdet sind, ist es
faszinierend zu sehen, wie sinnlich und spielerisch sich bei dieser Kunst
Politik und Ästhetik verbinden. Von Weitem betrachtet nehmen die mannshohen
Porzellanvasen im chinesischen Blau-Weiß-Stil des vietnamesischen Künstlers
Bui Cong Khanh die klassische Form der Hochkultur auf.
Wer genau hinschaut, erkennt hinter den Pagoden und Wäldern auf den
kostbaren Skulpturen plötzlich Gewehre, Kanonen oder eine Festung auf einem
Berg. Tausend Jahre war das Land mit der ältesten zusammenhängenden
Geschichte der Welt unter chinesischer Herrschaft, bis es im 19.
Jahrhundert unter französische Kolonialherrschaft kam.
Wie wenig sich diese Kunst auch auf einen festen Standpunkt festlegen
lässt, beweist der thailändische Künstler Manit Sriwanichpoom. Auf seiner
vierzehnteiligen Fotoserie „Waiting for the King“ sieht man Thailänder nach
einem der vielen politischen Umstürze im Land mit ernsten Gesichtern am
Straßenrand auf König Bhumipol warten.
## Der Fotograf ist Teil des Problems
Das Ritual am Geburtstag des ikonisch verehrten Monarchen ist das einzig
stabile Moment in dem einzigen Land Südostasiens, das vom Kolonialismus
verschont blieb. Als Thailänder ist der Fotograf selbst Teil des
beobachteten Problems, bannt das Ereignis aber aus der Distanz ins Bild.
Bei vielen Arbeiten ist es diese flexible Perspektive, die Iola Lenzis Idee
des „Roving Eye“ beglaubigt.
Ihre museumsreife Schau ist nicht nur ein erstklassig kuratiertes Projekt.
Es präsentiert auch eine geballte Ladung Systemkritik. Mit ihr
unterstreicht der nichtkommerzielle „space for art“ in politischen
Umbruchzeiten seinen Anspruch einer Plattform der kritischen
Öffentlichkeit.
Arter gehört zur Vehbi Koc Foundation, der Familienstiftung des liberalen
Unternehmerclans, der während der Gezi-Proteste unter Beschuss der
AKP-Regierung geriet, weil er das ihm gehörende Divan-Hotel gegenüber dem
Gezipark als Toilette und Lazarett öffnete.
Wenn während der neuen Ausstellung an der Fassade des Hauses die Arbeit
„The Untouchables“ des thailändischen Künstlers Michael Shaowanasai häng…
wirkt auch das wie ein Signal von innen nach außen. Die thailändischen
Worte für „king“ und „queen“ auf den illuminierten Leuchtkästen
abstrahieren ein nationales Heiligtum zu einer Konsum- oder Popikone.
Ein riskantes Werk. Denn in Thailand gilt die bloße Erwähnung der
Monarchennamen als Majestätsbeleidigung. Noch so ein Institut, mit dem auch
die Menschen in der Türkei des Recep Tayyip Erdogan so ihre Erfahrung
haben.
22 Oct 2014
## AUTOREN
Ingo Arend
## TAGS
Istanbul
Schwerpunkt Türkei
Satire
Recep Tayyip Erdoğan
Kunst
Schwerpunkt Türkei
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